© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    50/97  05. Dezember 1997

 
 
Bonner Heuchelei
von Thomas Laake

Es war das übliche Ritual, das sich bei der Haushaltsdebatte im Bundestag abspielte. Gegenseitige Beschuldigungen, Unterstellungen und Schuldzuweisungen von Koalition und Opposition. Die SPD blockiert aus partei- und machtpolitischen Gründen alle Reformen, sagt die Bundesregierung. Die Reformvorschläge der Koalition sind für die SPD keine akzeptable Verhandlungsgrundlage, argumentiert die SPD. Es geht um das Wohl der Menschen, sagen beide. Ja, um die wirtschaftliche Zukunft der ganzen Nation. Es sei schließlich schon fünf nach zwölf, und man müsse jetzt endlich handeln. So geht es also munter hin und her. Und das schon fast vier Jahre lang. Man redet, klagt und schimpft. Doch nichts geschieht.

Die Bonner Heuchelei ist kaum noch zu überbieten. Heuchelei ist es deshalb, weil jeder weiß, worum es geht und was getan werden müßte, um den deutschen Karren aus dem Schlamm zu ziehen. Doch das will in Wahrheit ja niemand. Denn das Parteiwohl und der Eigennutz haben Vorrang in diesem unserem Lande – nicht das Gemeinwohl. Dies ist bedauerlich und beschämend. Jede Seite verspricht sich von ihrem Verhalten Vorteile. Die Opposition sieht genüßlich zu, wie die Regierung immer tiefer in die Krise schlittert. Schließlich vergrößert ein schlechtes Erscheinungbild der Regierungskoalition die eigenen Chancen bei der nächsten Bundestagswahl. Die SPD weiß nur zu gut, daß eine Steuerreform und eine Rentenreform zum gegenwärtigen Zeitpunkt das beste wären. Doch man verhindert diese Vorhaben aus parteipolitischen Interessen. Die Regierung wiederum hält weitgehend an ihren Maximalpositionen fest. Wohl wissend, daß die SPD auf diese Positionen nicht eingehen wird. Doch dies ist aus der Sicht von Kohl auch nicht so dramatisch. Hat man doch so einen Grund, die SPD der Blockadepolitik zu bezichtigen. Was wiederum, so kalkuliert die Koalition, ihr bei der Bundestagswahl Pluspunkte bringen werde.

Wäre die Sache, um die es geht, nicht so ernst, könnte das Bonner Theater zum Lachen veranlassen. Doch dies kann einem angesichts der politischen Reformunfähigkeit schnell vergehen. Den weit über vier Millionen Arbeitslosen ist es bereits vergangen. Nationaler Konsens ist also gefragt. Denn es gibt ausreichend Probleme, die einer Lösung harren. Und die Menschen erwarten von der Politik, daß sie diese Probleme angeht und löst. Nicht Einzel- oder Gruppeninteressen dürfen das politische Handeln bestimmen, sondern die Sorge um das Gemeinwohl. Wenn die Parteien nur noch von Wahltermin zu Wahltermin denken und dadurch jede Fähigkeit zum nationalen Konsens verlieren, dann haben sie ihre Aufgabe verfehlt.


 
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