© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    49/97  28. November 1997

 
 
Gedenken: Diskussion über die Bedeutung von Sigmundskron
Negierung einer Tradition
von Jakob Kaufmann

 

Am 9. November hat die Südtiroler Volkspartei bei Schloß Sigmundskron einer Großkundgebung vor vierzig Jahren gedacht: Am 17. November 1957 versammelten sich dort über 30.000 Menschen, um die Selbstbestimmung Südtirols zu fordern. Die Situation der deutschen und der ladinischen Bevölkerung verschlechterte sich damals unter der italienischen Herrschaft. Die Italienier dominierten in allen öffentlichen Bereichen: In der Verwaltung, Kultur, Wirtschaft, im Rechtswesen und in der regionalen Politik. Südtirol wurde mit der italienischen Nachbarprovinz Trient zu einer Region vereinigt. Die Regierung in Rom versuchte damals, die Südtiroler zur Minderheit im eigenen Land machen. Seit der Zeit des Faschismus siedelten sie systematisch Italiener nördlich der Salurner Klause an. Sie bauten Industrieanlagen und lockten damit das italienische Industrieproletariat aus dem Süden an. Die Landeshauptstadt Bozen wurde allmählich mehrheitlich italienisch. 1957 beschloß die römische Regierung zusätzlich den Bau von Sozialwohnungen für die Italiener. Die Entscheidung für das Bauvorhaben ging den Südtirolern zu weit. Sie wollten mit der Versammlung ihren Unmut öffentlich kundtun und Forderungen formulieren.

Die Kundgebung war jedoch nicht spontan, die SVP hatte sie organisiert. Die Redner sprachen 1957 von Selbstverwaltung anstatt von Selbstbestimmung. 1946 hatten 20.000 Demonstranten bei Sigmundskron die Wiedervereinigung Tirols verlangt, das nach dem Ende des Ersten Weltkriegs im Vertrag von St. Germain geteilt worden war. 1957 aber hatte die SVP diesen Anspruch aufgegeben.

Die SVP feierte nun vor rund drei Wochen die politischen Erfolge der vergangenen vierzig Jahre: darunter das Autonomie-Paket, das vor fünf Jahren mit dem Streitbeilegungsabkommen zwischen Italien und Österreich bestätigt wurde. Landeshauptmann Luis Durnwalder (SVP), der SVP-Vorsitzende Siegfried Brugger und der 84jährige Silvius Magnago traten als Redner auf. Magnago erzählte von der Kundgebung 1957, bei der er damals schon als Parteivorsitzender zu den Versammelten sprach (Foto). Durnwalder bezeichnete die Selbstverwaltung als beispielhaft und hob die wirtschaftliche Situation und den Stellenwert der deutschen Sprache im heutigen Südtirol hervor. Brugger beschwor die Geschlossenheit der Volksgruppe und betonte, daß nur politische Einigkeit zum Erfolg geführt habe.

Die SVP, die seit fast fünfzig Jahren die absolute Mehrheit hinter sich weiß, hat in der Tat eines der besten Minderheitenrechte in Europa für ihre Volksgruppe erreicht. Der Weg der Autonomie-Verhandlungen war jedoch nicht von Einigkeit begleitet: Die Argumente der Selbstbestimmungsvertreter überging die Parteiführung jahrzehntelang geflissentlich. SVP-Chef Magnago war überzeugt, die Partei könne nicht zweigleisig fahren, sie müsse sich in ihren Forderungen ausschließlich auf die Autonomie festlegen. Dies mag in der spannungsreichen Zeit, als die Verhandlungen von Bombenattentaten begleitet wurden, gegolten haben. Fünf Jahre nach dem Streitbeilegungsabkommen möchte die SVP aber nicht erkennen, daß das Selbstverwaltungsrecht große Defizite aufweist: Besonderen Zündstoff bietet immer noch das Problem der deutschen Ortsnamen: In der Zeit des Faschismus sind sie ins Italienische übersetzt worden, noch immer müssen diese ahistorischen Eintragungen rückgängig gemacht werden.

Ursprünglich hatten die Südtiroler Schützen bereits für September eine Kundgebung bei Schloß Sigmundskron geplant. Dabei sollte die Europaregion Tirol ausgerufen werden. Offenbar entfernen auch sie sich von den Vertretern der Selbstbestimmung: die Planung für das Ereignis wurde schon im Frühling eingestellt.


 
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