© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    49/97  28. November 1997

 
 
Pankraz,Ulrich Schacht und die Republik von Schilda

 

Eine der mißlungensten politsemantischen Kreationen hierzulande ist die Redeweise von der "Berliner Republik", die nun angeblich kommt und die "Bonner Republik" ablöst. Auch gute, zumindest ernst zu nehmende, Publizisten bedienen sich ihrer, Schacht, Schirrmacher, Schwilk, Johannes Gross, aber die Sache wird dadurch nicht besser, im Gegenteil. Merken die Leute denn nicht, daß sie ein ausgesprochenes Unwort transportieren, eine desintegrative, die Hörer abstoßende Ausgrenzungsformel?

Das Verzapfen solcher Formeln hat in Deutschland schlimme Tradition. Es ging seinerzeit los mit der "Weimarer Republik", von kaisertreuen Kreisen 1919 eindeutig als Schimpfwort in die Welt gesetzt. "Weimarer Republik" – das meinte ein aufoktroyiertes, in der Provinz als Wechselbalg der Niederlage ausgehecktes Staatswesen, unorganisch zusammengekocht, den Teil für das Ganze setzend. Nicht einmal die Erinnerung an die Weimarer Klassik konnte den Makel des Wortes dämpfen, es geriet schnell in Vergessenheit und wurde erst nach 1945 von Historikern wieder ausgegraben, um damit eine bestimmte abgeschlossene, unselige Epoche nationaler Geschichte zu kennzeichnen.

Ähnlich lief es später mit der "Bonner Republik". Das Wort stammte aus Ostberlin, aus den Propagandaküchen des Neuen Deutschland und der Täglichen Rundschau. Der SED-dominierte "Deutsche Volkskongreß" höhnte schon 1949 über die "Bonner Spalterrepublik" und setzte dagegen die (Gesamt-)"Deutsche Demokratische Republik". Nie wurde in Bonn selbst offiziell von der "Bonner Republik" gesprochen.

Neben den höhnisch und herabsetzend gemeinten Wortgebrauch der Kommunisten trat im Laufe der Zeit allenfalls ein zwar nicht unbedingt herabsetzender, aber dennoch herablassender, amüsierter Wortgebrauch seitens kommentierender Leitartikler, die auf Metaphern und schnelle Pointen scharf waren. Seriöse Stellung gewann die Bezeichnung nie.

Und jetzt also "Berliner Republik". Mag die Bildung gemeint sein wie immer – man stellt sie automatisch in die Reihe "Weimarer Republik", "Bonner Republik", Berliner Republik"… Das Provisorische, Transitorische, Unabgeschlossene und Halbe wird immer mitgedacht, und auch der verächtliche Ton ist nicht fern. Bald werden sich Kommentatoren finden, die mit amüsiert herabgezogenen Mundwinkeln von der "Berliner Republik" sprechen, und niemand darf sich dann darüber wundern.

Was wir in diesen schweren Zeiten brauchen, ist nicht eine immer noch einmal "neue" Republik, die polemisch gegen andere Republiken in Stellung gebracht wird, sondern – wenigstens im Semantischen – eine Erinnerung an die trotz allem durchgehaltene nationale Kontinuität und ein endliches Nachhausekommen des Vaterlands in einer definitiven Staatsform, mit der sich alle identifizieren und von deren Boden aus das Notwendige getan werden kann, ohne daß gleich immer danach gefragt wird, ob man sich denn überhaupt in der "richtigen" Republik befindet oder ob man nicht besser die Zelte sofort wieder abbrechen sollte.

Natürlich versteht man, was Ulrich Schacht und Johannes Gross im Sinn haben, wenn sie von der "Berliner Republik" sprechen. Den Bonner Politikern soll beigebracht werden, daß es nach der Wiedervereinigung mit einem bloßen Umzug von Parlament und Regierung an die Spree (so er denn stattfindet) nicht getan ist, daß die Wiedervereinigung und der Zusammenbruch des Sowjetsystems in Ost- und Ostmitteleuropa eine völlig neuartige strategische und auch geistige Situation geschaffen haben, auf die mit neuen Entwürfen und neuen Methoden reagiert werden muß.

Aber das Schlagwort von der "Berliner Republik" verkleistert eher die Einsicht in die Notwendigkeit einer neuen Politik. Es weckt überflüssige Aversionen und nährt die Illusion, man könne mit irgendwelchen geographischen Beharrungskräften unbequemen Neuerungen aus dem Weg gehen und letztlich doch so weiteragieren wie bisher.

Außerdem macht es den Berlinern gefährliche Vorauskomplimente, so als würde allein schon der bloße Umzug eine Um- und Neuorientierung der Politik bewirken, als würde gewissermaßen der Esprit der Hauptstadt die Politiker beflügeln und zu höheren Zielen treiben. Dabei ist zur Zeit von einem spezifischen hauptstädtischen Esprit, der irgendwen beflügeln und für die Zukunft fit machen könnte, in Berlin so gut wie nichts zu spüren. Man sieht statt dessen eine Stadt, die hektisch mit allen möglichen Geßlerhüten vollgestellt wird, die immer nur Kontinuitäten des Unheils vorspiegelt und deren geistige Kräfte sich im übrigen in der Herstellung von Schrott und schlechter Laune erschöpfen. Nicht gerade die besten Voraussetzungen für Neuorientierung.

Die Möglichkeit, den Umzug nach Berlin symbolträchtig mit politischer Neuorientierung zu verbinden und dadurch ein bißchen Enthusiasmus zu wecken, ist ohnehin längst verspielt. 1991 oder ’92 wäre es vielleicht taktisch und werbetechnisch sinnvoll gewesen, von einem "Neuanfang in einer Berliner Republik" zu sprechen, aber doch nicht 1997! Jetzt können nur noch allerkleinste Brötchen gebacken werden. So schnell wie möglich umziehen und sofort ordentlich zu arbeiten anfangen, unter Vermeidung allzu großer Reibungsverluste, das wäre schon viel.

Wie die Dinge stehen, ist nicht einmal das vom derzeitigen Bonn zu erwarten. Was dort gespielt wird, ist weder "Bonner Republik" noch "Berliner Republik", sondern "Republik von Schilda". Man hat ein Rathaus ohne Fenster gebaut und wundert sich nun, daß es an Licht fehlt. Man rennt auf der Straße herum, um das Licht in Säcken einzufangen und ins Rathaus hineinzutragen. Und der Bundespräsident feuert die Sackhüpfer mit Hauruckreden an. Von Mauerdurchbrüchen zu sprechen, wagt niemand. Dabei ist die Mauer in Berlin, immerhin, doch längst gefallen.


 
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