© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    45/97  31. Oktober 1997

 
 
Die Nation ist fähig zum Wettbewerb
von Michael Wiesberg

Die Diskussion um die Folgen und die Bewertung der "Globalisierung" befindet sich in Deutschland in einer Sackgasse. Grob gesagt können drei Lager unterschieden werden: Den Befürwortern der "Globalisierung", die in der Regel das exekutieren wollen, was ihnen von den USA vorgegeben wird, steht eine ständig wachsende Schar von Gegnern "linksliberaler" und "rechtskonservativer" Provenienz gegenüber. Insbesondere die "linksliberalen" Kritiker sehen neben der bedrohlichen Machtentfaltung "multinationaler Konzerne" mit der "Globalisierung" eine Neuauflage des "Manchester-Kapitalismus" heraufziehen, der den Sozialstaat deutscher Prägung gefährdet. Die Spiegel-Autoren Harald Schumann und Hans-Peter Martin zum Beispiel kündigen die Heraufkunft einer 20:80-Gesellschaft an. Nur ein Fünftel der arbeitsfähigen Menschen werden ihrer Auffassung nach auch in Zukunft noch gebraucht werden, damit die Weltwirtschaft im Schwung bleibt.

Auch "rechtskonservative Autoren" werden nicht müde, auf "Arbeitsplatzverlagerung", "Ende der Nationalökonomie", "One-World-Ideologie" und "Auflösung des Nationalstaates" zu verweisen, die im Zuge der medialen und ökonomischen Vernetzung aus ihrer Sicht unabdingbar folgen. Der hier mit groben Strichen skizzierte Gegensatz zwischen Kritikern und Befürwortern der "Globalisierung" scheint unauflösbar. Und in der Tat spricht ja auch einiges dafür, daß die angeblichen "Wohlstandsgewinne", die die "Globalisierung" über die sogenannten "komparativen Kostenvorteile" verheißt, nicht mehr als bloße Propaganda sind. Sind es nicht gerade die Folgen der "Globalisierung", die dem bis vor kurzem als "vorbildlich" apostrophierten deutschen Sozialstaat" eine nicht für möglich gehaltene Krise beschert hat? So sehen es in seltener Übereinstimmung die Kritiker von "links" und "rechts". Entsprechend dieser Deutung der Vorgänge fallen denn auch die "Rezepte" aus, die ausgegeben werden. Während "rechtskonservative" Autoren glauben, eine Rückkehr zum "Protektionismus" sei unausweichlich, um zu retten, was noch zu retten ist, glauben eher "linke" Autoren mit Formeln wie "Umverteilung der Arbeit", "internationale Sozialstandards" und "Vereinbarungen auf supranationaler Ebene" den Problemen zu Leibe rücken zu können. Der Nationalstaat hat aus ihrer Sicht ausgedient, weil die Probleme national angeblich nicht mehr bewältigt werden können.

So konstatiert zum Beispiel der Autor Rolf Knieper den Handlungs- und Bedeutungsverlust von Nationalstaaten angesichts der globalen Mobilität von Kapital. Nach Knieper hat die Internationalisierung von Ökonomie und Kommunikationsnetzen die Basis des Nationalstaates untergraben. Dies heißt nach Knieper nicht, daß der Staat keinerlei wirtschaftspolitische Funktionen mehr ausüben kann. Ihm bleibt aber lediglich die Aufgabe, für die "allgemeinen Produktionsbedingungen" zu sorgen, die für die Gesellschaft vorteilhaft sind, jedoch nicht genug Profit abwerfen, um von den Privatunternehmen hergestellt zu werden.

So plausibel alle diese Argumente klingen mögen, sie kranken daran, daß sie die neueren Theorien zur Wettbewerbsfähigkeit ignorieren oder nicht kennen. Gerade diese aber zeigen, daß die internationale Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen in der Ära der "Globalisierung" zunehmend stärker abhängt von deren Untemehmensumfeld; das Unternehmensumfeld aus komplexen, kommunikationsintensiven und zunehmend geographisch konzentrierten Zulieferernetzwerken, sowie ausdifferenzierten, hochspezialisierten institutionellen Rahmenbedingungen, wie Universitäten, private und öffentliche Forschungs- und Ausbildungseinrichtungen, besteht.

Die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen hängt von diesen Netzwerken ab und nicht – wie Knieper meint – von "uniformierten", also gleichförmigen, "allgemeinen Produktionsbedingungen", die leicht durch eine "standardisierte" Politik herstellbar wäre. Nicht nur der Staat hat demnach an "Souveränität" verloren, sondern gerade auch das Einzelunternehmen, dessen Wettbewerbsfähigkeit nicht nur auf eigenen Modernisierungsanstrengungen basiert, sondern auch auf den zwischenbetrieblichen und institutionellen Strukturen, in die es eingebunden ist.

Diese Einsicht führt zu einer ersten wesentlichen Feststellung: Die Determinanten der Wettbewerbsfähigkeit entstehen nicht abstrakt in der "globalisierten" Weltwirtschaft, sie sind vielmehr territorial gebunden. Daraus kann die Schlußfolgerung gezogen werden, daß aktive, auf die gezielte Gestaltung von Wirtschaftsstandorten ausgerichtete Angebotspolitiken einen wesentlichen Einfluß auf die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen in einer Region haben. Die von Neoliberalen unentwegt hervorgehobene Angebotsseite der Unternehmen, assoziiert mit Begriffen wie "Deregulierung" und "Abbau von Staatstätigkeiten", scheint in der gegenwärtigen Phase radikalen technisch-organisatorischen Wandels zu einem wichtigen Regulierungsfeld zu werden, in dem der Staat im Verbund mit Unternehmen und intermediären Akteuren handelt. Über diesen Umweg kehrt die aktive nationale Wirtschaftspolitik in die globalisierte Ökonomie zurück.

Michael E. Porters Studie "The Competitive Advantage of Nations", die bereits 1990 veröffentlicht wurde und in hiesigen Kreisen so gut wie nicht zur Kenntnis genommen wurde, gehört dessenungeachtet bereits zu den "Klassikern" der neuen Theorien zur Wettbewerbsfähigkeit. Porter kritisiert, daß die traditionellen Handelstheorien und Ansätze zur Analyse der Bedingungen von Wettbewerbsfähigkeit ausschließlich auf Faktorkosten und Preisvorteile abstellen, ohne den Prozeß der Herausbildung von Wettbewerbsvorteilen zu durchleuchten.

Der einzig vernünftige Gradmesser für Wettbewerbsfähigkeit ist bei Porter die Produktivität. Produktivität wird in den Unternehmen hergestellt, weshalb diese im Zentrum der Analyse stehen müssen. Zugleich stellt er sich die Frage, unter welchen Bedingungen Unternehmen Produktivität steigern und in immer komplexere Industrien hineinwachsen können. Also geht es neben den Unternehmen bei Porter zugleich immer um das Untemehmensumfeld. Die Leistungsfähigkeit von Unternehmen fußt seiner Ansicht nach auf komplexen Unternehmensnetzwerken und ihrem institutionellen Umfeld. Über je mehr wettbewerbsfähige Unternehmensnetzwerke eine Ökonomie verfügt und je intensiver die Interaktion zwischen diesen ausgeprägt ist, desto dynamischere Entwicklungen sind zu erwarten.

Ein Netzwerk wettbewerbsfähiger Unternehmen ist mehr als die Summe seiner Teile. Die Unternehmen investieren in zwar sehr spezielle, jedoch zugleich benachbarte Technologien. Informationen werden ausgetauscht, eine gemeinsame Infrastruktur entsteht, individuelle oder auch gemeinsame Anstrengungen im Bereich der Aus- und Weiterbildung von Arbeitskräften vergrößern die menschlichen Ressourcen, die regionale Konzentration führt zur Imitation erfolgversprechender Elemente von Unternehmensstrategien benachbarter Betriebe. Unternehmerorganisationen, Industrie- und Handelskammern, Kontakte von Unternehmen(s-gruppen) zu Universitäten und Forschungseinrichtungen lassen institutionelle Strukturen entstehen, wodurch Synergieeffekte erzeugt werden.

Nationen sind demnach mitnichten völlig hilflos der globalisierten Ökonomie und dem international vagabundierenden Kapital ausgeliefert. Sie können und müssen ihren nationalen Standort gestalten und optimieren, wobei eben qualifizierte Arbeitskräfte, gut ausgebaute Forschungslandschaften und politische Stabilität wesentlicher sind als Niedriglöhne oder gewerkschaftsfreie Zonen. Wir können also festhalten: Wesentliche Wettbewerbsdeterminanten sind territorial gebunden, Wettbewerbsfähigkeit ist in Grenzen gestalt- und steuerbar, abhängig von leistungsfähigen nationalen Akteuren. Die Meßlatte liegt allerdings hoch.

Mit der Untersuchung nationaler Innovationssysteme unternahm Porter den Versuch, den Grundlagen von Wettbewerbsfähigkeit auf die Spur zu kommen; es ist der Versuch, die drei Ebenen Unternehmen, Netzwerk und Staat aufeinander zu beziehen und den Wechselbeziehungen nachzuspüren, die dafür verantwortlich sind, daß ganz bestimmte Volkswirtschaften (d.h. territorial begrenzte Wirtschaftsräume) deutlich erfolgreicher (hier: innovativer und produktiver und daher wettbewerbsfähiger) sind als andere.

Festgehalten werden kann also, daß territorial gebundenen Produktionsfaktoren eine wesentliche Bedeutung im Prozeß wirtschaftlicher Entwicklung zukommt. Entwicklung findet auch in der globalen Ökonomie weiterhin in begrenzten Räumen statt.

Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen laufen die Maßnahmen, die die Bundesregierung ergreift, in eine völlig falsche Richtung. Statt den Ausbau jener oben beschriebenen integrierten Netzwerke voranzutreiben, werden staatliche Handlungsmöglichkeiten zunehmend abgebaut. Falsch erscheint auch die Auffassung, daß die Europäische Union samt Euro eine adäquate Antwort auf die "Globalisierung" darstellt. Die Regelungswut der EU schränkt die nationalen wirtschaftlichen Spielräume drastisch ein. Schlußendlich erweist sich auch die schleichende Implementierung des internationalen Wanderproletariats in Deutschland als fatale Fehlentwicklung. Für diese Menschen wird es unter Zugrundelegung der obigen Ausführungen in Deutschland in Zukunft kaum noch Arbeit geben. Deutschland beraubt sich mit diesen Fehlentwicklungen zunehmend der Fähigkeit, nationale Gestaltungsmöglichkeiten in einer internationalisierten Wirtschaft zu bewahren. Genau dies, so scheint es, wird aber in hiesigen Kreisen auch gar nicht gewünscht.


 
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