© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    43/97  17. Oktober 1997

 
 
Kolumne
Doppelspiel
von Klaus Hornung

Im ewigen Nachrichtenstrom ist ein Vorgang weitgehend unbeachtet geblieben, der jedoch eine wichtige politische Signalwirkung besitzt: der Besuch des französischen Staatspräsidenten Chirac in Moskau, bereits der zweite in zwei Jahren. Es wurden dabei nicht nur schöne Worte ausgetauscht, Chirac erhielt nicht nur den höchsten Orden der Russischen Föderation, den noch kein anderer Ausländer besitzt. Es ging in Moskau vielmehr um ganz handfeste Politik. Chirac gedenkt, das bisher priviligierte deutsch-russische Verhältnis im Zeichen der Männerfreundschaft zwischen Helmut und Boris durch eine substantielle Beziehung zwischen Paris und Moskau abzulösen. Und die französische Morgengabe hierfür war auch nicht ohne: Jelzin konnte die Pariser Distanz zur NATO-Osterweiterung erfreut zur Kenntnis nehmen, bei der ihn sein Bonner Freund so sehr enttäuscht hat. Scharfsichtig hat Chirac den deutsch-französischen Interessengegensatz in dieser Frage benützt und in Moskau auf das französische Konto gutgeschrieben.

Die Pariser Politik macht damit deutlich, wie sie sich die Tagesordnung nach der Einführung des Euro vorstellt. Hat man erst einmal die deutsche Währungskraft an die Kette gelegt und den Goldschatz am Rhein vergemeinschaftet zum Nutzen aller europäischen Schwachwährungen, wird der Weg zur Politischen Union Europas erst einmal beendet – mögen die Deutschen ihr romantisches Lied darüber ruhig noch einige Zeit weitersingen. Ist erst einmal die Bundesbank beseitigt, denkt kein ernsthafter Mensch in Paris (und London) an weitere Vergemeinschaftungen, etwa bei den Kernwaffen oder hinsichtlich des ständigen Sitzes im UN-Sicherheitsrat.

Der deutschen Politik ist schon heute zu raten, sich auf einen verstärkten französischen Anspruch auf die europäische Führungsrolle und auf ausschließlich nationale Entscheidungsgewalt in der Außen- und Sicherheitspolitik einzustellen. Paris und London werden zunehmend nationalstaatliche Interessenpolitik, wenn auch in europäischer Drapierung, treiben, wie sie das schon in Bosnien-Serbien vorführten Die "Scheu der Deutschen, sich selbst zu regieren" (Margaret Thatcher) und sich deshalb unter das europäische Dach zu flüchten, wird nicht dazu führen, daß sich die Staaten und Nationen in Europa auflösen wie Zucker im Kaffee. Es ist abzusehen, daß die politischen Willens- und Meinungsbildung in Europa weiterhin national bleiben wird. "Die immer engere europäische Integration" bleibt zunächst einmal ein (deutscher) Traum.


 
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