© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    52/97 u. 01/98  19. Dezember / 26. Dezember 1997

 
 
Nachruf: Am 5. Dezember 1997 erlag Rudolf Bahro 62jährig seinem Krebsleiden
Dissident und Apokalyptiker
von Gerhard Quast

Von Wolf Biermann stammt die hintergründige Liedzeile "Nur wer sich ändert, bleibt sich treu". Dieses Lebensmotto ernst genommen hat mit Sicherheit der kürzlich verstorbene Philosoph und DDR-Regimekritiker Rudolf Bahro. Er ist zeit seines Lebens ein "Wanderer zwischen den Welten" geblieben, immer auf der Suche nach Nischen und alternativen Lebensformen in einer als feindlich empfundenen Umwelt: Vom idealistischen Kommunisten, zum Kritiker desselben, vom DDR-Dissidenten zum grünen Parteifunktionär, vom nationalen Träumer zum Künder einer die Menschheit verschlingenden Apokalypse. Mal war er Skeptiker, mal ein auf Veränderung Hoffender. Nie fühlte es sich ganz zu Hause, weder im "real existierenden Sozialismus" noch in der als "soziale Marktwirkschaft" verbrämten Bundesrepublik. Ost und West hatten für ihn mehr Gemeinsames als Trennendes: beide hatten sich – trotz aller Unterschiede –einer Idee verschrieben, der Idee des Fortschritts auf Kosten der Natur und des Menschen. Am Ende seines Lebens war Bahro schließlich bei einem utopisch-libertären Ökosozialismus angelangt, der Kultur und Natur miteinander versöhnen sollte.

Geboren im schlesischen Bad Flinsberg (Isergebirge), studierte er von 1954 – dem Jahre seines Eintritts in die SED – bis 1959 Philosophie an der Humboldt-Universität in Berlin. Nach seinem Studium war er als Redakteur bei verschiedenen Zeitschriften tätig, unter anderem ab 1965 als stellvertretender Chefredakteur bei der Studentenzeitschrift Forum. Von 1967 bis 1977 war er Abteilungsleiter für Arbeitsorganisation in einem Gummikombinat in der "Hauptstadt der DDR". Während dieser Zeit (von 1972 bis 1975) schrieb er an seiner Dissertation über den Einsatz von Hochschulkadern in sozialistischen Betrieben. Auf Druck des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) wurde die Arbeit mit der Begründung abgelehnt, sie genüge nicht den wissenschaftlichen Anforderungen (1980 unter dem Titel " Plädoyer für schöpferische Initiative" erschienen). Bereits damals arbeitete er – unter den Augen der Stasi (er wurde von seiner eigenen Frau bespitzelt) – auch am Manuskript für seine fundamentale Kritik am "real existierenden Sozialismus". Als im August 1977 ein Vorabdruck aus "Die Alternative" (Köln 1977) im Hamburger Spiegel erschien und Bahro in Interviews gleich mehrfach sein vernichtendes Urteil via Westfernsehen in der DDR verbreiten konnte, wurde er vom MfS wegen des Verdachts "nachrichtendienstlicher Tätigkeit" verhaftet und im Juni 1978 vom Berliner Stadtgericht zu acht Jahren Freiheitsentzug verurteilt. Die Richter begründeten die harte Strafe damit, daß er "Nachrichten für eine ausländische Macht" übermittelt und "Geheimnisverrat" betrieben habe.

Anlaß für seinen Umdenkungsprozeß war der Einmarsch der Warschauer Truppen in die CSSR und die Niederschlagung des "Prager Frühlings".

Zwei Jahre seiner Strafe mußte er in Bautzen absitzen. Aufgrund der anhaltenden Proteste und Ehrungen – Bahro erhielt u.a. 1979 von der Internationalen Liga für Menschenrechte die Carl-von-Ossietzky-Medaille – sah sich die DDR-Führung schon nach zwei Jahren genötigt, ihn anläßlich des 30. Jahrestages der DDR im Oktober 1979 zu amnestieren und in den Westen abzuschieben.

In der Bundesrepublik engagierte er sich unmittelbar danach (bis 1985) bei den Grünen, die in ihrer Anfangszeit ("Weder rechts noch links") auch unbequemen Denkern – wie beispielsweise Herbert Gruhl – eine Heimat boten. Im März 1980 setzte Bahro an der Uni Bremen seine akademische Laufbahn fort, promovierte (1980) und habilitierte (1983) sich an der Uni Hannover.

Für Aufregung sorgten besonders seine bei vielen auf Unverständnis stoßende Eskapaden, die Phase als Sannyasinj (Bhagwan-Anhänger), nationalpazifistische Töne in der Zeit der Friedensbewegung und zuletzt wieder bei seinem Auftritt auf dem Sonderparteitag zur Umbenennung der SED in "SED-PDS" im Dezember 1989.

Im Jahr der Vereinigung erhielt er die Chance, als außerordentlicher Professor für Sozialökologie an der Humboldt-Uni Vorlesungen zu halten. Die immer gut besuchten Veranstaltungen lockten dogmatische PDSler gleichermaßen in den Hörsaal wie Esoteriker unterschiedlichster Schattierungen. Seine Forschungsthemen entsprachen ganz dem, was er einige Jahre vorher unter dem Titel "Logik der Rettung. Wer kann die Apokalypse aufhalten?" (Stuttgart 1987) zu Papier gebracht hatte. In seinem "Versuch über die Grundlagen ökologischer Politik" wagt er eine Fundamentalkritik an der Industriegesellschaft und den von ihr geprägten Wirtschafts- und damit einhergehenden Lebensweisen, denen er nicht nur mittels seiner Lehrveranstaltungen, sondern auch durch die von ihm inspirierten Landkommunen alternative Formen entgegenzusetzen versuchte.

"Wenn wir das Abenteuer der menschlichen Existenz nicht vorzeitig beenden, Raum und Zeit für ihren eigentlichen Sinn bewahren wollen, dürfen wir auf dieser endlichen Erde nicht länger einen schrankenlos expansiven Lebensstil pflegen." Auch der gegenwärtige Umweltschutz laufe im Grunde auf eine "weltzerstörerische Massenproduktion hinaus" und sei eben nicht Voraussetzung für die Welterhaltung, so Bahro 1992. Denn im Moment kuriere man an Symptomen herum, nehme sich aber nicht der Ursachen an, der in seinen Augen notwendigen "Lebensreform, die wesenhaft auf Selbstbegrenzung und die entsprechende nachhaltige Kreislaufwirtschaft hingeordnet" sein müßte. Ziel sei eine Subsistenzwirtschaft, die durch"einfache statt erweiterte Reproduktion der materiellen Existenzgrundlage" charakterisiert sein müßte. Zudem müßten alle Einheiten "von überschaubarer Größe" sein und sich im wesentlichen "auf unmittelbare Kommunikation zwischen den Menschen gründen". An der Basis sollte soziales Leben wieder ermöglicht werden, denn auch nur dort seien "echte Autorität und herrschaftsfreier Umgang miteinander vereinbar". Das Lob der kleinen Einheiten, der persönliche Umgang des Menschen mit dem Menschen war für ihn allein erstrebenswert. Nur so sei die gegenwärtige Distanz der Menschen zu ihrer Umwelt überwindbar. Letztendlich ging es ihm um eine Lebensform, "die von allen Menschen der Welt verträglich (kulturell autonom, friedlich nach innen und außen) praktiziert werden könnte" – eine konkrete, aber letztlich doch phantastische Utopie.

Daß derartige Lebensentwürfe Kopfschütteln hervorrufen würden, läßt sich denken. Erstaunlicher ist hingegen, daß nicht – wie angenommen werden könnte – seine Analyse der inzwischen verblichenen Ostblockstaaten ihn ins Schußfeld linker Kritiker brachte, sondern ausgerechnet seine fundamentale Kritik am Wachstumsdenken zu dem völlig absurden Vorwurf des "Ökofaschismus" und schließlich sogar dazu führte, daß während einer Vorlesung Bahros Pflastersteine durch die Scheiben flogen.

Bis zuletzt träumte Bahro die Utopie eines libertären Ökosozialismus, in dem die Menschen menschlich miteinander umgehen würden – auch die Steinwürfe gegen ihn haben dieser Hoffnung keinen Abbruch getan. Am Freitag vor zwei Wochen starb Bahro 62jährig.


 
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