© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    48/97  21. November 1997

 
 
Klare Mehrheit für NATO-Beitritt: Das ungarische Referendum und seine geopolitischen Folgen
In Wien steht ein heißer Winter an
von J.F.Balvany / Martin Schmidt

Mit dem eindeutigen Votum von 85,3 Prozent für einen NATO-Beitritt (Wahlbeteiligung: knapp 50 Prozent) ist die letzte Hürde auf der Weg Ungarns in die westliche Militärallianz am letzten Sonntag problemlos übersprungen worden. Ministerpräsident Gyula Horn betonte, daß die Eindeutigkeit der Antwort des Volkes auf die Frage "Sind Sie damit einverstanden, daß die Republik Ungarn den Schutz des Landes durch einen NATO-Beitritt sichert?" sämtliche Erwartungen übertroffen habe.

Die höchste Zustimmung gab es in der Hauptstadt Budapest sowie in den südlichen Landesteilen, die vier Jahre lang den Krieg in den Nachfolgestaaten des untergegangenen Jugoslawien teilweise in Hörweite mitverfolgen konnten.

Der US-amerikanische Botschafter in Budapest, David Blinken, hatte bereits vor einigen Wochen anläßlich einer Festveranstaltung in der Akademie der Wissenschaften erklärt: "Amerika betrachtet Ungarn bereits als NATO-Mitglied." Außenminister László Kovács fügte dem hinzu, daß die ungarische Beteiligung am atlantischen Sicherheitssystem keineswegs die gleichzeitige Stationierung von US-Truppen bzw. die Lagerung von Atomwaffen im eigenen Land bedeute.

Skeptikern der Integration hatte Kovács damals entgegengehalten, daß eine Absage an die NATO auch eine verzögerte Aufnahme Ungarns in die EU zur Folge haben könnte und zudem die notwendigen Verteidigungskosten auf das Dreifache erhöhen würde. Der voraussichtliche Beitrag des mitteleuropäischen Landes für den NATO-Haushalt wird auf 0,65 Prozent des jährlichen Budgets der Allianz taxiert. Das sind zwei Milliarden Forint (ca. 18 Millionen Mark), was wiederum zwei Prozent des ungarischen Staatshaushalts und damit der für kleinere NATO-Mitglieder festgeschriebenen Rate entspricht. US-Verteidigungsminister Cohen hatte bereits im Juli darauf hingewiesen, daß die Regierung in Budapest gegebenenfalls insbesondere in die Kommando- und Kommunikationssysteme der eigenen Armee erhebliche Summen investieren müsse.

Außerdem warf der ungarische Außenminister den zumeist kommunistisch orientierten Gegnern eines NATO-Beitritts (alle im Parlament vertretenen Parteien empfahlen ihren Wählern, mit "Ja" zu stimmen) eine Verkennung der geopolitischen Lage des Landes sowie der Herausforderungen vor, die sich aus den zum Teil chaotischen Zuständen in der ungarischen Nachbarschaft ergäben.

Wie Verhandlungen mit der ungarischen Regierung in Brüssel ergeben haben, soll der NATO-Beitritt Anfang April 1998 vollzogen werden. Das offizielle Aufnahmegesuch wurde bereits am Tag nach dem Referendum überreicht. Weitere Einzelheiten, auch in bezug auf den Zeitplan für die anderen Beitrittskandidaten Polen und Tschechien, werden am 17. Dezember in dem europäischen NATO-Hauptquartier Brüssel zur Sprache kommen.

Schon jetzt besitzen alle drei zunächst für die NATO-Osterweiterung ausgewählten Länder einen Beobachterstatus, der sie zur Teilnahme an den verschiedenen Gremien der NATO berechtigt.

Von erheblicher geopolitischer Bedeutung sind die Konsequenzen, die sich aus einem NATO-Beitritt Ungarns ergeben. Prof. Werner Kaltefleiter, der Direktor des Instituts für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel, hatte hierzu am 6. August in der Welt bemerkt: "Mit Ungarn wird eine NATO-Insel geschaffen, die nicht einmal auf dem Seeweg erreicht werden kann – im Gegensatz zu Griechenland und der Türkei. (…) Geopolitisch verlangt die Dreier-Erweiterung ihre zügige Ergänzung.

Aus geographischen Gründen bietet sich dafür Österreich an, dessen Mitgliedschaft kein Problem der NATO, sondern wohl aber eins der österreichischen Innenpolitik ist. Zu lange hat man die Neutralität wie eine Monstranz vor der österreichischen Außenpolitik hergetragen, so daß sie, auch nachdem der Begriff durch den Zerfall der Sowjetunion seinen Sinn verloren hat, auf dem linken Flügel der sozialistischen Partei noch viele Gläubige findet."

In der Tat waren vor der Volksabstimmung aus Wien deutliche Stellungnahmen von SPÖ-Politikern gegen eine ungarische NATO-Mitgliedschaft zu hören gewesen. Der ungarische Außenminister Kovács hatte auf Anfrage der österreichischen Wochenzeitung Zur Zeit nicht von ungefähr betont: "Das überwältigende Ja des Volkes für die Beteiligung am atlantischen Verteidigungsbündnis bedeutet keinesfalls eine Änderung unserer ausgezeichneten Beziehungen zu Österreich."

Mit Sicherheit wird die österreichische NATO-Debatte nun in eine neue Runde gehen, in der sich die Karten der hartnäckigen Neutralitäts-Befürworter deutlich verschlechtert haben. Zudem stehen neue Gedankenspiele darüber an, inwieweit der anstehende Beitritt der bekanntermaßen deutschfreundlichen Ungarn zur westlichen Verteidigungsallianz die Rolle Deutschlands innerhalb des Bündnisses verstärkt.

Die Ansicht Andreas Heinemann-Grüders im September-Heft der Zeitschrift Osteuropa, daß die NATO-Osterweiterung trotz ihrer Forcierung durch die Vereinigten Staaten letztlich einen Machtzuwachs Europas und speziell Deutschlands bedeutet, wird von vielen geteilt. Heinemann-Grüder weist auf ein Zitat des US-amerikanischen Politologen Alvin Rubinstein hin, wonach die Osterweiterung der Militärallianz die "geschenkte Einflußsphäre" für Deutschland sei.


 
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