© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    45/97  31. Oktober 1997

 
 
Störsender Ost: Der Ex Chef des "Deutschen Freiheitssenders 904" packt aus
Achtung Förster, Hamster bohnert!
von Werner H. Krause

"Am 17. August war erstmals im Äther der Deutsche Freiheitssender 904 zu hören. Alles lief äußerst geheimnisvoll ab. Es unterblieb jegliche Information über die Macher, geschweige denn über den Sendestandort oder den Sitz der Redaktion. Kommentatoren und Nachrichtensprecher parlierten in bayerischer Mundart oder im behäbigen Dialekt des Ruhrpotts. Die knapp gehaltenen Wortbeiträge waren in ein Stakkato von schmissiger Musik eingebettet, wie es erst Jahrzehnte später typisch für die deutsche Rundfunklandschaft werden sollte. Dazwischen gab es merkwürdige Durchsagen etwa in der Form: "Achtung Förster, der Hamster bohnert, der Wachs ist alle", oder "Ab sofort darf rechts und links überholt werden, aber erst bei Sonnenuntergang‘".

Das waren geistige Anleihen vom Soldatensender Calais, den die Allierten im Zweiten Weltkrieg installiert hatten. Ein Teil der obskuren Mitteilungen waren verdeckte Anweisungen für die Kuriere der KPD; die Partei war gerade verboten worden.

Initiator des "Deutschen Freiheitssenders 904" war das Zentralkomitee der SED. An der Spitze stand Heinz Priess, ehemals Chefredakteur der Hamburger Volkszeitung, des KPD-Organs in der Hansestadt. Alles, was mit dem Deutschen Freiheitssender 904 zu tun hatte, blieb bis zum Ende der DDR streng gehütetes Geheimnis. Heinz Priess, heute 82jährig, hat darüber inzwischen den Schleier gelüftet.

Das lose Mundwerk der Moderatoren und die flotte Musik brachten dem Sender viele Zuhörer. Doch nicht wie beabsichtigt in Westdeutschland, sondern überwiegend in der DDR. Der Sender erwies sich als Rohrkrepierer. Das führte dazu, daß eines Tages der damalige Armeegeneral Heinz Hoffmann dem Chefredakteur die Leviten las: "Hör mal, mein Lieber, wenn du mit deinem Sender meine Soldaten weiter verrückt machst, kannst du was erleben."

Dazu Priess: "Offiziell galten wir als ein Westsender. Wurden NVA-Angehörige beim Hören von 904 erwischt, hatte dies disziplinarische Maßnahmen zur Folge." Einzelheiten über den Aufbau des Senders bekam Priess im Sommer 1956 von Hermann Matern, dem Vorsitzenden der Zentralen Parteikontrollkommission beim ZK der SED, mitgeteilt. Es galt: "Keiner braucht zu wissen, wo das Ding steht!"

Die Sendetürme befanden sich in Burg bei Magdeburg; es wurde auf einer Frequenz gesendet, die bis dahin der sowjetischen Armee vorbehalten war. Die Redaktion setzte sich aus Redakteuren der aufgelösten westdeutschen KPD-Zeitungen zusammen. Das Brett vor ihrem Kopf hatte noch keine Bohlenstärke angenommen.

Die Redaktion etablierte sich zunächst in einem Ausweichstudio in Grünau und zog alsbald in eine Villa am Bestensee. Nichts deutete auf den Sendebetrieb hin. Alles ging konspirativ vonstatten. Getarnt waren auch die Arbeitsverhältnisse. In den Sozialversicherungsausweisen wurden falsche Arbeitsstellen eingestempelt. Von dort erfolgte auch die Entlohnung. Täglich stiegen die Mitarbeiter in einen unauffälligen Bus, der sie vom Berliner Stadtzentrum hinaus nach Bestensee brachte. Für einen ständigen Nachschub an "heißen Scheiben" sorgten KPD-Emissäre. Was sie in westdeutschen Schallplattengeschäften erwarben, gelangte über den S-Bahnhof Friedrichstraße in die DDR.

"Oftmals", so Priess, "ließen wir im Sender sogenannte Luftballons steigen. Darunter waren erfundene Nachrichten zu verstehen." Manche westdeutsche Medien fielen darauf herein. Für die Mitarbeiter stellte der Sender eine politische Nische dar. Sie blieben verschont von Telefonanrufen des Presseamtes der DDR, konnten weitgehend nach eigenem Gutdünken vorgehen. Gelegentlich bezeichnete Oskar Neumann vom KPD-Vorstand den Sender als ein Sammelbecken von "Revisionisten". Doch Folgen hatte das nicht.

Mit Bildung der sozial-liberalen Koalition 1969 in Bonn stellte die SED Propagandaaktionen ein. Das betraf auch den sogenannten Deutschen Soldatensender, den die DDR zur Beeinflussung der Bundeswehr geschaffen hatte. Auch sämtliche Störsender verschwanden. Die Wirksamkeit des Deutschen Freiheitssenders 904 bezeichnet Priess als gleich Null. "Nichts wurde da in Bewegung gebracht, nur die Musik kam an."

Sein jetziger Lebensbericht stellt auch eine Abrechnung mit dem Mißbrauch kommunistischer Ideale dar. So erlebte er als Bataillonskommandeur der Interbrigaden im Spanischen Bürgerkrieg nicht nur Heroisches. Eines Tages machte im Schutz einer Hügelkette ein PKW halt. Ihm entstieg ein Mann in funkelnagelneuer Uniform und den Abzeichen eines Hauptmanns. Er stellte sich Priess als Fritz Leissner vor und wünschte den Frontabschnitt zu besichtigen. Als plötzlich heftiges Gewehrfeuer einsetzte, verschwand er eiligst. 1951 begegnete ihm Heinz Priess in der DDR wieder. Der Mann hieß jetzt nicht mehr Leissner, sondern Erich Mielke und sorgte in Spanien für die "Säuberung" der eigenen politischen Kader.

"Im Kreis der früheren Spanienkämpfer ließ sich Mielke niemals blicken", erinnert sich Heinz Priess, "er ging allen Zusammenkünften aus dem Wege." Ein anderer, der nur eine Stippvisite in Madrid und Barcelona gemacht hatte, um dort eine Propagandarede zu halten, Walter Ulbricht, hätte sich nur zu gern mit den Meriten eines Spanienkämpfers geschmückt. Bei einer Ehrung von Spanienkämpfern wurde der von Ulbricht kaltgestellte Franz Dahlem mit nicht endenwollendem Beifall empfangen. Als sich Ulbricht zum Podium begab, rührte sich keine einzige Hand. "Das hat er uns nie verziehen", erzählt Priess. "Möglicherweise war dies für seinen Entschluß auschlaggebend, Mitte der 50er Jahre die VVN (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes) in der DDR aufzulösen." Sein Fazit: "Wir sind nicht am Klassenfeind, sondern an uns selbst gescheitert."


 
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