© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de   51/97  12. Dezember 1997

 
 
Pankraz,V. Rühe und der Ruf nach dem gläsernen Rekruten

Deprimierende Nachrichten dringen aus der Bundeswehr. Wenn man in seiner Verwandtschaft oder an einem Stammtisch einen Kompaniechef oder Bataillonskommandeur hat und sich anhört, was der über die momentane Entwicklung in der Truppe zu erzählen weiß, so muß man den Eindruck gewinnen, es gehe dort gar nicht mehr um Landesverteidigung und Wehrübung, Ausdauertraining und Einweisung in modernes Gerät, sondern nur noch um "Rechtsradikale", wer immer das sei, um das Aufspüren, Entlarven und Bestrafen von "Gegnern der freiheitlich-demokratischen Grundordnung", die – so Verteidigungsminister Rühe – "gnadenlos gejagt" werden sollen.

Es herrscht ein Klima des Mißtrauens, der gegenseitigen Aushorcherei, des Spitzelberichte-Schreibens und der öffentlichen Kritik und Selbstkritik. Die Unteroffiziere sind allem Anschein nach zur Zeit überwiegend damit beschäftigt, die Spinde ihrer Rekruten zu filzen, Broschüren und CDs "sicherzustellen" und beim Duschen darauf zu achten, wer von den Neuzugängen "verfassungsfeindliche" Tätowierungen auf der Haut trägt. Bei den Kompaniechefs jagt eine Führerbesprechung die andere. Fast täglich werden neue Anweisungen gegeben, wie man "unzuverlässige Elemente" zu identifizieren und herauszufiltern habe, Haarschnitt, flotte Redensarten, die Art, zu spucken und zu pinkeln – auf alles sei zu achten, und zwar mit äußerster Genauigkeit.

"Ich habe den Militärischen Abschirmdienst angewiesen, verschärft jedem auch noch so geringen Anhaltspunkt für extremistisches Verhalten nachzugehen", ließ Minister Rühe verlauten. Generalmajor von Kirchbach hat in seinem Auftrag ein ganzes "Maßnahmebündel" von Disziplinarmaßnahmen erarbeitet, mit dem Soldaten, die sich politisch auffällig gemacht haben, "auf den rechten Weg zurückgeführt werden".

Ganz vorn steht darin die "Durchsetzung der Sprachdisziplin auch im außerdienstlichen Bereich", sprich: die Abschaffung der Redefreiheit. Verstärkt sollen die Seelsorger der Truppe in die Kampagne einbezogen werden. Militärbischof Johannes Dyba hat es zwar leider abgelehnt, das Beichtgeheimnis zugunsten der Entlarvung von Rechtsradikalen zu lockern, aber immerhin wollen sich die katholischen Militärpfarrer demnächst mit dem Problem ernsthaft beschäftigen.

Am besten wäre natürlich – darüber sind sich Minister Rühe, Generalmajor von Kirchbach und Generalinspekteur Bagger einig –, die Rechtsradikalen bereits im Vorfeld der Einberufung von der Truppe fernzuhalten. Im "Maßnahmebündel" spielt deshalb die Erörterung eine große Rolle, wie die Kreiswehrersatzämter an relevante Daten über die zu ziehenden jungen Leute herankommen können, also nicht nur die Daten über eventuelle Jugendstrafen, sondern auch an solche über alle möglichen erzieherischen Maßregeln, denen die Jungen im Laufe ihrer Sozialisation ausgesetzt waren.

Volker Rühe fordet den "gläsernen Rekruten", an dem nicht nur die äußeren, sondern auch die inneren Tätowierungen sofort zu erkennen sind. Pankraz fragt sich hier, ob man es nicht auch etwas billiger haben könnte. Der Minister und sein Inspekteur sollten die Attraktivität der derzeitigen Bundeswehr nicht überschätzen. Es gibt ein großes Potential, das dem Dienst aus dem Weg gehen möchte und dem auch die Praxis der Gewissensprüfung und des ersatzlichen Zivildienstes lästig ist. Sieht man nicht, daß man dem jetzt ein äußerst effektives Mittel verschafft, sich all diese Prozeduren von vornherein vom Leibe zu halten, daß man also gar nicht extra auf Datenschnüffelei ausgehen muß?

Wer künftig wehrunwillig ist, der braucht auf dem Kreiswehrersatzamt bloß mit überlegenem Grinsen zu Protokoll geben, daß er für Ehre, Treue und Vaterland, also "rechtsradikal" sei – und er ist den Dienst los und muß nicht einmal (wie weiland in der DDR) zu den Bausoldaten einrücken! Kann es denn eine bequemere Methode geben, eine Truppe zu meiden, die ja ohnehin nur noch aus Spitzeln und Gesinnungskommissaren zu bestehen scheint und in der man nicht einmal mehr geradeaus pinkeln darf?

Wenn das Gespräch an den oben erwähnten Stammtischen an diesem Punkt angekommen ist, bricht meistens die pure Nostalgie aus, und es werden Geschichten über die "alte" Bundeswehr erzählt, als die Kasernen noch nach Rommel, Mölders oder Dietl benannt waren und als Franz Josef Strauß oder der legendäre Georg Leber Verteidigungsminister waren. "Auch Apel, obwohl ungedient, war nicht schlecht, hatte ein gutes Gespür für militärische Kameradschaft, nahm seine Leute gegen Angriffe von außen in Schutz", konstatiert ein pensionierter Oberst, und ein Jüngerer schwärmt für Manfred Wörner: "Der hat sich zwar damals die Kießling-Affäre ans Bein gebunden, aber er konnte wenigstens noch selber fliegen, sogar im Abfangjäger. Was kann dagegen Volker Rühe?"

Ja, was kann dagegen Volker Rühe, fragt sich sorgenvoll auch Pankraz, und es beruhigt ihn nicht, daß er den noch aktiven Bataillonskommandeur in der Runde sagen hört: "Na, laßt mal, das mittlere Offizierskorps ist noch ganz in Ordnung, das sind überwiegend tüchtige und national denkende Leute". Nein, solche Äußerungen beunruhigen Pankraz eher. Sind es nicht gerade jene noch verbliebenen tüchtigen Leute, die durch die PC-gemäß modernisierten Rüheschen Abfangjägereien getroffen und letztlich ausgeschaltet werden sollen?

Läppischste, völlig ephemere Rüpeleien (von denen man nicht einmal sicher sein kann, ob sie nicht von vornherein inszeniert wurden, um an linke Medien verscherbelt zu werden) dienen als Vorwand, um unsere Streitkräfte buchstäblich in Streitereienkräfte umzufunktionieren – nur damit sich ein ehrgeiziger Minister, der Kohl beerben möchte, als wackerer Streiter wider Rechts profilieren und beim Zeitgeist einschmeicheln kann. Der Fall paßt in die Bonner Endzeit wie die Faust aufs Auge.


 
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