© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    43/97  17. Oktober 1997

 
 
Kriegsbeginn 1937: Japans Banner wehte über dem Reich der Mitte
Nippons Machtgelüste
von Arman Kilic

Das kollektive historische Gedächtnis Chinas erinnert sich dieser Tage an den Krieg mit Japan, der vor siebzig Jahren ausbrach und mit dem der Zweite Weltkrieg im Fernen Osten bereits begann. Angesichts der damaligen inneren Zerrissenheit des einstmals so machtvollen Reiches der Mitte sowie der schwindelerregenden japanischen Siege erfüllt das Gedenken an diesen Krieg die nationalbewußten Chinesen mit einem Gefühl von Demütigung und Schmach.Obwohl in Japan auch heute noch in eher verniedlichender Form nur vom "China-Zwischenfall" gesprochen wird, kam diesem Landblock in der japanischen Konzeption der Schaffung einer ostasiatischen Großraumordnung die zentrale Bedeutung zu. Der äußere Anlaß für den Ausbruch des bis 1940/1941 dauernden Krieges waren vom japanischen Militär provozierte Kampfhandlungen mit chinesischen Einheiten an der Marco-Polo-Brücke bei Peking in der Nacht vom 7. auf den 8. Juli 1937.

Die Vorgeschichte dieses Konflikts reicht jedoch weiter zurück. Der 1894 einsetzende Krieg zwischen beiden Staaten endete ein Jahr später mit dem Sieg Nippons. Nach den Demütigungen der Opium-Kriege und "ungleichen Verträge" mußte sich das Reich der Mitte nun auch noch von einem bis dato unscheinbaren asiatischen Winzling auf dem Schlachtfeld vorführen lassen. Mit dem Krieg gegen Rußland 1904/05 stieg Japan endgültig zur asiatischen Großmacht auf. Allerdings änderte sich die politische Haltung der alliierten Mächte – allen voran der USA und Großbritanniens – gegenüber dem stark geschwächten China nach Ende des Ersten Weltkriegs. Ein übermächtiges Japan verursachte in London und Washington nicht unerhebliches Kopfzerbrechen, da eigene handels- und geopolitische Interessen empfindlich berührt schienen. So sah sich das fernöstliche Inselreich nach 1919 gezwungen, das Gebiet von Kiautschou an China zurückzugeben und an einem Neun-Mächte-Vertrag teilzunehmen, der auf der Grundlage der Souveränität und territorialen Integrität Chinas beruhte und durch ein gleiches Vertragsinstrument für die Südsee ergänzt wurde.

Der Errichtung der chinesischen Republik folgte eine Zeit chaotischer Zustände. Ein langjähriger und blutiger Bürgerkrieg eigennütziger Warlords und ihrer Söldnerarmeen stürzte China ins Elend. In der Zeit von 1928 bis 1932 verstand es jedoch Tschiang Kai-schek an der Spitze der Koumintang-Partei, ganz China einigend unter seine Herrschaft zu bringen und mit Hilfe deutscher Berater wie General Hans von Seeckt eine leistungsfähige Armee aufzubauen. Die enormen sozialen Probleme des feudalen, mittelalterlich anmutenden Riesenreiches nährten beständig die kommunistische Bewegung, die angetreten war, um China den Stempel ihres revolutionären Willens gewaltsam aufzudrücken.

Das Reich stand auf tönernen Füßen – und Japan wußte das. Tokio sah sich nach 1918 um die Früchte seiner Siege betrogen. Es war bestrebt, seinen hegemonialen Einfluß in China weiter auszubauen, um die durch die rasante demographische und industrielle Entwicklung freigesetzten Energien auf das Ziel der Schaffung eines zusammenhängenden Großraumes zu lenken. Die Bevölkerungszahl Japans stieg von 43,9 Millionen um die Jahrhundertwende auf 72 Millionen im Jahre 1937. Obwohl das Land den Druck der Weltwirtschaftskrise durch Unterbietung des europäischen und amerikanischen Preisniveaus weitgehend auffangen konnte, schien ein Ausweg aus der schwierigen Lage der Nation auf Dauer doch ohne die Sicherung großer Absatzgebiete und die Erschließung von Siedlungsland für eine starke Auswanderung nicht möglich.

In Offizierskreisen entstand die Doktrin der "Großostasiatischen Gemeinsamen Wohlstandssphäre", die ihre exponierten Theoretiker in den beiden Generälen Tanaka und Dohihara fand. So beabsichtigte die japanische Militärführung, in dem chinesischen Riesenraum zunächst eine Pax Japonica zu etablieren, die sodann dem ostasiatischen Block unter Ausschluß der alten imperialistischen Mächte des Westens eine neue Lebensordnung nach dem Gesetz des Inselstaates geben sollte.

Da Kriegs- und Marineminister nur dem Kaiser gegenüber verantwortlich waren, konnten die Pläne des Militärs auch gegen oder ohne die Zustimmung des Regierungskabinetts realisiert werden. In Kenntnis dieser Lage benutzte die mit dem Schutz der südmandschurischen Bahnlinie beauftragte Kwantung-Armee, die eine Gefährdung der japanischen Interessen durch die unaufhörliche chinesische Einwanderung in die Mandschurei befürchtete, die Ermordung eines japanischen Offiziers im Jahre 1931, um sich zum Herren des Landes zu machen. Japan stieß sofort auf Widerstand bei dem um Vermittlung bemühten Völkerbund. Im Januar 1932 legte US-Staatssekretär Stimson scharfen Protest ein und entwickelte die nach ihm benannte Stimson-Doktrin; darin lehnte er jede Anerkennung gewaltsam herbeigeführter territorialer Besitzverschiebungen grundsätzlich ab, ohne nun aber bei Frankreich und Großbritannien die erhoffte aktive Unterstützung zu finden.

Japan griff bald über die Mandschurei hinaus und besetzte schon 1932 die ehemalige Provinz Jehol bis vor die Tore von Peking. Es landete zeitweise Truppen in Schanghai und organisierte die Mandschurei als ein von ihm abhängiges Kaisertum. Der ohnmächtige Einspruch des Völkerbundes veranlaßte Tokio nur, sich 1933 aus Genf zurückzuziehen. Die letzten Zögerungen der japanischen Regierungskreise wurden gebrochen, als 1936 eine Offiziersverschwörung zur Ermordung von 24 hochgestellten Würdenträgern führte. Sie scheiterte zwar, öffnete aber die Bahn für eine Reihe von Kabinetten, die dem Einfluß der Armee keinen Widerstand mehr entgegenzustellen wagten.

Am 8. Juli 1937 nahm der folgenschwerste Krieg zwischen Japan und China seinen Anfang. Der von Tschiang Kai-schek geleitete Widerstand des nationalen China, mit dem sich die kommunistische Bewegung in einem Burgfrieden verbündet hatte, war sehr viel hartnäckiger, als Japan erwartet hatte. Tokio war 1938 gezwungen, allgemein mobilzumachen. Das Inselreich konnte zwar 1937 Peking, Schantung, Schanghai und selbst Nanking in Besitz nehmen, aber es besaß nicht die Kraft, den mit britischer und amerikanischer Hilfe im Inneren der Provinz Szetschuan fortdauernden Widerstand Tschiang Kai-scheks zu brechen. Der Krieg näherte sich immer bedrohlicher der Grenze Französisch-Indochinas und Burmas. Die Gefahr seiner Ausweitung zu einer den ganzen Fernen Osten ergreifenden Konfrontation sowie die Verflechtung mit dem 1939 in Europa ausbrechenden Kampf nahm stetig zu und mündete schließlich in den Zweiten Weltkrieg auf dem ostasiatisch-pazifischen Schauplatz.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen