© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    04/00 21. Januar 2000

 
Kolumne
Falschrechnung
von Heinrich Lummer

Vielleicht haben die UN-Experten das gar nicht so gemeint. Aber die Zeitungen schreiben: "UN-Experten: Deutschland braucht jedes Jahr 500.000 Zuwanderer." Da reibt sich der deutsche Zeitgenosse verwundert die Augen. Denn er denkt an mehr als 4 Millionen Arbeitslose und mehr als 7,5 Millionen Ausländer im Lande und fragt sich: Was soll das?

Ganz einfach. Die sogenannten Experten meinen, man brauche diese Zuwanderungszahlen, um die Bevölkerungszahl von 82 Millionen zu halten und um genug Menschen zu haben, die das Rentensystem finanzieren. Solche Rechnungen verdienen das Prädikat: Milchmädchenrechnung. Zunächst einmal ist die Erhaltung der Bevölkerungszahl kein Dogma. Zumal nicht in einem Lande, das besonders dicht besiedelt ist. Wir sollten geradezu dankbar sein, daß in unserer Zeit der Anstieg der Produktivität, der Arbeitsplätze kostet, einhergeht mit einem Rückgang der Bevölkerung. Wenn es in der Vergangenheit keine so intensive Zuwanderung gegeben hätte, dann hätte der natürliche Bevölkerungsrückgang in idealer Weise mit dem Arbeitsplatzverlust durch Produktivitätssteigerung korrespondiert.

Auch gibt es keine ideale oder optimale Bevölkerungspyramide. Dann wäre die Tatsache, daß Menschen immer älter geworden sind, ein Manko. Dabei sollten wir diese Entwicklung nicht als Mangel, sondern als Segen verstehen. Wer daraus die Konsequenz zieht, man müsse, um die alte Bevölkerungspyramide zu erhalten, mehr Kinder oder junge Menschen durch Geburt oder Zuwanderung erzielen, der plädiert für die Bevölkerungsexplosion. Wer verlangt, daß die gestiegene Lebenserwartung mit einer wachsenden Kinderzahl korrespondieren müsse, um die Gesellschaft jung zu erhalten, der fördert schließlich die Überbevölkerung.

Auch ein bestimmtes Durchschnittsalter der Bevölkerung ist kein Dogma – genauso wenig wie das Renteneintrittsalter. Und wenn dann noch hinzukommt, daß ein Zuwanderer, der keine Arbeit hat, zur Sicherung des Rentensystems nichts beiträgt, wohl aber das Sozialsystem zusätzlich belastet, dann wird der Unfug, den eine UN-Expertengruppe produzierte, offenkundig. Klar bleibt: Die mögliche Zuwanderung muß von einer Reihe anderer Kriterien abhängig gemacht werden. Dazu zählen: die Lage auf dem Arbeitsmarkt, die Integrationsfähigkeit der Gesellschaft, der soziale Friede sowie die Belastbarkeit des Sozialsystems.

Rechnungen, wie sie die sogenannten UN-Experten aufmachen, sind billig, banal, falsch und überflüssig. Wenn man weiß, daß es bei den UN einen Sparkommissar gibt, der Vorschläge braucht, dann kann ihm empfohlen werden, diese Expertengruppe zu liquidieren, damit der UN-Unfug geringer wird.

 

Heinrich Lummer, ehemaliger Innensenator von Berlin, war bis 1998 CDU-Bundestagsabgeordneter.


 
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