© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    52/97 u. 01/98  19. Dezember / 26. Dezember 1997

 
 
Eingeschränkte Wahrnehmung: Die Bundeszentrale für politische Bildung und die Vorurteile
Tic, Tac, Vorurteil...
von Claus-M. Wolfschlag

Die Zeitlupe, eine für Schüler konzipierte Schrift der Bundeszentrale für politische Bildung, hatte sich in ihrer Ausgabe 33 einer schwierigen Thematik angenommen. "Vorurteile" lautete das Themenheft und hinterließ streckenweise fast mehr Verwirrung als Aufklärung. Als Credo schien man mitteilen zu wollen, daß immer wenn das Gefühl von Abneigung bei der Beurteilung einer Erscheinung mitschwingt, von einem "Vorurteil" gesprochen werden müsse. Die "noch zulässige" Verallgemeinerung würde somit schnell zum "unzulässigen" Feld von Vorurteilen, wenn das Bild der Wir-Gruppe, "also von der eigenen Nation" überwiegend positiv, das Bild der Fremdgruppe überwiegend negativ besetzt sei. Nur die friedfertige Zurückstellung jeglicher Aversionen gegenüber anderen Personen kann demnach davon befreien, vom Bannstrahl des Begriffes "Vorurteil" getroffen zu werden. Zulässig ist angesprochene Abneigung dann allerdings in Ausnahmen für die Bundeszentrale doch, in der Regel gegen angeblich rechtsgerichtete Phänomene, die beispielsweise "übersteigerten Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit" an den Tag legen. Vertreter dieser Richtung wurden als "die lauten Verführer von rechts" gebrandmarkt. Ihnen gegenüber wurde der kölsche Slogan "Arsch huh, Zäng ussenander! Gegen Rassismus und Neonazis" als "Zivilcourage" bewertet und das hatte natürlich trotz der kämpferischen Ablehnung nichts mit "Vorurteil" zu tun.

Ähnliches traf beispielsweise auf Haltungen zu, die nicht für die Gleichheit der Geschlechter eintreten, also logischerweise "Vorurteile" gegen Mädchen hegten. Nicht ausdrücklich genannt wurden in der Zeitlupe auch "Vorurteile" von angeblichen "Arbeiterführern" gegen angeblich besitzende Schichten, "Vorurteile" von Feministinnen gegen Männer, "Vorurteile" von Punkern gegen Anzugträger…

Auch die inszenierten Bilder aus dem Film "Schindlers Liste", die in der Zeitlupe zur pädagogischen Betrachtung vorgestellt werden, scheinen demnach nichts mit "Vorurteilen" zu tun zu haben. Hier wurde nur nach den "Gefühlen" der Betrachter gefragt. Dies, obwohl das Stichwort "Klischee" im Vorurteils-ABC der Zeitschrift zu finden war. Merkwürdig nur, daß die offensichtlichen Vorurteile und Aversionen nicht von der Bundeszentrale thematisiert werden, die derzeit zunehmend in Massenmedien auftauchen.

Man nehme nur den vergleichsweise harmlosen Part weiblicher deutscher Rapperinnen: Während ihre männlichen Kollegen in Herzensschmerz-Balladen von ihrer Sehnsucht nach der Geschlechterharmonie singen – zum Beispiel "Der Wolf" mit seiner "kleinen Frau aus Seide" oder "Cappuccino" mit "Ich vermiß dich" – sieht das bei den Mädels ganz anders aus. Sabrina Setlur beispielsweise bewegt sich in ihrem letzten Clip in Form einer Pantherin in einem Glaskäfig um "Dieses Leben ist mir" und "bitte, bitte, laß mich in Ruh" als Zeichen weiblicher Souveränität in die Welt zu posaunen. Die "Funky Diamonds" trällern recht selbstbewußt "If you want to be my lover" und fesseln in ihrem Videoclip ein konsterniertes männliches Model.

Am augenscheinlichsten treten Vorurteile und Aversionen aber bei der inzwischen zerstrittenen Girl-rap-band "Tic, Tac, Toe" auf, deren Lieder sich im Grunde nur darum drehen, ein aggressives Jungmädchenpotential zu pflegen. Ob "Ich find dich scheiße", "Leck mich am A…", "Mr. Wichtig" oder "Ich wäre gern so blöd wie du" (wobei klugerweise offengelassen wird, in welche Richtung sich der Intelligenzquotient dabei verschieben müßte) – permanent werden massive Ressentiments und Vorurteile gegen blonde Frauen, sowie Männer gepflegt, die noch – in ihrer Körperlichkeit oder ihrem Sozialstatus – Reste männlichen Selbstvertrauens konserviert zu haben scheinen. "Tic, Tac, Toe" haben mittlerweile würdige Nachfolgerinnen gefunden. Die fabulösen "Thekenschlampen" erklären in ihrem neuen Hit "Schlecht im Bett", daß der Mann von heute nicht nur Geld haben, gut aussehen und nett sein muß, sondern sich auch noch sehr strengen sexuellen Bewertungskriterien der über alle Maßen selbstverliebten deutschen Mädchenherrlichkeit zu unterziehen hat, um nicht dem Bannstrahl der Ablehnung zu erliegen.

Man sieht also, daß Vorurteile auch in jugendspezifischen Teilen unserer Medienöffentlichkeit mehr denn je grassieren. Ein Faktum, das den Damen und Herren der Bundeszentrale für politische Bildung bislang offenbar entgangen ist.

Die Medien geben zunehmend bestimmte Menschenbilder vor, die darauf angelegt sind, unmittelbar die Zustimmung oder Ablehnung der Mediennutzer auszulösen. Da ist es schön zu wissen, daß man heute, wenn man die eigenen Vorurteile hintanstellt, gleich ein paar fertig durch die Medien produzierte Vorurteile als Ersatz dafür bekommt. Wie schön, daß unsere Gesellschaft immer globaler wird. Da steht es uns gut an, wenn wir aus lauter Angst vor "Vorurteilen" lieber gleich gar keine eigenen Urteile aus Lebenserfahrung zu fällen in der Lage sind, sondern die Produktion von Vorurteilen denjenigen überlassen, die bekanntermaßen etwas davon verstehen: den Medien.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen