© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    03/00 14. Januar 2000

 
CDU: In der Spendenaffäre gerät jetzt auch Schäuble unter Druck
Stoibers Stunde kommt
Paul Rosen

Das ungewöhnliche Finanzgebaren ihres früheren Vorsitzenden Helmut Kohl hat die die CDU in eine tiefe Krise gestürzt. Die Bruchstelle verläuft mittten durch die CDU. Die Partei steht entweder vor einer Spaltung, oder ihre droht die Implosion durch Stimmenentzug der Wähler – und damit ein ähnliches Schicksal wie ihrer italienischen oder französischen Schwesterparteien.

Kohl hat sich nicht nur als Patriarch entpuppt, wie ihn sein Nachfolger im Parteiamt, Wolfgang Schäuble, bezeichnete. Der Oggersheimer, von Außenminister Joschka Fischer als "drei Zentner fleischgewordene Vergangenheit" verspottet, stellte sein anonymen Spendern gegebenes Wort über die Gesetze, die er vorsätzlich brach. Damit offenbarte Kohl ein Staatsverständnis, das nicht wie die bundesrepublikanischen Traditionen in der 1848er Revolution gründet, sondern etwas später: Es ist die häßliche Fratze der Metternichschen Restauration, die durch Kohls Handeln schimmert. Seine Vision des vereinigten Europa – Kritiker haben das immer wieder hervorgehoben – ist nicht ein gemeinsames Europa der Nationen, sondern eher ein Kontinent, der von einer neuen k.u.k.-Monarchie – natürlich unter bürgerlichen Vorzeichen – beherrscht wird.

Schäuble steht vor einer fast unlösbaren Aufgabe: Einerseits muß er die Spendenaffäre aufklären, wobei sich Kohl jeder Mitwirkung verweigert. Das erschwert die Beendigung der Spendenaffäre. Andererseits kann Schäuble nicht den völligen Bruch mit Kohl vollziehen, weil er damit die Spaltung der Partei riskiert. Außerdem gerät Schäuble selbst immer tiefer in den Spendensumpf. Jetzt mußte er zugeben, daß auch er von dem nach Kanada geflüchteten Waffenhändler Karl-Heinz Schreiber Bargeld erhalten hat – 100.000 Mark ließ ihm im Umschlag überbringen – von unbekannten Spendern, deren Namen Schriber natürlich für sich behalten will. Schäuble will das Geld an die Schatzmeisterei gegeben haben, wo die Summe jedoch nicht als Spende, sondern als "Sonstige Einnahme" verbucht wurde – ein klarer Verstoß gegen das Parteiengesetz.

Diese "Peanuts" könnten Schäuble um sein Vorsitzendenamt und folglich auch um die Kanzlerkandidatur im Jahre 2002 bringen. Schon vor Bekanntwerden der Barspende an Schäuble war der Vorsitzende umstritten. Den Aufklärern, etwa der CDU-Generalsekretärin Angela Merkel, dem niedersächsischen Landeschef Christian Wulff und dem Fraktionsvize Friedrich Merz, geht Schäuble zu schonend mit Kohl um. Erst kritisierte er das partiarchalische System des Vorgängers, dann jedoch wollte er sich in der Öffentlichkeit nicht hinter seine Generalsekretärin Angela Merkel stellen, die Kohl indirekt zum Rückzug von allen noch verbleibenen Ämtern aufforderte. Und das, obwohl er den in der FAZ veröffentlichten Namensbeitrag seiner Generalsekretärin mit der scharfen Kohl-Kritik vorher abgesegnet hatte. Einige Wochen später zog Schäuble dann doch noch nach und erklärte die Ära Kohl offiziell für beendet – mit der Einschränkung, diese Ära sei allerdings schon am Abend der verlorenen Bundestagswahl zu Ende gegangen.

Man mag Schäuble sein ewiges Taktieren und Lavieren vorwerfen, doch der CDU-Chef hat gewußt, welche Gefahren ein scharfer Trennstrich zu Kohl für die Geschlossenheit seiner CDU mit sich bringt. Kohls Truppen sind noch zahlreich. Mindestens die Hälfte der Bundestagsfraktion steht noch eher hinter ihrem alten Kanzler als hinter dem neuen Vorsitzenden, in der Partei dürfte Kohls Gefolgschaft ähnlich groß sein. Je tiefer man in die Ebenen der CDU hinabsteigt, desto stärker werden die Sympathien für Kohl. Der nordrhein-westfälische CDU-Chef Jürgen Rüttgers, neben seinem Vorgänger Norbert Blüm einer der größten Verehrer des Oggersheimers, faßte die Stimmung an der Basis zusammen: "Beschädigt den Helmut Kohl nicht." Wie tief der Riß ist, der durch die Partei geht, zeigt die aktuelle Wahlkampfplanung: In Schleswig-Holstein wurde Kohl als Redner wieder ausgeladen, in Nordrhein-Westfalen soll der Altkanzler Wahlkampf machen.

Blüm, Rüttgers, aber auch jüngere CDU-Politiker wie Claudia Nolte und Arnold Vaatz, wollen keine Trennung von Kohl. Nach den vehementen Aufforderungen des CDU-Präsidiums, Kohl solle endlich die Namen der Spender nennen, ließ die Rache nicht lange auf sich warten. Die Kohl-Fraktion brachte Rüttgers als Gegenkandidaten für Schäuble auf dem Wahlparteitag in Essen im April ins Gespräch. Rüttgers dementierte. Doch Rüttgers dementierte nicht, daß er als Erbe von Schäuble bereitstehen könnte. Dieser Fall scheint jetzt, nachdem Schäulbe immer stärker in die Spendenaffäre hineinschlittert, akuter denn je zu sein.

Ohne eine einschneidende personelle Veränderung wird die CDU ihre Krise jedoch nicht mehr beenden können. Dazu scheinen nur zwei Möglichkeiten denkbar: Entweder leistet Kohl seiner Partei einen letzten Dienst und gibt sein Abgeordnetenmandat und den Ehrenvorsitz zurück. Oder Schäuble gibt das Amt des Vorsitzenden wieder auf und überläßt Jüngeren, etwa Rüttgers oder Merz, das Feld. Mit ihrer Botschaft der Aufklärung der Affäre kommt die Partei keinen Schritt weiter. Denn in der Öffentlichkeit hat sich längst der Eindruck festgesetzt, die CDU kläre nur das auf, was ihr ohnehin schon in Presseveröffentlichungen vorher an krummen Dingen nachgewiesen oder unterstellt worden ist.

Dafür hat Schäuble selbst den besten Beweis geliefert. An die ihm bar überbrachte Spende von Schreiber hätte er sich schon früher erinnern können, spätestens bis zur Vorstandsklausur in Norderstedt. Doch dort wollte Schäuble lieber die größte Steuerreform seit Bestehen der Bundesrepublik ankündigen – in der trügerischen Hoffnung, durch eine Rückkehr zur Sachpolitik könne die Spendenaffäre beigelegt werden.

Seit Beginn der Affäre hat sich die Bundespolitik verändert. Kanzler Gerhard Schröder scheint stark wie nie. Die Koalitionsschwierigkeiten scheinen momentan minimal, mit den neuen Steuerplänen überrundete Finanzminister Hans Eichel die Opposition. Die CDU hat nur noch eine beschädigte Führung aufzuweisen: Schäuble läßt massive Probleme beim Krisenmanagement erkennen und ist selbst in die Affäre verwickelt. Der Spitzenkandidat für Schleswig-Holstein, Volker Rühe, fällt in der öffentlichen Gunst immer stärker zurück. Rüttgers hat in Nordrhein-Westfalen vielleicht bessere Chancen, weil die SPD dort selbst in Affären verwickelt ist, so daß sich beide Parteien im negativen Sinne neutralisieren.

Das einzige Aushängeschild der Union ist im Moment noch der CSU-Vorsitzende Edmund Stoiber. Der bayerische Ministerpräsident, im Sommer selbst wegen der LWS-Bauaffäre in existenziellen Nöten, überstand diese Krise unbeschadet, indem er mit dem Rauswurf von Justizminister Alfred Sauter ein Opfer brachte, auf das die Öffentlichkeit wartete. Stoiber könnte jetzt nach der Kanzlerkandidatur greifen.

Doch von der traditionellen Klausurtagung der CSU-Landesgruppe in Wildbad Kreuth kamen nur Signale der Ratlosigkeit. Stoiber verzichtete auf den einzigen Rat, den er der großen Schwesterpartei hätte geben können: Sie muß das Problem durch eine Personalveränderung beseitigen, will sie nicht Gefahr laufen, die Wahlen dieses Jahres zu verlieren. Stoiber befindet sich in einer verzwickten Situation: Je schlechter der Zustand der CDU ist, desto besser sind seine Chancen auf die Kanzlerkandidatur. Doch gleichzeitig sind seine Chancen, mit einer geschwächten CDU Schröder im Jahre 2002 zu besiegen, eher gering.

Die CSU wirkt wie an die CDU gefesselt, von der großen Schwester immer weiter mit in die Tiefe gezogen. Die Parteienlandschaft könne sich verändern, wenn die Krise nicht beendet werde, sagte Stoiber in Kreuth. Das könnte die Botschaft von Kreuth gewesen sein: Die junge Berliner Republik nabelt sich von der CDU, der Mutter der rheinischen Nachkriegsrepublik, ab.


 
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