© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    48/97  21. November 1997

 
 
Hexenkessel Brüssel: Marodierende Marokkanergangs und der hilflose Aktivismus linker Ideologen
Bambule im " Bananenkönigreich"
von Benoît Ducarme

 

Freitag, 14. November 1997: Belgische Gendarmen jagen einen Drogendealer in seinem Luxus-BMW. Vierzehn Schüsse fallen. Saïd Charki, ein 24jähriger Dealer marokkanischer Abstammung, stirbt tödlich getroffen noch an Ort und Stelle.

Der Schauplatz dieser Schießerei liegt einen Katzensprung entfernt vom Brüsseler Südbahnhof, wo sich das nagelneue Terminal der Eurostar- und Thalys-Züge befindet. Ein Ort mit quasi strategischer Bedeutung, der die belgische Kapitale eng mit London (3 Stunden) und Paris (2 Stunden) verknüpft.

Spontan rebellierte die marokkanische Jugend des Slum-Viertels rund um den Bara-Platz, in dem 65% der Bewohner Immigranten sind (40% Marokkaner sowie 10% Türken, davon die Hälfte unter 25 Jahren alt), und lieferte sich die ganze Nacht hindurch Straßenschlachten mit der Polizei. Am folgenden Abend begannen die Krawalle erneut, nachdem marodierende Banden drei Feuerwehrfahrzeuge und einen Krankenwagen zerstört hatten. Am Sonntag entartete schließlich eine Demonstration der links-postmaoistischen PvdA/PTB, die Straßenkämpfe griffen auf den Stadtteil Schaarbeek über, dessen Ausländerquote bei 37% liegt (die "neuen Belgier" nicht mitgerechnet).

In der Deklassierung sind alle gleich

Das ohnehin destabilisierte Belgien konnte ein solches Chaos am allerwenigsten gebrauchen. Der Mord an Ex-Minister André Cools, die Korruptions-Affäre um die Agusta-Hubschrauber sowie die Flugzeug-Ausrüstung von Dassault und – schlimmer noch – die unglaublichen Schlampereien der Polizei-Dienste und des Justizwesens im Fall des Kinderschänders Dutroux hatten weltweit bereits für reichlich Negativschlagzeilen gesorgt. Die Krawalle rund um den Brüsseler Südbahnhof bewiesen erneut, daß die regierenden Eliten in Belgien unfähig geworden sind, ein Minimum an Ordnung und Bürgerfrieden zu erhalten. Manche Beobachter ziehen daraus vor allem einen Schluß: Die belgische Politik der Ausländerintegration ist gescheitert.

Deren Pro-tagonisten, wie beispielsweise Brüssels Ministerpräsident Charles Picqué, zeigen sich in diesen Wochen denn auch zutiefst enttäuscht. Aber war diese Integration jemals wirklich möglich? – Am Anfang stand ein belgisch-marokkanisches Abkommen, wonach arbeitswillige Marokkaner für fünf Jahre in Belgien arbeiten konnten, und zwar nur in fünf festgelegten Industriebranchen. In der Wirtschaftseuphorie der "Goldenen Sechziger" wurden diese weisen Vorgaben jedoch rasch vergessen. Massen marokkanischer Arbeiter strömten ins Land, nunmehr begleitet von ihren Angehörigen.

Heute, da in Belgien die Zeiten der Hochkonjunktur längst dahin sind, leben in dem Land der Flamen und Wallonen bei einer Gesamtbevölkerung von gut 10 Millionen Menschen über 920.000 Ausländer (ca. 9,1%) Diese gliedern sich nach aktuellen Angaben der statistischen Behörde der EU wie folgt: 216.000 Italiener, 145.400 Marokkaner, 97.100 Franzosen, 88.300 Türken, 72.600 Niederländer und 49.400 Spanier. Ganz besonders die Marokkaner erweisen sich als ein Integrationsproblem, zumal heute in dieser Bevölkerungsgruppe eine besonders große Zahl junger Menschen keine Arbeit findet. Dies gilt allerdings in nur wenig geringerem Maße für ihre einheimischen Altersgenossen. – Im sozialen Ausgeschlossensein gibt es im Königreich Belgien keinerlei Diskriminierung.

Politisch sensiblen Marokkanern erscheint die offizielle belgische Integrationspolitik inzwischen als heuchlerisches Feigenblatt für die faktische soziale Ausgrenzung der jungen Landsleute. Als Belege führen sie Äußerungen des sozialistischen Innenministers Johan Vande Lanotte an, eines ehemaligen linksradikalen Aktivisten, der bislang ebenso als Feind Nr. 1 des rechtsgerichteten
Vlaams Blok galt wie als Schutzherr der "armen" Marokkaner. Ausgerechnet Vande Lanotte war es, der den Gendarmen befohlen hatte, die aufrührerischen Viertel der Hauptstadt harsch zu säubern und die Ordnung schnellstmöglich wiederherzustellen. Die Praxis sah dann so aus: Alle dunkelhäutigen Ausländer, die sich an den besagten Abenden auf die Straßen wagten, bekamen die Gummiknüppel der "heißgemachten" Ordnungskräfte zu spüren. So wie der Innenminister und der rechtsliberale Brüsseler Bürgermeister de Donnea, der 1994 noch mit stolzgeschwellter Brust eine Großdemo gegen den
Vlaams Blok geleitet hatte, verurteilten alle selbsterklärten Fürsprecher der arabischen Einwanderer nun mit markigen Worten die "Straßenguerilla" und offenbarten sich als Unterstützer des harten polizeilichen Zugriffs. Vande Lanotte sprach von Aufwieglern aus "Banden, die dem Drogenmilieu nahestehen".

Das Fernsehen zeigte zwar das übliche "Mitgefühl" der Linken den Gastarbeitern gegenüber, aber mit Bildern, die an die nationalsozialistische Propaganda gegen Juden und Sinti erinnerten: Die Kameras erfaßten nur brüllende, häßliche oder sich grob ausdrückende Marokkaner. Dies wurde von Marokkanern als verkappter Rassismus interpretiert. Als stolze Vertreter der Kriegerstämme des Atlas wollen sie eine derartige pauschale Herabsetzung nicht auf sich beruhen lassen. Und sie sind im Recht: Man sollte in Belgien begreifen, daß Marokko ein sehr alter Staat mit einer faszinierenden Geschichte und prachtvollen Kunstdenkmälern ist. Jedenfalls ist dieses arabische Land ein ungleich seriöseres politisches Gebilde als das künstliche, von britischen und französischen Imperialisten erfundene Belgien. Warum, so muß man mit diesen Kritikern fragen, präsentiert die linksgerichtete journalistische Schickeria immer wieder arme, plumpe Migranten, nie jedoch Marokkaner, die Ärzte, Philologen, erfolgreiche Kaufleute geworden sind (gleiches galt einst für die Flamen, die als linkische "germanische Bauern" hingestellt wurden)?

Ob man die Massenimmigration nun mit Blick auf die langfristigen Interessen des eigenen Volkes ablehnt oder ob man sie aus ideologischen Gründen befürwortet, in jedem Fall ist zuzugeben, daß ein beachtlicher Teil der in Brüssel lebenden Marokkaner (die sogenannten "Maroxellois") etwas erreicht hat. Nur ein – noch – geringer Prozentsatz ist gescheitert, solidarisiert sich mit Kriminellen und importiert so den Huntingtonschen "Clash of Civilizations" mitten in die belgische Hauptstadt. Dafür können sie dann mit Verständnis in der belgischen Presse rechnen, nicht aber in der marokkanischen, die fast unisono die belgischen Gendarmen verteidigt hat.

Marokkos Presse verteidigt die belgische Gendarmerie

Denn für jeden staatsbewußten Menschen sind derartige Krawalle selbstverständlich unannehmbar. Mehr noch: Jeder vernünftige Einwohner Brüssels weiß, daß die Konjunktur noch für lange Zeit schlecht bleiben wird. Immer mehr junge belgische Akadamiker wandern aus.

Warum sollten nicht auch junge Marokkaner das Land verlassen und anderswo Arbeit finden, statt demnächst vielleicht auch als sozialer Bodensatz regierungsamtlich verhätschelt zu werden und damit die eigene Würde zu verlieren? Infolge der andauernden Konjunkturflaute ist Belgien wieder das geworden, was es immer war, nämlich ein Land, das man verläßt, weil es an Raum und an Arbeitsplätzen mangelt.

Wenn man gemeinschaftlich-konkret und nicht gesellschaftlich-abstrakt denkt, so läßt sich nur hoffen, daß die belgische Immigrationsproblematik human-gemeinschaftlich gelöst werden kann. Statt soviel Geld – nämlich seit 1993 satte 173 Millionen DM allein für Brüssel – für eine unbrauchbare Integrationspolitik zu verschwenden, sollten die belgischen Behörden vielmehr Arbeitskammern finanzieren, damit junge Belgier und Einwanderer auswandern können, mit der Chance, anderswo eine würdige Arbeit mit guter belgischer Schulung zu finden.

Aber es stellen sich erhebliche Zweifel ein, daß die jetzigen Politiker des westeuropäischen "Bananenkönigreiches", die aus einer einstmals hocheffizienten Industrie, dem gelobten Schulwesen und der respektablen Justiz eine einzige große Farce gemacht haben, die die Nachbarländer nicht mehr lange werden dulden können, zu einer solchen weitsichtigen Politik fähig sind.


 
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