© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    50/97  05. Dezember 1997

 
 
Ideengeschichte: "Synergon" veranstaltete erstes Seminar in Deutschland
Unkenrufe aus dem Rheinhardswald
von Hanno Borchert

Unter dem Motto "Ein System siegt sich zu Tode – oder Aufbruch zu neuen Ufern" trafen sich am 22./23. November – nach eigenem Verständnis – "Nonkonformisten verschiedener Nationen quer über den Rechts-links-Graben hinweg", um mit neuen Impulsen zu einer "europäischen Neuordnung" beizutragen. Die im Frühjahr gegründete Arbeitsgemeinschaft des europaweit agierenden "Netzwerkes Synergon" hatte zusammen mit der in Hamburg ansässigen "Deutsch-Europäischen Studiengesellschaft" (DESG) zu ihrem ersten Seminar in Deutschland auf die Sababurg im Reinhardswald geladen, wo schon die Märchen der Gebrüder Grimm das Licht der Welt erblickten.

Jean Allard, Leiter des Instituts für indogermanische Studien an der Universität Lyon, referierte zum Thema "Sinn der Geschichte – Genealogie und Verwandlung eines Mythos". Er zeigte auf, daß es keinen universalen Sinn der Geschichte gäbe und erteilte damit auch einer linearen Geschichtsauffassung eine Absage, die sich von ihrem Denkansatz her an die Erlöserreligionen anlehne.

Heiko Möhring, Oberst der Reserve, fragte in seinem Vortrag "Europa und die NATO", warum es die NATO nach dem Ende der bi-polaren Welt immer noch gebe. So bilde die NATO ausschließlich die Speerspitze amerikanischer Interessen. In Ermangelung eines einheitlichen europäischen Willens mache man sich die Interessen raumfremder Mächte zu eigen und merke nicht, daß diese in Wirklichkeit einzig und allein der Machtsicherung oder Machtausdehnung, dem Zentralisierungs- und Universalitätsanspruch der noch existierenden Großmacht diene.

Der kroatische Politikwissenschaftler Tomislav Sunic erläuterte die "historischen Dimensionen des Liberalismus vom totalen Markt zum totalen und globalen Staat". Liberalismus könne, wenn man aus wirtschaftlicher und konsumgesellschaftlicher Perspektive beobachte, sehr gut funktionieren – auch in klassisch totalitären und diktatorischen Staaten. Deswegen sollte man nicht unbedingt Liberalismus mit Parlamentsdemokratie und Meinungsfreiheit gleichsetzen. Um seine Dynamik zu erhalten, müsse der Liberalismus alle chinesischen Mauern (Marx), alle Volksgemeinschaften zerstören und in einer gigantischen globalen Freimarktarena zusammenwerfen. Höchstwahrscheinlich werde der Global-Liberalismus nicht von einem klassischen Feind herausgefordert werden – er sei seit langem in seine Entropie geraten. Die offene Frage blieb jedoch, so Sunic, wie geschickt der Liberalismus im Notfall noch mit anderen Wertsystemen improvisieren und koalieren könne, um sich noch eine (Über-)Lebenschance zu geben.

Der Belgier Robert Steuckers, Mitbegründer der Europäischen Synergien, skizzierte in seinem Vortrag "Zurück zur Politik – Reflexionen zum Werk Hermann Scheers" Lebensentwürfe alternativer Ordnung, in der wieder der Primat der Politik vor der Ökonomie stehe. Als Beispiel führte Steuckers den amerikanischen Kommunitarismus an, der in Europa auch mit Carl Schmitts Idee von "konkreten Ordnungen" verknüpft werden könne.

Den Schlußpunkt setzte der Redakteur der Zeitschrift Aula, Gerhoch Reisegger, mit seinen Auslassungen "Der Euro – Kritik und Alternativen der Maastricht-Währungsunion". Er machte deutlich, daß die für den gemeinsamen Markt völlig überflüssige Währungsunion in Wahrheit ein Währungsschnitt sei und die europäische Wirtschaft so geschwächt werde, daß sie verstärkt von raumfremden Mächten beherrscht werden könne. Das aus den USA kein Protest gegen die Einführung des Euro ertöne, sei ein deutliches Indiz dafür, daß Europa im Sinne amerikanischer Interessen handele.


 
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