© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    03/00 14. Januar 2000

 
CD: Pop
Anachronistisch
Ulli Baumgarten

In einer Zeit, in der die Ratio, die Machbarkeit und die Schnelligkeit zu Götzen erhoben werden, wirkt eine Musik, die sich dem zu entziehen versucht, geradezu anachronistisch. Die finnische Gruppe Tenhi legt mit ihrem Album "Kauan" ein Werk vor, das man mit dem Titel des Buches von Stan Nadolny "Die Entdeckung der Langsamkeit" gut charakterisieren könnte. Die CD, von der Plattenfirma eher unzutreffend als "folkloristischer Progressive Rock" apostrophiert, schwelgt geradezu in Langsamkeit und Melancholie; geschickt wissen es die vier Finnen zu vermeiden, daß aus Langamkeit Langeweile und aus Melancholie tränenreiche Süßlichkeit wird.

Die Musik, außer der Benutzung eines Synthesizers sind alle anderen Musikinstrumente akustisch, könnte man am ehesten als zeitgemäße finnische Volksmusik bezeichnen. Außer der Verbundenheit zur eigenen Kultur, neben der Anknüpfung an finnische (Volk-)Musiktraditionen wird nur finnisch gesungen, durchzieht die ganze CD eine geradezu mystisch erscheinende Liebe zur Natur.

Damit reihen sich Tenhi in die Gruppe derjenigen ein, die unter Volksmusik nicht die doof-dumpfe Prostitution des "Musikantenstadels" verstehen, eine "Volksmusik", die letztlich nur den Kommerz im Auge hat und für den wahren Kern, das eigene Ich, die Volkskultur, nur kalte Verachtung übrig hat. Diese neue, wahre Volksmusik, die wieder zurück zu den Wurzeln geht, dürfte mit ihrem Programm der Liebe, der Schönheit und dem Bekenntnis zu großen Gefühlen vorerst noch etwas schwach und vereinzelt dastehen – in Deutschland tendieren Orplid und Empyrium in dieselbe Richtung – aber über kurz oder lang wird ihr die Zukunft gehören.

Ebenfalls aus dem hohen Norden kommt die norwegische Band Drawn. Ihre Lichtscheibe "A new world?" kommt etwas härter daher, gehört eher dem Metal-Bereich an, ohne aber Melodie und Atmosphäre zugunsten rüden Gitarren-Geschrammels zu vernachlässigen – ganz im Gegenteil.

Die Instrumentierung ist zwar (rock-)klassisch zu nennen, zwei Gitarren, Bass, Schlagzeug und Gesang, trotzdem ist es erstaunlich, was man mit dieser "altbackenen" und Samplerfreien Musik an Stilen und Gefühlen hervorzaubern kann, vorausgesetzt man beherrscht sein Handwerk so wie Drawn es tun.

Man lehnt sich hauptsächlich an den Death-Metal an, ist aber für jede andere Richtung innerhalb des Musikgeschehens offen. Oft gleitet so etwas ja in Beliebigkeit oder sogar Belanglosigkeit ab, wird eher zu einem Mischmasch der Stile als zu etwas Neuem, Eigenständigem. Den Norwegern gelingt es allerdings, souverän diese Klippen zu umschiffen. In dieser Eigenständigkeit dürfte aber wohl auch eine Gefahr liegen. So etwas kommt zwar innerhalb der "Schwarzen Szene" – um diesen inflationär verwendeten Begriff ebenfalls zu gebrauchen – gut an, schließt aber mehr oder minder aus, daß man größeren Kreisen bekannt wird; hat der Metal es allgemein schon nicht leicht, so erst recht, wenn er sich jeglichen Klischees und Schubladen zu entziehen weiß.

Wer also Metal mag und bereit ist, ausgetretene Wege zu verlassen, sollte es einmal mit den Norwegern versuchen. Beide CDs sind erhältlich bei Prophecy Productions, Kurfürstenstraße 5, 54492 Zeltingen-Rachtig.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen