© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    52/97 u. 01/98  19. Dezember / 26. Dezember 1997

 
 
Austellung: Feldpost jüdischer Soldaten im Ersten Weltkrieg
"... mit deutschem Gruß"
von Thomas Kay/Philipp Kalk

Mehr als 500 jüdische Soldaten nahmen an den Befreiungskriegen von 1813/14 teil. Im Ersten Weltkrieg entrichteten Deutsche jüdischen Glaubens einen Blutzoll von 12.000 Gefallenen. Darüber hinaus wurden 1.500 Juden zu Offizieren ernannt, 8.500 erhielten das Eiserne Kreuz 2. Klasse und weitere 80 das Eiserne Kreuz Erster Klasse. Noch mehr als diese Fakten selber beeindruckt aus heutiger Perspektive die Loyalität der jüdischen Bevölkerung zu Deutschland. Jenen, die die gemeinsame Geschichte allzu oft auf die Frage von Schuld und Sühne reduzieren, mag diese Loyalität bizarr und unverständlich erscheinen. Allein schon um diese bundesdeutschen Scheuklappe abzulegen, lohnt der Besuch der im Berliner Centrum Judaicum stattfindenden Ausstellung "Es grüßt Sie Ihr dankbarer Zögling – Feldpost jüdischer Frontsoldaten aus dem 1. Weltkrieg". Sie vermittelt einen Einblick in einen Abschnitt deutscher Geschichte, als Juden sich – vermittels des formell durch das preußische Gleichstellungsgesetz von 1812 initiierten Integrationsprozesses – als Deutsche fühlten und entsprechend handelten.

Kernstück der Ausstellung ist eine Auswahl von 18 Briefen (von insgesamt 748), die die Soldaten aus dem Feld an ihren ehemaligen Direktor des Reichenheimschen Waisenhauses Dr. Siegmund Feist richteten. Dr. Feist, der auf pädagogischem Gebiet von preußischer Strenge war, galt auch als Verfechter umstrittener wissenschaftlicher Thesen. So proklamierte der Verfasser eines gotischen Wörterbuches zum Ärger völkischer Lehrstuhlinhaber, daß es keine jüdische Rasse gebe. Der bedeutende "Germanenforscher" beendete seine Arbeit für das Waisenhaus 1935 und emigrierte mit seiner Familie 1939 nach Kopenhagen, wo er 1943 verstarb.

Dem aufmerksamen Leser der Briefe erschließt sich so manches Capriccio. So unterschrieb der Sanitätshundeführer Adolf Lehmann seine Post "mit deutschem Gruß". Und Musketier Kurt Stern merkte an, daß man in Belgien zwar auch "Spuren vom Krieg" sehe, daß aber "deutscher Fleiß" vieles wieder aufgebaut habe. Ähnliche Beispiele deutschen Wirkens teilt der Unterarzt Otto Köhler von der Ostfront mit: "Rührend war es, mitanzusehen, wie unsere (…) Sanitätssoldaten sich um die Verwundeten bemühten, ob Freund oder Feind war gleichgültig. Ich sah, wie unsere Soldaten nach Wasser flehenden Russen ihren letzten Tropfen aus der Feldflasche reichten. Ich sah auch einmal, wie ein russischer Gefangener bei bitterer Kälte seinen Mantel auszog und damit einen schwerverwundeten deutschen Kameraden zudeckte." Ein Verstoß gegen die Reemtsma-Version deutscher Militärtradition?

Als weitere Exponate werden Flugblätter unterschiedlichster Herkunft präsentiert, die gegen Kriegsende in Deutschland zirkulierten. Aus heutiger Sicht mag es verwundern, daß gerade auch die kommunistische Seite in ihrer Propaganda antisemitische Töne anschlug wie: "Lenin sagt: Unter 100 Bolschewisten befinden sich 60 Dumme, 39 Verbrecher und ein echter, das heißt ein Jude. Dieser eine zieht den Gewinn, die 39 Verbrecher führen den Kampf und die 60 Dummen lassen sich totschlagen." Dagegen fühlten sich die Verfasser einer weiteren Flugschrift – laut eigenem Bekunden Nichtjuden – verpflichtet, ihre jüdischen Kameraden zu verteidigen und zur Ächtung der wahren Schuldigen an der deutschen Misere aufzurufen.

Scharfsichtigen Zeitgenossen erschien der eingangs erwähnte Assimiliationsprozeß allerdings schon zu seiner scheinbaren Glanzzeit innerlich und äußerlich als fragil und gefährdet. Der Religionsphilosoph Gershom (ehemals Gerhard) Scholem, vor genau hundert Jahren als Sohn einer liberalen jüdischen Familie geboren und bereits lange vor Hitler Machtergreifung nach Palästina ausgewandert, schrieb in seinen Jugenderinnerungen von einem "Prozeß geistiger Zerfaserung des Judentums". Der Wunsch nach Selbstaufgabe und der nach menschlicher Würde und Treue zu sich selbst hätten sich dialektisch verschränkt. Die Hoffnung auf gesellschaftliche Emanzipation, die teilweise eine Hoffnung auf Verschwinden im deutschen Volk war (eine Auffassung, die von den nichtjüdischen Kämpfern für die Emanzipation weitgehend geteilt wurde), lag im Widerstreit mit der allgemeinen Erfahrung des wachsenden Antisemitismus. Scholem zitiert eine Äußerung Werner Sombarts von 1912, die damals bei den Juden großes Aufsehen erregte: Sie besagte, die rechtliche Gleichstellung und Emanzipation der Juden solle formal nicht aufgehoben werden, aber die Juden sollten von ihr vor allem im öffentlichen Leben keinen Gebrauch machen. "Das war, noch vor dem Ersten Weltkrieg, ein stärkeres Sturmzeichen als alle von alldeutscher und direkt antisemitischer Seite kommenden", so Scholem.

Bereits während des Krieges nahm die antisemitische Kampagne derartige Ausmaße an, daß das Kriegsministerium sich 1916 genötigt sah, eine Untersuchung durchzuführen um dem Vorwurf, daß Juden sich vor dem Kriegsdienst drücken würden, nachzugehen. Die öffentliche Kontroverse über diese von Juden wie Nichtjuden als ehrenrührig empfundene Untersuchung wird durch Artikel diverser Zeitungen dokumentiert. Diese Erhebung kann – so die für die Ausstellung verantwortliche wissenschaftliche Mitarbeiterin – als der Anfang vom Ende der bis dato weit fortgeschrittenen Integration der Juden angesehen werden. Die sich hier manifestierende Tendenz, Juden zunehmend nicht als "normalen" Teil des deutschen Volkes anzusehen, scheint heutzutage von den Medien perpetuiert zu werden. So äußerte besagte Mitarbeiterin in diesem Zusammenhang Unverständnis darüber, daß der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Ignatz Bubis, sich ständig zu Randgruppenfragen äußere.

Daß die deutschen Juden sich inzwischen überwiegend zuallererst als Deutsche empfanden, zeigt ein Blick in die ausgestellte Presse jüdischer Provenienz anno 1914. Obwohl normalerweise heillos zerstritten, veröffentlichten Organe verschiedenster Couleur – von liberal bis zionistisch – folgenden Aufruf: "Deutsche Juden! In dieser Stunde gilt es für uns aufs neue zu zeigen, daß wir stammesstolzen Juden zu den besten Söhnen des Vaterlandes gehören… Deutsche Juden, wir rufen euch auf im Sinne des alten jüdischen Pflichtgebotes mit ganzem Herzen, ganzer Seele und ganzen Vermögen euch dem Dienste des Vaterlandes hinzugeben." Dem ist nur noch ein Satz von Golo Mann hinzuzufügen: "…diese jüdischen Kriegsfreiwilligen von 1914 und 1917 – es gab nichts deutscheres."

Die Ausstellung ist bis zum 29. Januar 1997 im Centrum Judaicum, Berlin-Mitte, Oranienburger Straße 29, geöffnet. Die Abbildungen sind dem Buch "Die Juden in Deutschland von der Römerzeit bis zur Weimarer Republik" von Nachum T. Nigal, Könemann Verlag Köln 1997, entnommen.


 
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