© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    02/00 07. Januar 2000


Kolumne
Selbstzerstörung
von klaus Horung

Es ist atemberaubend: Der europäische Rechnungshof hat der Europäischen Kommission zum fünften Mal in Folge "nicht ordnungsgemäße Haushaltsführung" bescheinigt, Verfahren, die jeder ordentlichen Buchführung spotten. Nicht einmal die institutionellen und personellen Verantwortlichkeiten für Postenschieberei, Vetternwirtschaft und schlichte Korruption sind geregelt. Da vier Fünftel der 85 Milliarden Euro, also rund 160 Milliarden Mark für Agrarsubventionen, Regionalhilfen und Zuschüsse für den EU-Sozialfonds für den zweiten Arbeitsmarkt etc. von den Behörden der Empfängerländer verwaltet werden, fühlt Brüssel sich nur begrenzt zuständig für die Milliardenverluste dieser gigantischen Umverteilungsmaschinerie.

Noch kann man ja alle Schuld auf die alte, wegen ihres Korruptionssumpfes zurückgetretene Kommission schieben. Doch bis jetzt hat man nicht den Eindruck, daß die neue Kommission unter Romano Prodi mit seinem schlitzohrigen Charme die dringend notwendigen Reformen an Haupt und Gliedern zustandebringen werde. Die Schäden der Selbstbedienung sind heute zu tief in Geist und in den Institutionen der EU verankert. So gibt es seit Jahren die Praxis, daß Kommission und Rechnungshof Monate Zeit haben, sich über den Bericht an das Parlament "abzustimmen", so daß die Möglichkeit besteht, die schlimmsten Brocken dem Parlament vorzuenthalten. Wenn jetzt Frau Diemut Theat (CDU), die Vorsitzende des Haushaltsausschusses des EU-Parlaments, dieses Verfahren kritisiert, hat man den Eindruck, daß die EU erst seit gestern und nicht schon seit Jahrzehnten besteht. Wieviele Milliarden Steuergelder aus den Mitgliedsstaaten mögen in diesen Jahrzehnten insgesamt verschwendet worden sein!

Das schlimmste aber ist, daß die Verantwortlichen von keinerlei Schuldgefühlen geplagt werden. Sie scheinen für "normal" zu halten, die Jacques Santer, Edith Cresson, Monika Wulf-Mathis und so fort, daß Traumgehälter noch durch korruptes Zubrot aufgebessert werden. Und wenn sie endlich in politischer Schande abtreten müssen, dann fallen sie ja auch in weiche Betten und nicht der Sozialhilfe anheim, die sie zur Strafe eigentlich verdienen würden. Und bei den Behörden in den europäischen Südländern, die den Hauptteil des Euro-Segens abbekommen, ist man von demokratischer Verantwortungsethik ohnehin meilenweit entfernt. Dem FAZ-Kommentar kann man nur zustimmen: "Wer so leichtfertig mit den Milliardenhilfen aus Brüssel umgeht, darf sich nicht wundern, wenn Europa bei den steuerzahlenden Bürgern nicht mehr ankommt." In Brüssel herrscht der Geist europäischer Selbstzerstörung, doch wer das sagt, gilt als böser Bube.

 

Prof. Dr. Klaus Hornung lehrte Politikwissenschaft an der Universität Stuttgart-Hohenheim.


 
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