© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    40/97  26. September 1997

 
 
Polen: Sieg der rechts-konservativen AWS birgt neue Risiken für das deutsch-polnische Verhältnis
Störfeuer in Richtung Deutschland
von Hedla Heinka

Entäuschung der drei führenden polnischen Meinungsforschungs-Institute kam es am vergangenen Sonntag nicht zu dem in Umfragen vorausgesagten und eigentlich auch von allen erwarteten Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen der "Allianz der demokratischen Linken" (SLD) und der "Wahlaktion Solidarnosc" (AWS).

Zwar blieb die noch regierende SLD bei einer Wahlbeteiligung von 59% (sieben Prozent mehr als 1993) mit rund 27 Prozent der Stimmen exakt im Rahmen der Umfrageergebnisse und konnte gegenüber den letzten Wahlen 1993 sogar fast sieben Prozentpunkte zulegen, doch die AWS-Parteien vermochten sich von damals zusammengenommen etwa 30 Prozent auf fast sensationell zu nennende 34 Prozent zu steigern. Entscheidenden Anteil an diesem Erfolg kann sicherlich dem dynamischen und immer frohgelaunten Marian Krzaklewski (47) zugeschrieben werden, der seine Wahlkampfaussagen in den vorangegangenen Wochen geschickt auf seine jeweilige Zuhörerschaft zuzuschneidern pflegte. Mit einem sehr gewagten Populismus machte der im südpolnischen Kolbuszowo geborene und in einem konservativen, in den galizischen Traditionen verwurzelten Elternhaus aufgewachsene Politiker zahlreiche verheißungsvolle Versprechungen: Steuersenkungen hier und Subventionen dort.

Dem 46jährigen Nachfolger von Lech Walesa im Amt des Vorsitzenden der Gewerkschaft Solidarnosc gelang es in den letzten Monaten nicht nur, an Charisma und somit an Attraktivität für den Wähler zu gewinnen, sondern er konnte – allen Unkenrufen zum Trotz – sein "Sammelsurium", wie die im Juni 1996 gegründete AWS von den Kommentatoren anfangs noch milde lächelnd bezeichnet wurde, bei der Stange halten und es so zu einem ernsthaften politischen Faktor machen. Denn außer den antikommunistischen und erzkatholischen Grundüberzeugungen einte die 40 in der Wahlaktion zusammengeschlossenen Parteien, Gruppierungen und Mini-Wahlbündnisse nur noch der gemeinsame Wille zum Einzug in den Sejm. Im Alleingang hätte keine dieser Splittergruppen eine Chance gehabt, in das Parlament in Warschau einzurücken, geschweige denn dort die Macht zu übernehmen.

Bereits die Zusammensetzung der Führungsmannschaft der AWS war Anlaß zu heftigen Streitereien, die Ende März erst nach langem Hin und Her in eine Einigung mündeten; allerdings konnte das Hickhack, das die ganze Heterogenität des Bündnisses offenbarte, vor der Öffentlichkeit weitgehend verborgen gehalten werden. Die Gewerkschaft Solidarität bekam einen eindeutigen Führungsanspruch zugebilligt, der sich seitdem nicht nur durch den AWS-Vorsitz von Krzaklewski und eines weiteren Solidarnosc-Funktionärs als dessen Stellvertreter manifestierte.

Keine der sonst so streitlustigen und untereinander verkrachten Gruppierungen durfte es öffentlich wagen, von der vorgegebenen politischen Meinung abzurücken. Den drei weiteren Stellvetreteren Krzaklewskis kam die Aufgabe zu, die unterschiedlichen Strömungen und die größten Parteien in der AWS zu repräsentieren und für die Stimmen ihrer jeweiligen Klientel zu sorgen.

Zum einen ist da der 55jährige Kazimierz Kapera, Vorsitzender der "Polnischen Föderation der katholischen Familie". Kapera mußte 1991 als Staatssekretär im Gesundheitsministerium zurücktreten, nachdem er im polnischen Fernsehen zur besten Sendezeit kundgetan hatte, daß Präservative zu verbieten seien. AIDS bekämen ohnehin nur Homosexuelle, so Kapera, und die seien eh unnormale Menschen. Dieser Parteichef ist zugleich der Verbindungsmann zum einflußreichen fundamental-katholischen und nationalistischen Radiosender "Maryja", den selbst die konservativen Bischöfe des Landes eher heute als morgen abschaffen würden, wenn sie könnten.

Der erst 33jährige Kattowitzer Adam Slomka repräsentiert den jungen patriotischen Flügel der AWS. Er gehörte bereits 1981 zur Gründungsmannschaft der "Konföderation Unabhängiges Polen" (KPN), einer zwar antikommunistisch, gleichzeitig aber auch antiwestlich orientierten Partei, die zwischen 1990 und 1993 im Sejm vertreten war und inzwischen weitgehend bedeutungslos geworden ist.

Für jene Klientel, die vor allem ihre Abneigung gegen Juden und Deutsche kultiviert, ist Marian Pilka (43) zuständig. Der Historiker Pilka ist Vorsitzender der ehemaligen Regierungspartei Christlich-Nationale Vereinigung (ZChN), die in der Vergangenheit immer wieder durch rassistische Äußerungen und einschlägige Flugblattaktionen Aufmerksamkeit erregte. Pilka macht keinen Hehl aus seiner antideutschen Haltung und der Ablehnung der auf dem Gebiet der Republik Polen noch lebenden deutschen Volksgruppe. Das ZChH dürfte in der AWS dem Einfluß und der Mitgliederzahl nach gleich hinter der nach eigenen Angaben 1,8 Millionen Mitglieder zählenden Solidarnosc rangieren.

Trotzdem wird sich aller Wahrscheinlichkeit nach an dem vom amtierenden linken Regierungsbündnis eingeschlagenen außenpolitischen und wirtschaftspolitischen Kurs auch bei einer von der AWS geführten Regierung nichts Wesentliches ändern. Was speziell das aus den Reihen der AWS zu erwartende Störfeuer auf die deutsch-polnischen Beziehungen betrifft, so dürfte es vom Einfluß des möglichen Koalitionspartners, nämlich der der deutschen CDU oder FDP vergleichbaren, tendenziell deutschfreundlicheren "Freiheitsunion" von Leszek Balcerowicz (ca. 15 Prozent der Stimmen) abhängen, wieviel Schaden tatsächlich angerichtet wird.

Im Hinblick auf die Interessen der deutschen Minderheit, die voraussichtlich nur zwei oder drei Sitze im Sejm besetzen kann, sind die Perspektiven jedenfalls nicht gerade rosig, zumal sich in Oberschlesien eine grundsätzliche Politikverdrossenheit breitgemacht hat. Hier könnte allenfalls eine forcierte Regionalisierung Polens Abhilfe schaffen, die von den Postkommunisten bisher weitgehend blockiert worden ist.

Vor allem anderen dürfte in den kommenden Monaten die folgende Frage interessieren: Wie lange kann das buntscheckige Parteienbündnis AWS das sich abzeichnende Gerangel um Posten und Pöstchen durchhalten? Denn genau hieran scheiterte einst die mächtige Solidarnosc-Bewegung.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen