© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    50/97  05. Dezember 1997

 
 
Studentenprotest: Unis in katastrophalem Zustand
Bahn frei für Bildung
von Florian Chudowski

Am vergangenen Donnerstag kamen im novemberkalten Bonn rund 40.000 Studenten aus dem ganzen Land zusammen, um gegen die bedrückende Misere an den deutschen Hochschulen zu protestieren. In Bussen, in Sonderzügen, per Fahrrad kamen sie und vergaßen auch ihre Trillerpfeifen, ihre Megaphone und ihre sinnreichen Spruchbänder ("Helmut, sei kein Frosch!") nicht.

Der sich eindrucksvoll manifestierende Unmut ist in der Tat begründet, denn an deutschen Hochschulen zu studieren, ist beileibe kein Zuckerschlecken. Aber das Frustrationspotential, das überkommene Unterrichtsformen, überfüllte Seminare und veraltete, ausgedünnte Bibliotheken mit völlig unzureichenden Öffnungszeiten bergen, ist in diesem Ausmaß für den Neu-Studenten doch überraschend. Der bauliche Zustand der meisten Hochschulen und Universitäten ist erschreckend, die Atmosphäre ansteckend schlecht, und vor allem sind die Kalamitäten hausgemacht, sank doch der Anteil der Ausgaben für die Hochschulen von 1975 bis 1992 von 1,32 Prozent des Bruttoinlandproduktes um ein Drittel auf 0,93 Prozent. Gleichzeitig stieg die Zahl der Studenten von knapp 980.000 im Jahre 1977 auf heute gut 1,8 Millionen. In einem Land, das heftig von fortschreitender Produktionsautomatisierung und wachsender Standortkonkurrenz zahlreicher Billiglohnländer geschüttelt wird und dessen einzige Ressource "Humankapital" heißt, bedeutet solche Bildungs- und Finanzpolitik Selbstmord auf Raten.

In der sich anbahnenden Informationsgesellschaft ist Wissen wichtig wie selten, trotzdem werden überall im Lande Stellen für Professoren und wissenschaftliches Personal gekappt. Und an der Sparschraube wird weiter gedreht. So sollen allein die Hochschulen in Berlin bis zum Jahre 2003 nicht weniger als 300 Millionen Mark einsparen. Vor diesem Hintergrund wird auch die Armseligkeit des Angebotes von Bildungsminister Rüttgers deutlich, (einmalig) bundesweit 40 Millionen Mark für die darbenden Bibliotheken lockerzumachen – und auch das nur, falls die Länder den gleichen Betrag aufbringen sollten. Doch die beklemmende Enge in den Hörsälen stellt kein Hindernis dar etwa für die Behauptung der rot-grünen (offenbar nicht unter Klaustrophobie leidenden) Bildungsministerin in Hessen, die Zahl der Studenten könne noch um ein Drittel gesteigert werden. "Bildung für alle" lautet nach wie vor das Dogma, das den "demokratietheoretischen Diskurs" bestimmt. Die Frage nach der Effizienz des Ausbildungssystems ist nicht beachtenswert, weil ihr keine moralische Qualität zukommt. Sicherlich ist es zu einfach, alle Mißstände ausschließlich dem egalitären gesellschaftlichen Idealbild sozialistischer Sozialtechniker der 70er Jahre zuzuschieben, doch mag die Frage berechtigt sein, welchen Beitrag ein "Studentenparlament" ein "Internationalismus- und Antirepressionsreferat" zum Gelingen eines Studiums denn leistet. Hier wird an Schöpfungen realitätsblinder Gesellschaftskonstrukteure festgehalten, die so unnötig sind wie ein Kropf. Gerade auch die demonstrierenden Studenten müssen konkrete Vorschläge vorlegen, wie eine Straffung, eine Beschleunigung der Ausbildung nun aussehen könnte. Und genau hier entsteht der Eindruck, daß die Notwendigkeit einer Eigenbeteiligung der Studenten zur Modernisierung der Bildungssysteme übersehen, ja mit Empörung zurückgewiesen wird. Überhaupt wird angesichts von zotteligen Berufsstudenten mit pseudo-revolutionärem Pathos verlesener "Solidaritätserklärungen mit den vom Sozialabbau Betroffenen" deutlich, wie wenig sich manch Demonstrierender auch nur die Mühe macht, wenigstens so zu tun, als ginge es ihm um ernsthafte Lösungsansätze der Misere. Und wenn in einer Vollversammlung "streikender" Studenten der Berliner Humboldt-Universität der "gemeinschaftliche Kampf der Lernenden" gefordert wird nächstens ist dann die Rede vom "Arbeiter der Stirn" – oder wenn in einem Bus derselben Universität auf der Fahrt nach Bonn "Die Internationale" sowie "Hoch die internationale Solidarität!"-Gegröle vom Tonband die Mitreisenden wissen läßt, wohin die Reise geht, macht sich wirklich Ratlosigkeit breit.


 
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