© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    47/97  14. November 1997

 
 
Hamburg: Rot-Grüne Traumhochzeit
Verdammt in alle Ewigkeit
von Kristof Berking

 Modellversuch sechsjährige Grundschule, mehrsprachiger Unterricht für ausländische Kinder. Verzicht auf geschlossene Unterbringung straffälliger Jugendlicher, Kontrollkommission zur Verhinderung von Übergriffen der Polizeibeamten, mildere Abschiebepraxis durch Ausschöpfung aller Spielräume für Härtefallregelungen, vier zusätzliche Gesundheitsräume für Heroinsüchtige, mehr Rechte für homosexuelle Paare, mehr Tempo-30-Zonen, keine Reduzierung der Anzahl der Senatoren – die Hamburger bekommen es demnächst knüppeldick. Dieses sind Errungenschaften des Hamburger Koalitionsvertrags, auf den sich SPD und Grün-Alternative Liste (GAL) nach 13 Verhandlungsrunden geeinigt und den die GAL-Basis nun mit einer Mehrheit von zwei Drittel und der SPD-Parteitag mit nur wenigen Gegenstimmen abgesegnet haben.

Zu dem vielen, was die Gemüter der je zwölf Unterhändler der beiden Koalitionsparteien nicht erhitzte, gehört zum Beispiel die organisierte Ausländerkriminalität, der Behörden- und Bürokratieabbau oder auch die Frage, wie sich Hamburg im Bundesrat gegebenenfalls zum Euro stellen soll. Bei den tonangebenden SPD-Linken – den Mitte-Rechts-Flügel der Sozialdemokraten gibt es in Hamburg praktisch nicht mehr – und den nun erstmals mitregierenden Melonen-Politikern von der GAL – außen grün, innen rot – herrscht in solchen Fragen Einigkeit. "Das Vertrauen in den Rechtsstaat hängt davon ab, daß kein Defizit staatlichen Handelns erlebt werden muß, wenn der Rechtsfriede gefährdet ist", heißt es im Koalitionsvertrag forsch zur inneren Sicherheit, dem Thema, das dem Wähler am meisten unter den Nägeln brennt. Das doppelt so lange Kapitel "Flüchtlingspolitik und Asyl" zielt nur auf eines ab: Mehr Ausländer nach Hamburg. Zur Frage der Europäischen Währungsunion heißt es: "Die verwaltungsinternen Vorbereitungen auf die Einführung des Euro werden zügig fortgesetzt."

Natürlich haben die Hamburger dieses Ergebnis nicht gewollt. Erstens hat die Koalition bei der Bürgerschaftswahl am 21. September nur ein Drittel der Stimmen der Wahlberechtigten erhalten: SPD 24,6 Prozent, Grüne 9,5 Prozent – nicht gewählt haben 31 Prozent und wegen der Fünf-Prozent-Hürde haben 13 Prozent erfolglos gewählt. Zweitens haben diejenigen, die die SPD gewählt haben, zu einem gewiß nicht geringen Teil Henning Voscherau gewählt, weil er sich für innere Sicherheit stark gemacht hat und eine Volksabstimmung über den Euro forderte. Mit dem "feinen Henning" haben auch andere Exponenten des Mitte-Rechts-Flügels, wie der bisherige Umweltsenator Fritz Vahrenholt eingepackt, nur Ewig-Bausenator Eugen Wagner, seit 1983 im Amt, will offenbar die Politik des neuen Ersten Bürgermeisters Ortwin Runde mittragen. Von den nach wie vor zwölf Senatsmitgliedern – die Schweiz kommt mit sieben Ministern aus – stellt die SPD neun, darunter fünf Frauen. Zu den sieben aus dem Voscherau-Senat übernommenen Regierungsmitgliedern gehört die innerhalb der eigenen Partei umstrittene Schulsenatorin Rosemarie Raab, die das neue Schulgesetz zu verantworten hat. Danach sollen Schüler und Eltern zu je einem Drittel über die Geschicke der Schule mitbestimmen dürfen.

Auch Innensenator Hartmuth Wrocklage und Sozialsenatorin Helgrit Fischer-Menzel bleiben. Thomas Mirow, seit 1991 für Stadtentwicklung zuständig, übernimmt das Wirtschaftsressort, das zuvor die aus der Bürgerschaft geflogene Statt-Partei mit Erhard Rittershaus besetzt hatte. Neu sind eigentlich nur die aus Berlin gerufene Justizsenatorin Lore-Maria Peschel-Gutzeit, die bereits von 1991 bis 1993 in Hamburg Justizsenatorin war und seinerzeit von Voscherau geschaßt wurde und die Finanzstaatsrätin Ingrid Nümann-Seidewinkel, die Ortwin Runde zu seiner Nachfolgerin an der Spitze der Finanzbehörde auserkoren hat.

Nach Wunsch der Grünen hätte eigentlich deren Vize-Fraktionschef Willfried Maier Finanzsenator werden sollen. Doch da war Runde, der immer wieder gern den Soliden heraushängen läßt: "Viele politische Dummheiten können durch Mangel an Geld schon verhindert werden." Der GALer Maier wird nun Senator für Stadtentwicklung und Senator für Bonn und Europa, womit er auch für die Bundesratspolitik zuständig ist. Die Umweltbehörde besetzen die Grünen mit ihrem bisherigen Fraktionsgeschäftsführer Alexander Porschke. Fraktionschefin Krista Sager, Ex-Bundessprecherin der Grünen, wird zweite Bürgermeisterin mit den Ressorts Wissenschaft und Frauenfragen.

"Krista Ja-Sager", wie die Grüne Verhandlungsführerin seit geraumer Zeit apostrophiert wird, wurde von der Parteibasis vorgeworfen, sie habe zu viele grüne Essentials preisgegeben. In der Tat hat die Grün-Alternative Liste in der Wirtschafts- und Verkehrspolitik mächtig zurückgesteckt. Akzeptiert wurden die von ihr bisher strikt abgelehnte Hafenerweiterung in Altenwerder sowie der weitere Ausbau des Flughafens. Auch die Genehmigung der für den Bau des Airbus A3XX notwendigen Dasa-Werke ist im Prinzip beschlossene Sache. Doch die sind alles von der Wirtschaft verlangte Vorhaben, die die GAL ohnehin nicht hätte verhindern können.

Obwohl es auf dem GAL-Parteitag am vergangenen Sonntag erhebliche, zum Teil erbitterte Kritik gegeben hat, zeigte das Abstimmungsergebnis, daß der unbedingte Wille zur Macht inzwischen auch bei der Parteibasis Gemeingut geworden sein dürfte. Inhaltlich wird der moderate und vage Koalitionsvertrag ohne Ecken und Kanten wohl von keinem gutgeheißen; die tiefroten Gesinnungen treten allenthalben und unwidersprochen ans Tageslicht.

Doch einstweilen ist bei der GAL Ruhe erste Pflicht. Bis zur Bundestagswahl in knapp einem Jahr heißt es für die Grünen mit angezogener Handbremse fahren, da man sich in Hamburg, anders als in Nordrhein-Westfalen, wo die Grünen es in der Koalition mit dem rechten Flügel der SPD zu tun haben, bei den ernsthaft zur Disposition stehenden Streitpunkten einigen konnte. Zudem gibt es in der gesellschaftspolitischen Zielsetzung kaum ideologische Differenzen, weshalb es an der Elbe wohl gelingen wird, eine stabile rot-grüne Regierung zu präsentieren. Auf dem Marsch durch die Institutionen sind die Alt-Linken in Hamburg am Ziel angekommen.


 
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