© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    03/00 14. Januar 2000

 
Literatur und Politik: Vor 75 Jahren wurde der Schriftsteller Yukio Mishima geboren
Er war fasziniert von der Ästhetik des Todes
Werner Olles

Seine letzte Tat blieb allen ein Rätsel. Mishimas ritueller Selbstmord im November 1970 traumatisierte nicht nur seine Familie und seine engsten Freunde tief, die ganze japanische Nation stand unter einem Schock. Kobo Abe, einer der berühmtesten Schriftsteller des Landes, in politischer wie stilistischer Hinsicht – er war bekennendes Mitglied der Kommunistischen Partei und galt als poetischer Avantgardist – das genaue Gegenteil Mishimas, was die beiden nicht hinderte, sich als Menschen und Künstler sehr zu schätzen, reagierte bestürzt und traurig: "Jetzt habe ich meinen einzigen literarischen Freund verloren. Ich habe niemanden mehr, mit dem ich diskutieren kann."

In der Tat hatte kaum jemand sein militärisches Training, seine Privatarmee und vor allem sein ungeheures Selbstbewußtsein ernst genommen. Wie aber konnte es zu jener psycholgischen Situation kommen, in der der Dichter "schlicht Fiktion und Wirklichkeit verwechselte", wie Saul Bellow Mishimas Seppuko interpretierte. Aber Bellow sagte auch: "Wenn Dichter nicht an ihre Fiktionen glauben, wie sollen es dann ihre Leser tun?" Und Mishima identifizierte sich oft mit seinen zentralen Figuren. Seine Bücher geben da zahlreiche Hinweise.

Yukio Mishima wurde am 14. Januar 1925 in Tokio geboren. Seine Eltern, Azusa und Shizue Hiraoka, gehörten der oberen Mittelschicht an. Eine Woche nach seiner Geburt erhielt der Knabe während eines feierlichen Zeremoniells den Namen eines Freundes der Familie, des Barons Kimitake Furuichi. Sehr bald übernahm die tyrannische Großmutter die Erziehung des Kindes. Im Alter von vier Jahren erkrankte Kimitake schwer. Die Ärzte bezeichneten die Krankheit als Selbstintoxikation, rezidivierende Anfälle schwächten den Knaben sehr, erst als Erwachsener wurde er völlig gesund.

1944 absolvierte er im Alter von neunzehn Jahren als Klassenbester die Adelsschule (Gakushuin) und erhielt vom Kaiser eine silberne Armbanduhr als Auszeichnung. Bei der Musterung im gleichen Jahr wurde er zwar diensttauglich geschrieben, aber nicht eingezogen. So immatrikulierte er sich im Oktober an der Tokioter Kaiserlichen Universität. Nach wenigen Monaten erhielt er jedoch seinen Einberufungsbescheid. Mishima war fest davon überzeugt, daß er im Krieg fallen würde, aber ein dilettantischer Militärarzt stellte ihm die Fehldiagnose einer chronischen Tuberkulose. Er kehrte nach Tokio zurück und versuchte weiter seine Kurzgeschichten zu veröffentlichen. Aus Enttäuschung über das das mangelnde Echo seiner Publikationen kniete er sich in das Jurastudium und erhielt schließlich eine Stellung im Finanzministerium.

Im November 1948 begann Mishima mit dem autobiographischen Roman "Geständnis einer Maske". Nach der Veröffentlichung feierten die Kritiker den Autor als neuen Stern am literarischen Himmel Japans. Auch sein zweiter bedeutender Roman "Durst nach Liebe" (1950) wurde ein großer Erfolg. Mishima zog mit seinen Eltern in ein neues Haus in einem der elegantesten Vororte Tokios, Midorigaoka. Er reiste durch die USA, besuchte Lateinamerika und Europa. Griechenland, das seine klassischen Erwartungen erfüllte, beeindruckte ihn am stärksten.

Kontakte zu kleinen rechten Gruppen geknüpft

Die beiden Bände "Verbotene Farben" (1950/53), die sich mit der Tokioter Homosexuellen-Szene befaßten, wurden dagegen wenig wohlwollend aufgenommen und blieben auch beim Publikum umstritten. Er veröffentlichte den Bestseller "Brandung" (1954) und begann ein Bodybuilding-Training, das er auch während eines erneuten Amerikabesuches 1957 beibehielt. Kurz nach seiner Rückkehr 1958 heiratete Mishima die 21jährige Yoko Sugiyama, die Tochter des berühmten traditionellen japanischen Malers Sugiyama. Ein Jahr später bekam Yoko ihr erstes Kind, das Mädchen Noriko.

Mishima arbeitete inzwischen an dem Roman "Kyokos Haus" (1959), der jedoch von der Literaturkritik als Mißerfolg eingestuft wurde. Die Demonstrationen gegen den amerikanisch-japanischen Sicherheitsvertrag bewegten ihn zu der Kurzgeschichte "Patriotismus" (1960). In ihr schilderte er detailliert, wie sich ein junger Leutnant rituell den Bauch aufschlitzt. Im gleichen Jahr wurde sein Sohn Iichiro geboren.Während in Tokio die Olympischen Spiele stattfanden, berichtete Mishima über die Veranstaltungen und beschrieb seine eigenen Kendo-Erfahrungen.

Ein Jahr später begann er mit dem ersten Band der Tetralogie "Das Meer der Fruchtbarkeit" (1965/66). Sein Gesuch bei den japanischen Selbstverteidigungsstreitkräften, den "Jieitai", ein militärisches Trainingsprogramm absolvieren zu dürfen, wurde positiv beschieden. Während der Übung in einer Militärkaserne wirkte Mishima still, fast traurig.

1968 erschien "Im Zeichen des Sturmgottes", der zweite Band der Tetralogie, und Mishima begann sogleich mit dem dritten und schwierigsten Teil "Tempel der Morgendämmerung" (1970). Mit der Veröffentlichung des autobiographischen Essays "Sonne und Stahl" (1968) hatte er die Sympathie der japanischen Rechten gewonnen. Er freundete sich mit dem Ministerpräsidenten Sato und dessen geistreicher Frau an, und sah sich nach geeigneten jungen Männern für eine Miliz um.

Es war die Zeit der linksextremistischen Studentenbewegung "Zengakuren" – aus der die späteren Terroristen der Japanischen Roten Armee hervorgingen –, und rechte Gruppen, wenn auch in weit geringerer Anzahl, beschlossen, sich den Ultralinken entgegenzustellen, um vor allem den Kaiser zu verteidigen. So nahm er Kontakt mit einer kleinen Gruppe auf, die das kaum bekannte rechte Ronso-Journal herausgab und einer weiteren Studentengruppe an der Tokioter "Waseda"- Universität, an der allerdings Zengakuren sehr aktiv war. Aus beiden Organisationen enstanden die "Tatenokai", Mishimas "Schildgesellschaft". Sie umfaßte knapp hundert Mitglieder, vorwiegend Studenten der Hochschulen in der Region Tokio. Im Sommer 1968 präsentierte er ihnen ihre neuen Uniformen und nannte sie "die kleinste Armee der Welt und die größte an Geist". Er schrieb ihr sogar eine eigene Hymne, die allerlei übergewichtige Phrasen enthielt, eine beklemmende Mischung aus Gewaltphantasien und schwüler Romantik.

Mai 1969: Die Gunst des "Bundan", Japans literarischem Establishment, hatte sich Mishima durch seine rechtsgerichteten Ansichten und die Gründung der "Tatenokai" längst verscherzt. In dieser Situation ging er zu einer Debatte mit linksradikalen "Zengakuren" -Studenten an die Tokioter "Todai"-Universität. Er war anfangs sehr nervös, aber schließlich begann ihm die Diskussion Spaß zu machen. Schnell erkannte er die Gemeinsamkeiten zwischen den Radikalen von links und rechts: ein antizivilisatorischer Affekt, strenge ideologische Vorstellungen und Geschmack an physischer Gewalt. Den Ultralinken sagte er: "Sie und ich, wir repräsentieren eine neue Art Japan. Ich fühle mich zu ihnen hingezogen. Wir sind durch Stacheldrahtverhaue getrennte Freunde! Wir lächeln einander zu, ohne uns umarmen zu können!"

Mishima arbeitete nun am vierten Band der Roman-Tetralogie "Meer der Fruchtbarkeit". Er trug den Titel "Die Todesmale des Engels" (1970). Es handelte sich um Episoden über Seelenwanderung und Reinkarnation, über den Ablauf des menschlichen Lebens und das Ende in einer Katastrophe, dem "glorreichen Augenblick".

25. November 1970: Yukio Mishima stand an diesem Morgen sehr zeitig auf, duschte und rasierte sich sorgfältig. Er zog ein frisches Lendentuch aus Baumwolle an und darüber seine "Tatenokai"-Uniform. Den Umschlag mit dem letzten Kapitel seiner Romantetralogie legte er auf einen Tisch in der Halle. Sechs lange Jahre hatte er an ihr gearbeitet, am späten Vormittag sollte ein Bote des Verlages sie abholen. Er setzte sich auf den Beifahrersitz des weißen Toyota Corona, der vor dem Haus parkte, und in dem vier "Tatenokai"-Studenten, darunter sein Adjutant und enger Freund Morita, auf ihn warteten.

Mishimas Rede wurde vom Hohngelächter übertönt

Kurz vor elf Uhr winkte der Wachposten am Tor der "Ichigaya"-Kaserne mitten in Tokio den Wagen durch. Die Männer überwältigten General Mishita, den Befehlshaber der Ost-Armee, in seinem Büro. Mishimas Forderung lautete, daß sich alle Soldaten vor dem Hauptquartier Ost zu versammeln haben. Vom Balkon des Gebäudes aus wollte er zu ihnen sprechen. Seine kurze Rede gipfelte in dem Aufruf an die "Jieitai", Japan, seine Tradition, Geschichte, Kultur und den Kaiser zu schützen und Widerstand zu leisten gegen die machthungrigen Politiker, die die japanische Armee zu Handlangern Amerikas umdrehen wollten.

Mishimas Rede wurde übertönt vom Lärm kreisender Hubschrauber und vom Hohngelächter und den Beschimpfungen der jungen Soldaten. Noch einmal rief er der Menge den Traditionssalut "Tenno Heika Banzai" ("Lang lebe der Kaiser") zu, dann verschwand er endgültig außer Sicht der Fernsehkameras in General Mishitas Büro.

Zwei Meter vor dem Stuhl des Generals kniete er nieder. Uniform, Stiefel und seine Armbanduhr lagen neben ihm. Er stieß den Dolch in seine Bauchdecke und zog einen waagerechten Schnitt quer über seinen Magen. Morita, der Freund und Adjutant, hatte den Befehl, ihn mit einem Schwerthieb zu enthaupten. Dreimal schlug er zu, aber ein anderer "Tatenokai" mußte das blutige Werk vollenden. Dann sanken die Studenten auf die Knie. Einer trat hinter Morita und trennte ihm mit einem einzigen Hieb den Kopf ab. Die Studenten bedeckten die beiden Toten und sprachen leise ein buddhistisches Gebet, dann öffneten sie die verbarrikadierte Tür. Während die "Tatenokai"-Mitglieder festgenommen wurden, war General Mishita nahe daran zu kollabieren.

Mishimas geradezu obsessiv anmutende Dauerbeschäftigung mit Seppuko – die Japaner lehnen den Begriff Harakiri mehrheitlich ab, weil er keine Ehrfurcht vor dem Ritual beinhaltet – war immer mehr als nur eine literarische Geste gewesen. Daß sich seine Obsession letztlich nicht als leidenschaftlicher Ausbruch, sondern vielmehr in Form einer wohlvorbereiteten, pedantischen Aktion äußerte, war möglicherweise begründet in der mystischen Verbindung des Schriftstellers mit dem Kaiser. Mishima war fasziniert von der schwerelosen Eleganz einer Ästhetik des Todes, aber es war wohl eher ein schillerndes Mosaik aus homosexueller Erotik, Exhibitionismus und Kaisertreue sowie eine Rebellion gegen den völligen Mangel an geistiger Kraft, Vitalismus, Männlichkeit und Reinheit in der modernen japanischen Gesellschaft. Die letzte Notiz, die dieser ebenso virtuose wie umstrittene Dichter und Philosoph, Dramatiker und Traditionalist auf seinem Schreibtisch hinterließ, lautete: "Das menschliche Leben ist kurz, ich aber möchte ewig leben!"

 

Literaturhinweise:

Von Yukio Mishima sind unter anderem folgende Titel lieferbar: "Geständnis einer Maske" (Rowohlt, 1964), "Unter dem Sturmgott" (Hanser, 1986), "Patriotismus" (Alexander, 1987), "Die Todesmale des Engels" (Hanser, 1988), "Nach dem Bankett" (Suhrkamp, 1992). Neu erscheinen soll in diesem Jahr im Insel Verlag der Roman "Liebesdurst".


 
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