© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    04/00 21. Januar 2000


CDU: Die "Jungen Wilden" bieten keine Alternative
Im Büßergewand
Andreas Wild

Der verstorbene CDU-Politiker Werner Marx, zeitweilig Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages, hat es von Anfang an gewußt. Als Helmut Kohl 1973 den CDU-Parteivorsitz übernahm, prophezeite er düster: "Der wird lange oben bleiben, und wenn er einst abtritt, wird von unserer Partei nur noch ein Trümmerhaufen übrig sein."

Genauso ist es gekommen. Der vernichtende Sog der gegenwärtigen Spendenaffäre macht vor nichts und niemandem Halt. Zusammen mit Kohl verschwinden jetzt auch alle übrigen "Hoffnungsträger" der Partei in der Kiste, von Schäuble bis Rühe, von Rüttgers bis Merkel. Kohl-Feind Biedenkopf und Ur-Paladin Bernhard Vogel werden sich in ihren Ämtern als Länderchefs noch über die Länge der Legislaturperiode halten – an deren Ende sind auch sie weg vom politischen Fenster, nicht zuletzt aus Altersgründen. Das Personaldesaster der CDU ist total, vor allem wegen der plattmachenden, alles Interessante planvoll abschleifenden "Kaderpolitik" des Helmut Kohl.

Wer an "Jungen Wilden" in Wartestellung liegt, verdient den Namen "Hoffnungsträger" nicht. Keiner von ihnen ist in der Lage, von sich aus einen Saal mit Zuhörern zu füllen, keiner weckt Identifikationsgefühle, weder bei den Frauen noch bei der Jugend. Keinem von ihnen gelingt es, wie Alexander den Affärenknoten keck zu durchhauen. Statt dessen laufen sie alle seit Monaten als Büßer und Geißelbrüder durchs Land, streuen eifrig Asche aufs Haupt, markieren Überraschung und Sprachlosigkeit, üben "Kritik und Selbstkritik", als seien sie bei Stalin in die Schule gegangen.

Und schlimmer noch: Die Programmatik, die sie hin und wieder ein bißchen vorzeigen, läßt darauf schließen, daß es unter ihrer Ägide noch weiter nach links gehen würde, als es in der CDU bisher ohnehin schon der Fall war, daß die von ihnen offerierten "Reformen" – von der Homosexuellen-Ehe bis zur "gerechten" Regelung der Zuwanderung – lediglich Nachäffungen dessen wären, was die gegenwärtige rot-grüne Regierung betreibt. Nicht die Spur von geistig-moralischer Wende. Kein Wähler weiß, wozu er ausgerechnet diese Leute wählen sollte.

Die einjährige Scheinblüte der CDU seit der Bundestagswahl verdankte sich ausschließlich den Fehlern und unpopulären Maßnahmen der neuen Regierung. Zu der populären Kampagne gegen das rot-grüne Staatsbürgerschaftsrecht im hessischenWahlkampf mußte der "junge Wilde" und heutige hessische Ministerpräsident Roland Koch (unter Druck aus München) regelrecht getragen werden. Zwischen die politischen Ziele des "Systems Kohl" und die der "Jungen Wilden" paßt im Grunde kein Blatt Papier. Sie sind identisch.

So kommt es denn in den Reden der "Jungen Wilden" zu einer fast schon grotesk anmutenden Trennung von Inhalt und Form. Die Inhalte der jüngst vergangenen CDU-Politik, so stammeln sie im Büßergewand, seien großartig gewesen, aber leider seien sie mit korrupten Methoden vertreten und angepriesen worden, von Politikern, die das Gesetz mit Füßen getreten hätten, von denen man aber gleichwohl "viel gelernt" habe und die einen "nach Kräften gefördert" hätten. Gefördert womit? Aus welchen trüben Kassen und mit welchen korrumpierenden Absichten?

Wer immer aus den verheerenden Turbulenzen der CDU-Affäre zuletzt als Hoffnungsträger hervorgehen wird, er wird sich einer ganzen Reihe von schneidenden Fragen stellen müssen, die an die Substanz des Politikverständnisses in Deutschland rühren. Politik als bloße Mechanik des Machterhalts führt in den Sumpf, zumal wenn unter Machterhalt immer nur die Herrschaft der (eigenen) Partei verstanden wird und die Herrschaft schlauer Taktiker über die Parteiorganisationen. Zur politischen Frage Nummer eins rückt auf, auf welche Weise man die Herrschaft der Parteien und der Parteitaktiker effizient eingrenzen kann.

An der Spitze der Prioritätenliste für Politiker muß künftig unverbrüchlich das staatliche und nationale Gesamtinteresse stehen, der Wille des Volkes, die Unabhängigkeit seiner Abgeordneten, die größtmögliche Transparenz der Entscheidungs- und Ausführungsprozesse. Ob diese Prioritäten von einer Formation hinreichend beachtet werden können, deren Funktionäre früher als Führer Schwarzer Kassen und heute als Geißelbrüder herumlaufen, oder ob dazu andere Formationen nötig sind, wird schon die nächste Zukunft erweisen.

Mancherlei Erwartung richtet sich in diesem Zusammenhang auf Edmund Stoiber und die CSU. Doch auch unter Stoiber wird die CSU es nicht wagen, sich bundesweit auszudehnen und ein gesamtnationales konservatives Programm zu offerieren. Allzu sehr muß sie dabei um den Verlust ihrer regionalen Identität bangen. Auch ist noch keineswegs ausgemacht, ob sie sich aus dem Mahlstrom der Spendenaffäre, einer wahren Furie des Verschwindens, dauerhaft wird heraushalten können.

Um den Bestand des Staates sollte sich trotzdem niemand Sorgen machen. Wenn sich in der Politik ein Vakuum auftut, wird es schnell gefüllt, und poltische Talente gibt es wahrhaftig auch außerhalb der etablierten Parteien.


 
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