© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de   51/97  12. Dezember 1997

 
 
Kolumne
Karl Marx‘ Rückkehr
von Lothar Höbelt

Marx kehre zurück? In den Zeiten der 68er Studentenbewegung veröffentlichte eine konservative Studentenzeitung in Wien einmal eine Karikatur zum Thema Pluralismus an der Universität: Auf dem Podium sah man drei oder vier Mal den Marx’schen Rauschebart sitzen, mit kleinen Täfelchen darunter: Schule, Trotzkij, Lenin, Mao und so weiter.

Tempora mutantur: Heute beherrschen die Linken zwar noch immer die meisten Podien, aber dort trieft es inzwischen vor Betulichkeit: Statt der Dialektik steht Betroffenheit auf dem Programm, statt theoretischer Schulungen abendfüllender theoretischer Schulungen gibt es nur noch linke Esoterik und Politik als Selbsterfahrungsgruppe, statt des historischen Materialismus werden Moritaten von "Tätern" und "Opfern", von Gutmenschen und bösem Gedankengut feilgeboten.

Das Wohl und Wehe der Gesellschaft gipfelt, so scheint’s, in der Frage, ob auch alle wirklich einträchtig bei demselben Gott-sei-bei-uns schwören.

Ja, zeitweilig hat man den Eindruck, würde der Rauschebart selbst in die Runde treten und ein paar seiner flotten Sprüche zum besten geben, er würde prompt wegen seiner burschikosen Ausdrucksweise gerügt und erhielte einen Verweis wegen mangelhafter Sensibilität (von seinen nationalistischen Ausrutschern einmal ganz abge-
sehen). Manche Kollegen vermögen darin sogar einen Fortschritt zu erblicken; wirtschaftspolitisch hat das vielleicht auch was für sich.

Die mühsamen Moralisten und Anti-Pfadfinder auf der Suche nach ihrem täglichen Akt des Niemals Vergessens wollen wenigstens nicht mehr umgehend den Kapitalisten den Garaus machen bzw. trauen sich das nicht mehr offen zu sagen. Aber mühsam bleiben sie doch: Mit den waschechten Marxisten konnte man wenigstens noch ohne falsche Sentimentalität diskutieren. Da wußte man, was Sache war. Da ging es um Inhalte, nicht um semantische Verrenkungen. Zugegeben, vielleicht beginne ich meine Jugendjahre auch schon zu verklären.

O je mutatio rerum! Darum auch kein flehentliches: Marx, kehre zurück, alles verziehen! Aber ein respektvolles "Es kommt nichts bess’res nach…"– Leider.


 
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