© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    52/97 u. 01/98  19. Dezember / 26. Dezember 1997

 
 
Pankraz, S. Huntington und das Treffen Chirac-Kohl-Jelzin

Das für nächstes Frühjahr in Aussicht genommene Dreiertreffen zwischen Chirac, Kohl und Jelzin regt die Phantasie der Strategen mächtig an; hier und da wird schon von einer zukünftigen "neuen Achse" Paris-Berlin-Moskau gesprochen, die sich unter Umständen sogar noch bis nach Peking verlängern werde, so daß dann also eine Achse Paris-Berlin-Moskau-Peking entstehe, der "eurasische Block", mit heimlicher (oder auch gar nicht so heimlicher) Stoßrichtung gegen die amerikanische Dominanz. Gute Zeiten für geopolitische Kamingespräche.

An konkreten Verabredungen wird bei dem Treffen wohl nichts herauskommen, aber allein das Zustandekommen wäre bereits ein historischer Markstein. In der Politik sind ja die Kulissen, auch wenn sie aus Pappe sind, oft wichtiger als das Stück, das in ihnen aufgeführt wird. Der Ton allein erzeugt hier schon Musik: Gesten, Phrasen, Fernsehbilder, eine gewisse Rhetorik.

Unübermerkbar ist auch, daß sich globusweit Verdrießlichkeit über die amerikanischen Weltgendarm-Allüren ausbreitet, zumal da die Rezepte, die Washington nach dem Zusammenbruch des Sowjetblocks den neuen Regierungen offerierte, nirgendwo wirklich angeschlagen haben. Die "reine Marktwirtschaft ohne Adjektive", will sagen: die ungenierte Absahnerei im Geiste des Milton Friedman, ist nicht nur in Prag spektakulär gescheitert. Die Völker wollen so etwas nicht, und wer dergleichen mit dem Eifer eines Religionsstifters als Wundermittel gegen sämtliche Gebresten der Welt anpreist, setzt sich allen möglichen Verdächten aus.

 

Hinzu kommt, daß das aktuelle Personal, das die amerikanischen Ambitionen zur Zeit in der Welt vertritt, sich wenig überzeugend darbietet. Im Vergleich etwa zu Henry Kissinger seligen Angedenkens taktiert Frau Albright fast wie eine Karikatur. "Diese Dame", polterte, wenig charmant, ein genervter bosnischer Politiker kürzlich in aller Öffentlichkeit, "ist ja eine richtige Schreckschraube, vor der die Kinder Reißaus nehmen. Und sowas will uns Frieden bringen!"

Als auf dem letzten G7-Treffen in USA Bill Clinton in Disneylaune die angereisten Staatschefs in Cowboy-Stiefeln und mit Sombrero-Hüten um sich scharen wollte, um der örtlichen Presse zu einem "nice picture" zu verhelfen, streikte sogar Deutschlands Bundeskanzler Kohl und brummelte etwas von "Würde wahren". In der Tat ist das Die-Würde-Wahren ein wichtiges Moment der internationalen Diplomatie, und Präsident Jelzin mit seinen gelegentlichen Wodka-Entgleisungen verstößt dagegen nach Meinung vor allem asiatischer Beobachter weit seltener als Präsident Clinton mit seinen pittoresken Sexgeschichten inklusive gerichtlich verfügter Genital-Besichtigung.

Zu den Menschenrechten, zu deren Hüter sich viele amerikanische Innenpolitiker bestellt sehen, gehört auch und vor allem die Wahrung der Würde, der Anspruch auf Höflichkeit und Dezenz im internationalen Verkehr, der Respekt vor autochthonen Traditionen und Empfindlichkeiten. Wer das ignoriert, dem könnte möglicherweise eines Tages klar werden, daß die globalen Trennlinien – Samuel Huntington zum Trotz – nicht zwischen den einzelnen Kulturkreisen verlaufen, sondern mitten durch die jeweiligen Kulturen hindurch, die Knoten von den Feinen und Rücksichtsvollen scheidend.

Die Russen, vor allem ihr schlauer Außenminister Primakow, scheinen das, als geborene Schachspieler und momentan aus der Schwäche heraus operierend, längst erkannt und in ihr polit-strategisches Kalkül eingebaut zu haben. Die Einladung zum Dreiertreffen Chirac-Kohl-Jelzin war zweifellos ein feiner Schachzug, dessen Beantwortung den anderen ein ziemliches Kopfzerbrechen bereiten dürfte. Vor allem die deutsche Seite, eingezwängt in vielerlei Loyalitäten und umgeben von mancherlei selbstgestellten Fallen, muß sich ihre Reaktion genau überlegen.

An sich befindet sie sich, ohne sonderliches eigenes Zutun und Verdienst, in einer nicht ungünstigen Position. Die gewaltigen Finanztransfers in Richtung Osten im Zuge der Wiedervereinigung haben zwar – wegen der steuerlichen und rechtlichen Unsicherheiten in Rußland – nicht zu der erhofften Joint-Venture-Schwemme in Moskau und umliegenden Dörfern geführt, aber die Russen hören inzwischen doch viel lieber auf soliden deutschen Rat als auf die Patentrezepte irgendwelcher Chicago-Boys. Es ist ein Vertrauenskapital entstanden, mit dem sich vorsichtig wuchern läßt.

Mit glaubhafter russischer Rückendeckung ließe sich manches, als "europäisch" deklariertes, französisches Anmaßungsgelüst leichter abschleifen, und im Kontakt mit Rußland könnte man sich möglicherweise auch einen fairen Anteil an dem zu erwartenden riesigen Erdölgeschäft in Mittelasien sichern, wo zur Zeit die Amerikaner ein geradezu wölfisches Bemächtigungsspiel betreiben, unter Hintanstellung aller Menschenrechtsfragen (Stichwort: Taliban). Es ist bei bilateralen Fragen immer gut, einen wohlwollenden Dritten in der Kulisse stehen zu haben, und das gilt selbst bei allerbesten Freundschaften und beruht selbstverständlich auf Gegenseitigkeit, besser eben: Dreiseitigkeit.

Die Delikatesse und taktische Raffinesse, die bei solchen "Menages á trois" fällig wird, kann den internationalen Umgangsformen nur gut tun und den so schrecklich an die Wand gemalten "clash of zivilisations" zumindest hinausschieben helfen. Letztlich ist die Botschaft, die von dem Dreiertreffen Chirac-Kohl-Jelzin ausgeht, recht einfach und leicht verständlich: Es ist in der Weltpolitik stets dafür gesorgt, daß bei niemandem die Bäume in den Himmel wachsen, Druck erzeugt notwendig Gegendruck, und keine Nation und kein Weltanschauungssystem ist in der Lage, allen die gleichen Klamotten zu verpassen. Die Welt geht nicht im System auf, und das ist gut so.


 
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