© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    45/97  31. Oktober 1997

 
 
Hochschule: Die Ex-Terroristin Inge Viett diskutiert mit Studenten
Ein Lob für die Genossin
von Werner H. Krause

Als unlängst der prominente DDR-Dissident Hermann von Berg der Berliner Humboldt-Universität vorwarf, noch immer ein Überwinterungsplatz für gewisse Alt-Stalinisten zu sein, ging ein Aufschrei der Entrüstung durch die Alma mater. Dem Verfasser des seinerzeit für großes Aufsehen sorgenden sogenannten "Spiegel-Manifests", mit dem sich oppositionelle Kräfte innerhalb der SED erstmals massiv in der Öffentlichkeit artikulierten, wurde unterstellt, die Universität zu verleumden, weil er hier nach der "Wende" nicht in den Lehrkörper aufgenommen worden sei.

Dieser Tage nun bot sich an der Humboldt-Uni folgendes Bild: Unter lautstarken Bekundungen der Hochachtung schritt Inge Viett, Ex-Terroristin der "Bewegung 2. Juli" und später der RAF angehörend, zu dem Podium in der Mensa, vorbei an ihren Bewunderern, die dicht gedrängt auf den Stühlen und dem Boden hockten, um sich ja kein Wort der seit einem halben Jahr wieder auf freiem Fuß befindlichen RAF-Veteranin entgehen zu lassen.

Inge Viett enttäuschte ihre Anhänger nicht. Da ließ sie sich von "Wolfgang", der nach eigenen Angaben auch einmal dazu gehört hat, bescheinigen, keine miese Verräterin gewesen zu sein. "Du bist nicht wie andere durch die Kronzeugenregelung zum Verräter geworden, hast dich nicht freizukaufen versucht", sprach er der kampfgestählten Genossin sein Lob aus. Inge Viett nahm es lächelnd entgegen. Flankiert von Mitgliedern des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Kubas gab sie sich ganz als unbeugsame Kämpferin, frei nach dem Motto, daß eine verlorene Schlacht längst nicht das Ende des Kampfes bedeute.

Anfang der siebziger Jahre hatte sie sich der terroristischen "Bewegung 2. Juli" angeschlossen, machte sich im Untergrund mit dem Gebrauch von Schußwaffen und selbstgebastelten Bomben vertraut, um den Staat BRD zu bekämpfen. In Paris floß dann Blut, als Inge Viett einen Polizisten niederschoß, als man ihr auf die Spur kam. Der verletzte Polizist ist seitdem ein Krüppel, während Inge Viett sich nach sechsjähriger Gefängnishaft von jungen Leuten wie eine Heldin feiern läßt.

In den achtziger Jahren hatten sie und andere Terroristen in der DDR Unterschlupf gefunden. Die Stasi verpaßte ihr eine neue Identität; sie erhielt einen Paß, ausgestellt auf den Namen Eva-Maria Schnell, einen Arbeitsplatz als Kindergärtnerin sowie eine Wohnung in einem Plattensilo. Die DDR gefiel sich in der Rolle einer "Schutzmacht" für diese politischen Wirrköpfe, die ihren Marx total mißverstanden hatten, sich begierig die Worte Che Guevaras von den vielen Vietnams zueigen machten, die es zu schaffen gelte, um dem US-Imperialismus eine Schlappe zuzufügen. Daraus rührten sie sich eine Ideologie zurecht, die statt auf Überzeugung lieber – gemäß Mao – auf Gewehrläufe setzte.

Klüger ist Inge Viett in den vergangenen Jahren nicht geworden. Was sie in der Humboldt-Uni von sich gab, ließ frösteln. Zu den Selbstmorden im Hochsicherheitstrakt Stammheim im O-Ton: "Es gibt überhaupt keinen Grund der Staatsversion zu glauben, daß es sich hier um Selbstmorde gehandelt hat." Zur Bekämpfung des Staates mit terroristischen Mitteln: "Wir hielten die Verhältnisse dafür reif, heute müssen wir einsehen, es war eine falsche politische Analyse. Wann heute die Situation wieder so sein wird oder nicht, dies weiß man einfach nicht." Über die Guerilleros in Lateinamerika: "Konkret habe ich keine Beziehungen dorthin, noch nicht. Ich erwarte aber, auch für mich, daß von dort neue Impulse zu uns kommen, die uns auch wieder erwecken." Über die heutige Bedeutung von Che Guevara für die Linke: "Mit ihm bleibt die Hingabe für den revolutionären Kampf, den es wieder bei der Jugend attraktiv zu machen gilt. Wir müssen unsere Ideale für die Nachkommenden retten, sie wieder zum Leuchten bringen." Dafür umbrandet sie minutenlanger Beifall.

Dann wird sie von ihren Sympathisanten umdrängt, die mit der Unbeugsamen einen Händedruck wechseln möchten. Die Hände auf dem Plakat, das groß zu ihren Häuptern prangt, umklammern Gewehrkolben, während die Finger die Abzugshebel spannen. "Wir können auch anders", steht darauf zu lesen. Die Abbildung zeigt Spartakisten, die hinter einer Barrikade von Sandsäcken in Stellung gegangen sind. Es handelt sich dabei um ein Werbeplakat des ehemaligen FDJ-Zentralorgans Junge Welt, das heute mit Che und Inge wirbt.

14 Tage zuvor ließ die PDS-Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke, die ihre politische Lehrzeit beim linksextremen "Kommunistischen Bund" hatte, in der Berliner Humboldt-Universität durch Mitarbeiter ihres Bonner Büros die Heimatvertriebenen verteufeln. Offensichtlich liegt Hermann von Berg mit seiner Feststellung doch nicht ganz falsch.


 
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