© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    48/97  21. November 1997

 
 
Staatsbürger mal zwei
von Thomas Brandis

 

Die politische Kontroverse über die Einführung einer doppelten Staatsangehörigkeit hat einen neuen Höhepunkt erreicht. Aufgehängt an der Frage, ob man in Deutschland geborenen Ausländerkindern bis zur Volljährigkeit zusätzlich auch einen deutschen Paß zugestehen soll, trommeln die Medien bereits seit Wochen für eine "Reform" des deutschen Staatsangehörigkeitsrechtes, das als "antiquiert" oder gar "rassistisch" abqualifiziert wird.

Doch schlechte Argumente werden nicht dadurch besser, daß man sie ständig wiederholt. Schon die Angaben über die Zahl der Doppelstaatler in Deutschland, die von FDP-Politikern auf bis zu 3 Millionen taxiert wird, sind erwiesenermaßen falsch. Tatsächlich weist der Mikrozensus des Jahres 1996 gerade 560.000 Deutsche aus, die über zwei Pässe verfügen. Daß diese Zahl in den letzten Jahren stetig gestiegen ist, hängt u.a. damit zusammen, daß viele Türken ihre alte Staatsangehörigkeit zunächst aufgaben, um so die Voraussetzung für den Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft zu schaffen. Später ließ man sich dann vom zuständigen Konsulat erneut einen türkischen Paß ausstellen und erschlich so die doppelte Staatsangehörigkeit. Der eigentliche Skandal dieses Vorgangs ist, daß sich türkische Auslandsvertretungen wissentlich an der Umgehung des deutschen Rechts beteiligten.

Auch die sachbezogenen Argumente der Befürworter einer solchen Lösung können kaum überzeugen. Die Behauptung etwa, ein ausländisches Kind sei allein schon deshalb in Deutschland integriert, weil es hier geboren wurde, widerspricht den Erfahrungen der Praxis. Ob sich ein Kind bzw. ein Jugendlicher tatsächlich in das deutsche Gemeinwesen einfügen kann, hängt letztlich entscheidend vom Elternhaus ab, in dem es aufwächst. Sind die Eltern stark ihren heimatlichen Traditionen bzw. ihrer Religion verpflichtet und erziehen auch ihren Nachwuchs in diesem Geist, dann erschwert das die Integration erheblich. Diese Gefahr ist vor allem in solchen Familien ausgeprägt, in denen die Erziehungsberechtigten auf die Annahme der deutschen Staatsbürgerschaft verzichtet haben – und nur um die geht es. Denn hätte nur ein Elternteil einen deutschen Paß, würden nach geltendem Recht auch die aus dieser Ehe hervorgehenden Kinder automatisch deutsche Staatsbürger werden. Nicht die Abstammung im Sinne der ursprünglichen Herkunft oder gar die Rasse ist also das entscheidende Kriterium, sondern die Staatsangehörigkeit der Elterngeneration. Die Behauptung von Christian Ramthun in der Wirtschaftswoche, "das elitäre Blutrecht" behindere die Integration von Ausländern in Deutschland, entpuppt sich somit als Stammtischpolemik untersten Niveaus.

Die eigentliche Achillesferse in der Argumentation zugunsten einer doppelten Staatsangehörigkeit aber ist die nicht überzeugend beantwortete Frage, warum denn ein Ausländer, der seit Jahrzehnten in Deutschland lebt oder hier sogar geboren ist, neben dem deutschen unbedingt auch den Paß seines ursprünglichen Herkunftslandes benötigt? Einem Land also, das er bestenfalls von Besuchsreisen kennt, dessen Sprache er nur unzureichend spricht und in das er angeblich niemals zurückkehren will? Das früher gern bemühte Argument, in Deutschland lebende Türken – die eigentlichen Nutznießer einer doppelten Staatsbürgerschaft – müßten bei Rückgabe des türkischen Passes in ihrer Heimat mit dem Verlust eventueller Erbansprüche rechnen, zieht schon längst nicht mehr, da Ankara die einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen bereits vor Jahren geändert hat.

Der Wunsch nach einer "Rückversicherung", einem Hintertürchen, ist es, der eine echte Integration verhindert. Denn die ist eben nicht allein schon deshalb vollzogen, weil ein Ausländer in Deutschland arbeitet, Steuern bezahlt und die Gesetze achtet. Unverzichtbar ist vielmehr auch das uneingeschränkte Bekenntnis zu und die Identifikation mit Deutschland, gepaart mit der Bereitschaft, sich ohne Wenn und Aber in die nationale Schicksalsgemeinschaft einzubinden. Die Möglichkeit, sich mit Hilfe eines Zweitpasses aus dieser Schicksalsgemeinschaft zu verabschieden, produziert genau die Loyalitätskonflikte, die Befürworter einer doppelten Staatsangehörigkeit einfach nicht wahrhaben wollen. Denn einem Ausländer, dem es nicht gelingt, sich von seinem Herkunftsland zu lösen und dies durch die Abgabe seiner ursprünglichen Staatsangehörigkeit zu manifestieren, der wird sich in Deutschland nie wirklich heimisch fühlen. Im Alltag besteht die konkrete Gefahr, daß Ausländer und Doppelstaatsbürger zum Beispiel in Fragen der Wirtschafts- und Sozialpolitik im Zweifel eher auf eine kurzfristige Nutzenmaximierung abstellen, während Deutsche ohne Zweitpaß und damit ohne Rückzugsoption hier stärker die langfristigen Implikationen der zu Gebote stehenden Alternativen in den Vordergrund stellen müssen.

Daß man bereits mit Hilfe der Einführung einer doppelten Staatsangehörigkeit auch noch die Sozial- und Kriminalitätsstatistiken schönen kann, ist ein gewollter Nebeneffekt. Denn ob eine Person ausländischer Herkunft, die zum Beispiel Sozialhilfe beantragt, statistisch als Inländer oder als Ausländer gezählt wird, hängt nach heutiger Methodik allein von den Angaben des Betroffenen bzw. den von ihm vorgelegten Papieren ab. Warum aber sollte etwa ein Türke, der über einen deutschen Ausweis verfügt, auf dem deutschen Sozialamt seinen türkischen Paß präsentieren? Gleiches gilt natürlich auch für die Erfassung der Nationalität von Straftätern. Da verwundert es nicht, wenn die Ausländerbeauftragte Schmalz-Jacob-sen die Einführung der doppelten Staatsangehörigkeit als den Weg bejubelt, um die Zahl der registrierten Ausländer in Deutschland schlagartig zu verringern. Und wer es zukünftig zum Beispiel wagen sollte, die Ursachen der steigenden Jugendkriminalität auch und gerade in der mangelnden Integrationsbereitschaft der dritten Ausländergeneration zu vermuten, müßte sich rasch den strafrechtlich bewährten Vorwurf der Volksverhetzung gefallen lassen. Zahlen, die diese Behauptung belegen könnten, gibt es dank doppelter Staatsangehörigkeit für ausländische Kinder und Jugendliche dann praktisch nicht mehr. Zu bedenken ist ferner, daß selbst schwerkriminelle Ausländer – ausgestattet mit zusätzlicher deutscher Staatsbürgerschaft – faktisch nicht mehr abgeschoben oder an ihre ursprünglichen Herkunftsländer ausgeliefert werden könnten.

Nun ist die Forderung nach Einführung einer doppelten Staatsangehörigkeit für in Deutschland geborene Ausländerkinder nur der erste Schritt hin zu einer grundlegenden Änderung des deutschen Staatsangehörigkeitsrechtes. Die Taktik linker "Reform"-Politiker und der ihnen nahestehenden Medien, zunächst das vermeintlich schwächste Glied in der Argumentationskette ihrer Gegner anzugreifen, um schließlich die gesamte Bastion zu schleifen, ist bekannt und erprobt. Worum es in Wirklichkeit geht, ist die Abschaffung des Ius sanguinis, also des auf dem Abstammungsprinzip beruhenden Staatsangehörigkeitsrechtes. An seine Stelle soll das beispielsweise in den USA und zum Teil auch in Frankreich praktizierte Ius soli treten, bei dem ausschließlich der Geburtsort über die Nationalität eines Menschen entscheidet. Während das Ius sanguinis die erfolgreiche Integration eines Ausländers zur Vorbedingung für die Aufnahme in das Staatsvolk macht, ist die Einbürgerung beim Ius soli Ausgangspunkt des Integrationsprozesses, der auf der erhofften Assimilationskraft der Gesellschaft sowie des Staates und seiner Institutionen beruht.

Gemessen am Integrationserfolg hat das Ius soli die hochgesteckten Ziele aber nicht erreichen können. Das zeigt das Beispiel Vereinigte Staaten in besonderer Schärfe. An die Stelle eines integrativen Miteinanders ist hier längst ein multi-ethnisches Nebeneinander getreten, das latente und zum Teil gewaltsam ausgetragene Rassenkonflikte provoziert. Ähnlich ernüchternde Erfahrungen hat man auch in Frankreich und England gemacht. Im Ergebnis hat das Ius soli also nicht die Integration von Zuwanderern, sondern die multikulturelle Gesellschaft zur Folge.

Sollten sich die Verfechter einer doppelten Staatsangehörigkeit durchsetzen, dann ist der Weg in einen multikulturellen Vielvölkerstaat vorgezeichnet – mit allen negativen Begleiterscheinungen. Im Zeichen von wirtschaftlicher Globalisierung, wachsendem Migrationsdruck und dem prognostizierten Rückgang der Bevölkerungszahl in Deutschland deuten alle Zeichen in eben diese Richtung. Längst schon ist die deutsche Ausländerpolitik vom Modell einer echten Integration von Zuwanderern abgewichen, was vor allem daran sichtbar wird, daß die Hürden für den Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft in den letzten Jahren ständig gesenkt wurden. Die dem einzelnen Ausländer abverlangte Anpassungsleistung ist also immer geringer geworden. Der "Erfolg" dieser Politik kommt in der stark gestiegenen Zahl von Einbürgerungen zum Ausdruck, die sich zwischen 1990 und 1995 mehr als verdreifacht hat. Doch wer glaubt, die nicht zu leugnenden Probleme im Zusammenleben von Deutschen und Ausländern durch die inflationäre Verteilung von Einbürgerungsurkunden lösen zu können, irrt. Denn am Ende werden nicht Harmonie und Eintracht, sondern eine dreigeteilte Gesellschaft aus Geburtsdeutschen, Paßdeutschen und Ausländern stehen.

Der Weg einer echten, stets auf den Einzelfall abgestellten Integrationspolitik, die auch den Mut beinhalten muß, Zuwanderung quantitativ wie qualitativ auf ein vernünftiges Maß zu beschränken und integrationsunwillige Ausländer konsequent abzuschieben, mag mühselig sein. Doch er allein ist Garant für die innere Stabilität unseres Landes. Eine "Einbürgerungsoffensive" (FAZ) mit dem Ziel, Ausländer um jeden Preis formaljuristisch "einzudeutschen", ist demgegenüber bloße Augenwischerei – mit unabsehbaren Folgen für die Zukunft Deutschlands.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen