© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    43/97  17. Oktober 1997

 
 
Vorwärts Immer
von Kai Guleikoff

Der 9. Bundesparteitag der CDU setzt neue Maßstäbe. Die Heldenstadt Leipzig wurde zum Austragungsort gewählt. Ein Gebäudekomplex, wie aus dem Gemeinschaftswerk "Aufbau Ost" wurde zur Arena bestimmt: Das Congress Center auf dem neuen Messegelände. Obwohl außerhalb gelegen, im Unterschied zum historischen Messeplatz, ist es für die 1.001 Delegierten hervorragend zu erreichen gewesen. Dadurch bringen Mann und Frau gleich gute Laune mit.

Diese wurde auch sogleich gebraucht zur Eröffnung des Parteitages am Montag. Die mitteldeutschen Delegierten staunten nicht schlecht, als ein Ritual zelebriert wurde, das ihnen zumindestens aus der "Aktuellen Kamera", der Nachrichtensendung des DDR-Fernsehens noch gut in Erinnerung war. Die Rede des großen Vorsitzenden der Partei war nostalgisch und visionär zugleich. Sein Versprechen, der Partei weiter voranzugehen, wurde mit stehendem Applaus minutenlang gewürdigt. Rufe erklangen: Helmut, Helmut! Generalsekretär Hintze euphorisch wie immer zur Rechten, Frau Merkel zur Linken des Chefs. Einigkeit, Einheit, Einheitspartei. Wir sind das Volk, wir sind die Partei. Triumph des… Lassen wir das! Appell an das Gefühl, die Tugenden. Wie gut das alles tut in einer kaputten Welt. Alle Kritiker sind erst einmal versöhnt.

Ist eine Steigerung noch möglich? Kohl könnte JU-Chef Escher an sich drücken, Arm fest um die Schulter und das Lied anstimmen: Bau auf, bau auf! Junge Union, bau auf! Doch wäre dieses Lied dem eigenen Image nicht irgendwie abträglich? Lassen wir das auch. Die Wirkung der Eröffnung schlägt bis zu den Pausen durch. Lachshäppchen auf Weißbrot und Rotwein werden zur Erquickung gereicht. Mein Gott, die Welt ist wieder in Ordnung. In die Mikrophone der zahlreich vertretenen Re-
porter wird gerufen: Kein Besserer ist vorstellbar! Ich bin dabei gewesen! Frauen stehen dabei in vorderster Reihe. Bereits im Plenum gehörten die Wortmeldungen von Angela Merkel und Vera Lengsfeld zu den besten des Tages. Da durfte keiner in der Glashalle des Westeinganges zurückstehen, auch wenn es nur ein Bekenntnis beim Pausenbrot war. Dafür Danksagung dann am Abend. Er selber lud ein – und spielte auf zum Schunkeln. Helmut am Keyboard und dazu Melodien, wie "Seemann, laß das träumen." Die Delegationen aus Sachsen und dem Saarland tauschen Blicke: Sowas brachten Walter und Erich nicht zu-stande. Wie denn auch, der Mantel der Geschichte verdeckte denen nur die Augen. Der Lebendige dagegen hat den Mantel erfaßt – und läßt ihn nicht wieder los.


 
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