© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    03/00 14. Januar 2000

 
Schäubles Fall
von Dieter Stein

Nun zieht der "Alte" – Ex-CDU-Chef Helmut Kohl – seine Seilschaften mit in den Abgrund. Das System Kohl frißt seine Kinder. Helmut Kohls in Jahrzehnten aufgebauter Machtapparat, seit 1973 war er Vorsitzender seiner Partei, war bis in die letzten Gliederungen verzweigt. Kaum ein Politiker auf Landes- oder Bundesebene, der an ihm vorbei zu politischem Erfolg gelangte. Nur wenigen gelang gleichzeitig Opposition gegen den allmächtigen Parteipatriarchen und eigenständiger politischer Erfolg. Einer der wenigen ist der sächsische Ministerpräsident Kurt Biedenkopf, der sich in der Debatte um die Spendenaffäre interessanterweise dezent im Hintergrund hält.

Nun ist Helmut Kohl über den Geldkoffer des "Waffenhändlers" Schreiber gestürzt und reißt alles mit sich. Alleinherrscher dulden keine Kontrollinstanzen. In den Jahren hat sich der Vorsitzende Praktiken angeeignet, die ihn immer weiter in die Illegalität führten. Kohl erwartete nach dem Prinzip des Gewohnheitsrechts, daß dies schon alles so glatt über die Bühne gehen würde. Dabei nahm er offenbar Menschen in seiner direkten Umgebung in Haftung und sorgte dafür, daß sie sich in diese Praktiken verstrickten. Salamischeibenartig rückt die CDU seit Wochen Details über die Abgründe der Parteispendenpraxis heraus. Die, wie jetzt ans Licht kam, von Schreiber an Schäuble übergebenen 100.000 DM als Spende sind für eine Großorganisation wie die CDU ein kleiner Betrag, dennoch wird den Kohl-Nachfolger diese Summe, die er schon vor Wochen hätte offenbaren können, nun möglicherweise das Genick kosten.

Für Kohls Enkel – darunter frische Köpfe wie Friedrich Merz oder Christian Wulff – könnte dies bedeuten, daß sie schon bald die Verantwortung für die CDU übernehmen müssen. Eine Spaltung und ein Niedergang der Partei ist aber kaum zu erwarten. Wer soll die Trümmer der Union auffangen? Das Parteiensystem in Deutschland ist nicht so flexibel, die Wähler nicht so wechselfreudig und neuen Formationen aufgeschlossen wie in Italien.

Kommt es in der Folge zur Bildung einer neuen politischen Kraft in Deutschland? Wer sollte das bewerkstelligen? Wieder wäre vor allem viel Geld im Spiel. Womöglich wäre es ehrlicher, Industrielle würden, statt Geldkoffer an Parteipolitiker zu übergeben, wie Berlusconi in Italien selber Parteien gründen und sich politische Mehrheiten schlicht kaufen. Besser wäre aber eine Reform des Wahlrechts und des Parteiensystems durch:

• Stärkeres Gewicht auf die Direktwahl von Abgeordneten

• Abschaffung der Fünf-Prozent-Hürde

• und großzügige Ausweitung pläbiszitärer Mitbestimmung.


 
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