© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    41/97  03. Oktober 1997

 
 
Michael Jürgs: Die Treuhändler
Helden und Halunken im Wilden Osten
von Holger von Dobeneck

Es scheint es, als habe Konrad Kujau die Vorgeschichte geschrieben, als habe er die Auslandskorrespondenten, Diplomaten und Militärs aller Länder an der Nase herumgeführt, indem allen weisgemacht wurde, die DDR sei der zehntstärkste Industriestaat der Erde. In Wirklichkeit war sie ein Fall für den Konkursrichter. Dessen Arbeit begann eigentlich mit einem Thesenpapier des Theologen Wolfgang Ullmann. Es hieß "Zukunft durch Selbstorganisation" und war eine Art Keimzelle der späteren Treuhand. Treuherzig war die Rede von einer Art Volkskapitalismus mit Anteilscheinen und volklichem Gesamtvermögen. Diese Träume platzten, und die Geschichte der Irrungen und Wirrungen mit all ihren Helden und Halunken zeichnet nun Michael Jürgs akribisch nach und versucht dabei, allen gerecht zu werden. Er beschreibt die objektiven Schwierigkeiten und das couragierte Engagement ebenso wie den desillusionierenden Salto capitale so mancher pekuniären Luftnummer.

Schon lange vor dem Mauerfall, der Währungsumstellung und der Treuhand wuchs nämlich zusammen, was zusammengehört: die internationale Solidarität der Schieber und Spekulanten, denen es gelang, aus Wasser Wein zu machen via Auslandskonten, Transferrubel und Umtauschparitäten und mit Hilfe eines weitverzweigten Netzes alter Stasileute eine Wertschöpfungsquote von 1:7 aus der armen, alten DM- Ost herauszuquetschen

Doch ungeachtet solcher Kapriolen charakterisiert Jürgs die Stamm-Mannschaft der Treuhand als in gutem Sinne patriotisch, engagiert und nicht korrupt. Man muß sich die Situation des Anfangs vor Augen halten: keine Telefone, keine Sekretärinnen, keine Büros. Posteingänge wurden solange auf den Boden gestapelt bis die ersten von oben wieder herunterfielen. Zwischen Handwerkern irrten Berater, Investoren und Verkäufer über die Flure, in deren Nischen über Millionen stehend verhandelt wurde. Immerhin ging es um ganze Wirtschaftszweige, u.a. um mehr als 40.000 Betriebsstätten, 2 Mill.Hektar landwirtschaftliche Nutzfläche, tausende Immobilien der Armee und der Staatssicherheit.

Jürgs’ Stärke liegt in der Schilderung der Umstände und Situationen, in denen sich Geschichte ereignete. Die Treuhandspitze, vor allem Rohwedder und Birgit Breuel, werden ausführlich und gerecht beurteilt, als leistungsstarke und aufgabenbesessene Persönlichkeiten – ohne die allgemein übliche journalistische Häme. Den Mord an Rohwedder schildert der Autor detailgenau und voller Abscheu, ohne zu vergessen, auf die völlig unzureichenden Sicherheitsmaßnahmen hinzuweisen, die vor allem auf das Verschulden von Herbert Schnoor zurückgehen, der seine Nachrichtenleute offensichtlich bevorzugt zum Zeitunglesen abkommandiert.

Auch auf die Diskussion um die sicherlich sehr reichlich bemessenen Entgelte der Liquidatoren, Berater und Anwält kommt Jürgs zu sprechen. Sie hatten, so der Autor, ihre gesetzliche Grundlage in Gebührenordnungen, Streitwerten und Prozentsätzen. Sicherlich, manch jungerAssessor, der gerade sein zweites Staatsexamen bestanden hatte und mit den Aufgaben einer Konkursverwaltung nicht vertraut sein konnte, hat mit ein wenig Chuzpe einen Millionenschnitt gemacht. Manch einer der Jung-Juristen kam einem vor wie ein Mediziner, der nach seinem Staatsexamen sich eine Herzoperation vornimmt. Aber in Kriegs- und Krisenzeiten kommt so etwas eben vor. Koryphäen wie Jobst Wellensieck verdienten pro Liquidation Millionen.

Alles in allem ist die Jürgsche Krisenberichterstattung ein spannendes Stück deutscher Geschichte, das kenntnisreich herausdestilliert ist aus 150.000 Blatt Material des Treuhand-Medienarchivs.

 

Michael Jürgs: Die Treuhändler, List Verlag, München 1997, 500 Seiten, geb., 44 Mark


 
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