© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    45/97  31. Oktober 1997

 
 
Pankraz, M. Sostschenko und das Telefonbuch im Sarg

Jeder pflegt sein Hobby, Pankraz z.B. sammelt kuriose Agenturmeldungen. Drei seiner neueren Funde möchte er hier einmal vorstellen. Sie tragen die Überschriften: "Särge statt Rente", "Aus der Tanzstunde direkt in die Randale" und "Endlich: Braunschweigs Telefonbuch wird Theaterstück".

Im ersten "Take" berichtet die Agentur Reuter aus der Stadt Karaganda in Kasachstan. Dort fehlte es bei der fälligen Rentenauszahlung, wie schon öfters vorher, an Geld, aber der Filialleiter, der gleichzeitig Tischler war, verfügte gerade über eine schöne Kollektion stabiler Särge, für die es Absatzschwierigkeiten gab. Kurzerhand verband er die Tischlerei mit der Altenfürsorge und übergab jedem der Rentner, die gekommen waren, ihre Staatsknete abzuholen, einen tiptoppen Fichtensarg inklusive Totenhemd aus knitterarmem Fichtenholzpapier im Werte von sechs Monatssätzen.

Im zweiten Fall (eine dpa-Meldung) geht es um eine Tanzschule in der Rosenthaler Straße in Berlin, deren Einübung von Standard- und Modetänzen nebst Benimmregeln immer wieder dazu führte, daß sich die Schüler und Schülerinnen anschließend sofort auf die Straße begaben, um "Hiphop" oder "Kleinholz" zu machen, d.h. Schaufenster einzuschlagen, herumzugrölen und vorbeikommenden Passanten "eine reinzuwürgen". Jetzt wolle sich die Polizei mit der Schulleiterin befassen.

Die dritte Meldung (AFP), aus Braunschweig, teilt lakonisch mit, daß es der Studiobühne des dortigen Staatstheaters "endlich" gelungen sei, das umfangreiche Telefonbuch der Stadt "erfolgreich" uraufzuführen. Die Publikumsreaktion, heißt es, sei "durchweg positiv", nicht zuletzt wegen zweier "strammer Powerfrauen", die im Verlauf der Vorstellung mehrere dicke gelbe Telefonbücher zerrissen hätten, eine Übung, die bisher "nur männlichen Kraftakrobaten" gelungen sei.

An allen drei Meldungen fällt der ungemein sachliche Ton angenehm auf. Die Verfasser verkneifen sich – was ja bei Agenturmeldungen längst nicht mehr selbstverständlich ist – jegliche wertende Floskel, enthalten sich jeglicher Stellungnahme. Was einzig gilt, ist die Nachricht selbst. Ein bewundernswertes Ethos der Objektivität wird sichtbar. Man spürt richtig, daß es keineswegs auf die Bedienung einer abseitigen Spalte für "Vermischte Nachrichten" abgesehen war, sondern daß hier für die Ressorts "Politik" (Tanzschule), "Wirtschaft" (Särge) und "Kultur" (Telefonbuch) angeliefert wurde.

Leider wird von Reuter nichts über die Reaktionen der betreffenden Rentner mitgeteilt, denen da ein veritabler Holzsarg über die Auszahlungs-Rampe geschoben wurde. Pankraz kann sich nicht vorstellen, daß die Leute sonderlich erfreut waren über die "sichere Zukunftsanlage". Die meisten werden es wohl als einen wenig charmanten Wink mit dem Zaunpfahl empfunden haben, im Sinne des einstigen, seinerzeit in Ungnade verblichenen Sowjetsatirikers Michail Sostschenko: "Stirb schneller, Genosse!"

Im Falle der dpa-Meldung über die Tanzschule gab es vernehmbare Reaktionen aus der Berliner Öffentlichkeit. Einige Kulturkritiker stellten Betrachtungen über das Auftauchen einer "neuen Generation" an, der "Hiphop"-Generation, die ihre inhärente Gewaltbereitschaft nur noch aktivieren könne, wenn sie unmittelbar vorher tanzen gelernt habe. Denn schon Marx habe gefordert, daß man die versteinerten Verhältnisse "zum Tanzen" bringen müsse. Der Tanz als Präludium und Motor der Revolution.

Am lautesten und ausgedehntesten war das Echo auf die Uraufführung des Telefonbuchs; das Wörtchen "endlich" in der Meldungsüberschrift ist bezeichnend. Schon seit längerem kursieren ja trübselige Telefonbuchwitze, des Inhalts etwa, daß einem ein Telefonbuch zur Lektüre gegeben wird, und nach einiger Zeit wird er gefragt, ob es ihm denn gefallen habe. Anwort: "Sehr gut! Zwar viele Namen und ein bißchen wenig Handlung, aber sonst recht spannend." Diese trübe Masche also schrie im Zeitalter der "Comedy-Talk-shows" und der "Sieben Tage, sieben Köpfe" geradezu nach Staatstheater, und die Begeisterung ist denn auch allgemein.

Für besonders gelungen hält der Rezensent der Braunschweiger Zeitung die Nennung der im Telefonbuch aufgeführten "Sarg-Institute mit Parkplatz hinter dem Hause", bemängelt freilich, daß zu wenig Randale gemacht wird, daß "die beiden drallen, muskelbepackten Frauen im knackigen Body-Builder-Dress" zu selten zum zerreißenden Einsatz kommen. Vielleicht hätte diesem Fehler abgeholfen werden können, wenn der Dramaturg die beiden Damen vorher zum Besuch jener Berliner Tanzschule in der Rosenthaler Straße angehalten hätte.

Alles in der Welt hängt irgendwie miteinander zusammen. Karaganda, Berlin und Braunschweig sind da nur noch Kürzel, "Codes", für das, was an sich nicht zusammengehört und trotzdem im Zeichen der Postmoderne bevorzugt zusammengebracht wird: die Rente, die Leben sichern soll, mit dem Sarg, die Tanzschule, die Benimm vermitteln soll, mit dem Aufmischen der Streetfighters, das Theater, das Schicksale beschwören soll, mit den Zahlenkolonnen des Telefonbuchs. Tod gegen Leben, Chaos gegen Form, Zahlenkolonnen gegen Schicksale, so haben sie’s gern, und so wird’s gemacht.

Daß man aber nicht melancholisch darüber wird, dafür sorgen die Medien, die alles für gleich wichtig nehmen und in eine Linie bringen. Man muß nur das Faxgerät eingeschaltet lassen oder Focus lesen. "Fakten, Fakten, Fakten". Und heraus kommt am Ende ein Report über menschliches Sexualverhalten, genauer: über das, "was dabei im Kopf vorgeht". Es ist alles nicht so schlimm. Oder, um mit Shakesspeares Narr zu sprechen: "Gut gehängt ist besser als schlecht verheiratet, hop heißa, bei Regen und Wind."


 
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