© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    03/00 14. Januar 2000

 
Parteien: Der Journalist Franz Alt über den Mitbegünder der Grünen, Herbert Gruhl
"Wir werden ernten, was wir säen"
Franz Alt

Schon im Herbst 1977 hat mir Herbert Gruhl in unserem Haus in Baden-Baden erzählt, daß er in der CDU keine politische Heimat mehr habe. Der Partei- und Fraktionsvorsitzende Helmut Kohl sei nicht einmal zum Gespräch über Umweltfragen mit ihm, dem Umweltsprecher der Bundestagsfraktion, bereit. "Kohl ist ökologisch ignorant und unsensibel. Partei und Fraktion sind einseitig industriegläubig." Ob ich ihm ein Gespräch mit Helmut Kohl vermitteln könnte, wollte Herbert Gruhl von mir wissen. Das konnte und wollte ich nicht. Ich bin Journalist und kein Parteipolitiker, wenn auch damals Mitglied der CDU. Als Leiter und Moderator des politischen Magazins "Report" bot ich Herbert Gruhl spontan ein Live-Interview über seinen Austritt aus der CDU an. Ein Jahr später war es soweit. Er las in "Report" einen Offenen Brief an Helmut Kohl vor, in dem er dem damaligen Oppositionsführer im Bundestag mangelnde Sensibilität in den Überlebensfragen der Menscheit vorwarf und seinen Parteiaustritt erklärte und begründete. Am nächsten Tag war sein Austritt eine der Spitzenmeldungen in den Zeitungen. Die grüne Bewegung war jetzt auf dem Weg zu einer Partei. Im Bundestag hatte sie in Herbert Gruhl ihren ersten Abgeordneten.

Der CDU-Bundestagsabgeordnete Herbert Gruhl hatte zuvor sein Buch "Ein Planet wird geplündert" geschrieben und wurde dafür quer durch die politische Parteienlandschaft viel gelobt und heftig kritisiert. Erstmalig und einmalig wurde darin von einem Politiker eine "radikale Umkehr" und eine "planetarische Wende" gefordert. Das Buch wurde ein Bestseller und war "Unseren Kindern" gewidmet. Die Weltprobleme, meinte der Autor, seien "Überlebensprobleme" geworden. Einer großen Öffentlichkeit war Herbert Gruhl zum ersten Mal aufgefallen, als er im Bundestag 1971 als erster Bundestagsabgeordneter auf das Waldsterben aufmerksam gemacht hatte.

Ich habe von Herbert Gruhl viel gelernt und werde ihm dafür immer dankbar sein. Für Dutzende meiner Fernsehfilme und Fernsehsendungen, aber auch für meine Bücher erhielt ich von ihm die entscheidenden Impulse.

Herbert Gruhl war ein begnadeter Vordenker und ein konsequenter Querdenker. Er paßte überhaupt nicht in das vor 25 Jahren vorherrschende Schema der Alt-Parteien der Bundesrepublik. Den klassischen Linken war er zu konservativ und den Konvervativen schien er zu links, weil er an die Zukunft dachte. So einfach und einfältig war damals Parteipolitik in Deutschland.

In seiner Schule durfte ich lernen, warum wir die "Grenzen des Wachstums" erreicht haben, warum "weniger mehr" sein kann und warum eine ökologische Steuerreform gut für die Umwelt, gut für die Wirtschaft und gut für viele neue Arbeitsplätze sei. Das Wort "ökologische Steuerreform" hatte ich nie zuvor gehört. Dank Herbert Gruhl weiß ich heute, daß die Ökologie das Kernthema aller Politik und Wirtschaft im 21. Jahrhundert sein wird; ja, daß das 21. Jahrhundert ein Jahrhundert der Umwelt werden wird – ein Jahrhundert echter, ehrlicher und konsequenter Umweltpolitik oder ein Jahrhundert mit heute noch kaum vorstellbaren Umweltkatastrophen. Wir werden ernten, was wir säen. Das ist ein Naturgesetz, auf das schon die Heiligen Schriften aller Weltreligionen hingewiesen haben. Goethe sagte es so: "Die Natur hat immer recht."

Herbert Gruhl war ein Schreibtischtäter im besten Sinne des Wortes. Am Schreibtisch war er ein Stratege. Sein gerade erschienenes Buch war atemberaubend neu für mein altes Alt’sches Denken, es war er erfrischend radikal und viel zukunftsorientierter und konkreter als alle Thesen der 68er-Bewegung zusammen.

Zugleich erkannte ich die Schwäche in Herbert Gruhl als handelnder Politiker. In seinen öffentlichen Auftritten wirkte er steif und hölzern. Die Ausstrahlung seiner politischen Theorien erreichte der politische Redner nie. Seine "Grenzen des Wachstums" wurden deutlich, als er sich als Parteivorsitzender der Grünen Aktion Zukunft (GAZ) und später der Ökologisch-Demokratischen Partei (ödp) versuchte. Seine eigenen Grenzen ließen ihn beinahe verzweifeln. Er wollte unbedingt persönlich korrigieren, was er politisch für falsch hielt. Sein Vertrauen in die Kraft des Geistes war begrenzt. Als er sich Mitte der achtziger Jahre immer mehr nationalistischen Ideen näherte und eine Asylpolitik vorschlug, die ich nur noch als ausländerfeindlich emfpinden konnte, erlebte ich einen verbitterten Herbert Gruhl. Daß er so wenig Sensibilität für die Not ausländischer Mitbürger entwickeln konnte wie die Vertreter der "Alt-Parteien" gegenüber der Umwelt, konnte und wollte er nicht einsehen.

In dem Buch "20 Jahre ödp" wird von seinen parteipolitischen Mitstreitern behauptet, daß Herbert Gruhl sowohl bei der Gründung der GAZ wie auch der ödp wenig demokratisch und recht ungeduldig vorgegangen sei. Ob das stimmt, vermag ich nicht zu beurteilen. Aber ich weiß aus vielen Gesprächen mit ihm bis kurz vor seinem Tod, daß die Ungeduld in ihm immer heftiger wurde. Gelassenheit war nicht seine Stärke – auch nicht Vertrauen in die Schöpfung.

Herbert Gruhl hat Parteigründungen von oben versucht – mit ihm selbst als dem "geborenen Vorsitzenden" – ein verhängnisvoller Geburtsfehler, von dem sich die ödp erst spät erholen konnte. Ein ökologisches Prinzip ist, daß, was wachsen soll, "von unten" wachsen muß. Was von unten wächst, ist echt, weil es wie von selbst wächst.

"Es gibt keine Rettung mehr", hatte mir der krebskranke Herbert Gruhl kurz vor seinem Tod am Telefon gesagt und – als ich widersprach – verzweifelt hinzugefügt: "Woher soll sie denn kommen?" Sein letztes Buch hatte den programmatischen Titel "Himmelfahrt ins Nichts – Der geplünderte Planet vor dem Ende". Seinem letzten Essay im Spiegel gab er die Überschrift "Ende der Menschheit".

Jeder, der schreibt, schreibt immer auch über sich selbst. Keiner schreibt über sich hinaus. Das gilt selbstverständlich auch für den politischen Schriftsteller und programmatischen Anstifter Herbert Gruhl.

Um die Jahreswende 1983/84 hatte Herbert Gruhl noch voller Optimismus geschrieben, "das Höchste" sei, "die Zukunft offen zu halten". In seinem Buch "Glücklich werden die sein… Zeugnisse ökologischer Weltsicht aus vier Jahrtausenden" hatte er ein tiefenökologisches Lesebuch voller ökospiritueller Texte vorgelegt, das bis heute zu wenig beachtet wurde. Ein überraschendes Buch in einer wohl glücklichen Schaffensphase. Texte aus buddhistischen und christlichen Heiligen Schriften, aus indianischen und abendländischen philosophischen Quellen, von griechischen Naturphilosophen und Naturpoeten des 20. Jahrhunderts; vom Gilgamesch-Epos bis Leonardo da Vinci und dem grünen Goethe hat er Texte ökologischen Denkens und Empfindens aus vier Jahrtausenden zusammengetragen.

Wir benutzen heute die fossilen Energie- und Rohstoffreserven, als seien wir die letzte Generation. Wahrscheinlich sind wir aber die erste Generation, die dabei ist, ihren Brut-Instinkt zu verlieren. Die Alternativen, die so reichlich vorhanden sind, daß alle Menschen ein glückliches Leben führen können, sehen wir in unserer Zukunftsblindheit kaum. Daß die Sonne uns täglich 15.000mal mehr Energie zur Verfügung stellt als derzeit alle Menschen verbrauchen, ist noch immer nicht ins allgemeine Bewußtsein vorgedrungen.

Erneuerbare Energiequellen werden die ökonomische Entwicklung der Dritte-Welt-Staaten erlauben. Und ökonomische Entwicklung dort führt ganz natürlich zum Stop des Bevölkerungswachstums, ja sogar zum Rückgang der Bevölkerung so wie heute schon in Deutschland. Solchen möglichen positiven Entwicklungen hat Herbert Gruhl grundsätzlich mißtraut. Hier müssen wir über ihn hinausdenken und handeln.

Im Schlußwort von "Glücklich werden die sein…" finden wir jenen Ur-Gruhl, der uns auch im 21. Jahrhundert viel zu sagen hat: "Was in diesen Jahren als ‘die Krise’ bezeichnet wird, ist bereits die Wende, ja sogar der einzig mögliche Weg zur Gesundung. So wie der Kranke das Fieber braucht, so müssen die Völker durch Nöte hindurch, damit sie auf den Boden der Erde zurückgeholt werden. Auf diesem Planeten ist keinem Lebewesen eine bestimmte Form der Daseinsgestaltung garantiert, ein jedes hat sich anzupassen, auch der Mensch. Was jetzt als ‘unzumutbar’ erscheint, wird sich als heilsam erweisen. Wenn eine junge Generation heute nach Aufgaben ruft, dann ist ihr zu antworten: Größere hat es nie egeben! Aber die rühmlichen Taten der Zukunft werden aus Unterlassungen bestehen; denn das Gebot der Bewahrung wird das höchste sein! Vor dem Jahr 2000 und hinfort gibt es keine rühmlichere und edlere Aufgabe als die Rettung unserer Erde."

Hier schimmert durch, was eine ökologische Partei programmatisch für das neue Jahrtausend anzubieten hat und was die heutige und künftige Umweltpolitik sowie die heutige und künftige Umweltbewegung von ihrem großen Lehrer Herbert Gruhl lernen kann: Die Ökologie wird die Ökonomie des 21. Jahrhunderts, es wird keinen Weltfrieden geben ohne Frieden mit der Natur, die Technik allein wird uns nicht retten; wir brauchen ein ökologisches Weltethos, das in den Heiligen Schriften aller Religionen fundiert ist; zum Beispiel beim "ökologischen Jesus". Seine Intention heißt: Macht euch der Erde untertan.

Maß und Mitte, Freiheit und Gerechtigkeit, Frieden und Liebe sind die spirituellen Grundwerte, mit deren Hilfe jede zukunftsfähige Politik gestaltet werden muß.

 

Dr. Franz Alt, Journalist, Leiter und Moderator der Zukunftssendung "Zeitsprung" im SWF und der 3sat-Sendung "Querdenker", war lange Jahre Moderator des Fernsehmagazins "report". 1997 erhielt er den Europäischen Solarpreis. Zahlreiche Buchveröffentlichungen, u.a.: Frieden ist möglich (1983), Schildgras statt Atom (1992), Die Sonne schickt uns keine Rechnung (1994). Im vergangenen Jahr erschien das Buch "Der ökologische Jesus. Vertrauen in die Schöpfung" (Riemann-Verlag). Der vorstehende Beitrag ist mit freundlicher Genehmigung des Autors dem Sammelband "20 Jahre ödp. Anfänge, Gegenwart und Perspektiven ökologisch-demokratischer Politik" (Dolata-Verlag, Rimpar 1999) entnommen.


 
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