© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    39/97  19. September 1997

 
 
Vertreibung: Sudetendeutsche Tragödie
Seltsame Versöhnung
Meinungsbeitrag von Otto Eberhard

Es fällt schwer, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen, das so bedeutend für Millionen von Landsleuten ist, um dann erleben zu müssen, wie diese von den eigenen Politikern buchstäblich durch den Dreck gezogen werden. Der letzte Sudetendeutsche Tag in Nürnberg hat es bewiesen, als der selbsternannte Schirmherr der Vertriebenen, CSU-Ministerpräsident Stoiber, zuerst kaltblütig eine "Versöhnungserklärung" mit den Tschechen unterschrieben und dadurch die eigenen Leute im Regen stehen gelassen hat, um nachher eine jämmerliche Verherrlichung dieser Versöhnungserklärung zu versuchen und sinnlos von offenen Vermögensfragen zu reden. Diese Fragen über das geraubte Vermögen sind nämlich schon gelöst. Sprich: Das Vermögen ist im Zwei-plus-vier-Vertrag 1990 an die Tschechen verschenkt worden. Das laute Pfeifkonzert während seiner Ansprache war die Quittung für diesen Unsinn. Stoiber kann aber trotzdem zufrieden sein. Die sudetendeutschen Landsleute lieferten Jahrzehntelang brav ihre Stimmen der bayerischen CSU ab, der auch der SL-Sprecher Franz Neubauer angehört. Dieser hat sich schwer getan, seinem General zu widersprechen, er tat es auch im bescheidenen Rahmen, wohl um nicht seinen Posten als Bankpräsident zu gefährden.

Eine Hand wäscht die andere. Ob die CSU-Stimmen bei der nächsten Wahl in Bayern zunehmen, ist allerdings noch offen.

Das österreichische Informations-Bermuda-Dreieck: Standard, ORF, News, verstärkt durch andere bekannte Institutionen, versteht es meisterlich, die Berichterstattung genau in die gewünschte Richtung zu lenken. Das ist bedauerlich, weil damit die hochgelobte Demokratie zu einem Gaukelspiel wird. Eine andere Deutung dieses Phänomens ist nicht möglich, nachdem den Massen systematisch zum Beispiel eingeimpft wird, daß Mord und Totschlag an einer Viertelmillion sudetendeutscher Zivilisten durch die Tschechen 1945 eine legale Antwort war auf die "verachtende, unmenschliche und brutale" Mißhandlung des tschechischen Volkes durch das NS-System von 1938 bis 1945.

Dabei hat das tschechische Volk angeblich Verluste in astronomischen Zahlen hinnehmen müssen. Wer die damalige Situation am Ort erlebt hat, wird anders urteilen und diese Schauermärchen als solche erkennen: als eine maßlose Übertreibung.

Keine Übertreibung und keine Lüge sondern eine Tatsache ist, daß der Initiator dieser völkischen Massenabschlachtung nach Kriegsende 1945 im Sudetenland ein gewisser Herr Eduard Benes war, der zweite Präsident der Tschechoslowakei nach dem ersten Weltkrieg. Zu dieser Person einige Ergänzungen: Als die künstliche Tschechoslowakei nach Abtretung des Sudetenlandes 1938 in Schwierigkeiten geriet – Benes hat diese Abtretung den Engländern selbst offeriert, das Münchner Abkommen danach hat lediglich die "Durchführungsbestimmungen" dazu geregelt (auch das wird heute geleugnet) – ist Benes am 5. Oktober 1938 zurückgetreten. Als sein Nachfolger wurde verfassungsgemäß Dr. Emile Hácha gewählt, die Tschechoslowakei bestand zu diesem Zeitpunkt immer noch legal, das damalige Deutsche Reich hatte auf die Wahl des tschechischen Verfassungsrichters Dr. Hácha zum Präsidenten keinen Einfluß. Als gegen Kriegsende 1945 Benes in Begleitung der Roten Armee das Territorium der Tschechoslowakei betrat und stolz den Titel eines Präsidenten trug, war für ihn die Situation prekär. Sein rechtlicher Nachfolger war immer noch im Amt, er selbst hatte auf das Amt 1938 verzichtet. Was nun? Kein Problem für Benes. Der 74jährige Hácha, immer noch Präsident, wurde eingesperrt und am 27. Juni 1945 im Prager Pankrac-Gefängnis von drei Uniformierten mit Gummiknüppeln erschlagen. Anschließend kam sofort das berüchtigte "Amnestie-Gesetz" heraus – dieses Gesetz gilt in der Tschechischen Republik immer noch – wonach niemand gerichtlich belangt werden durfte, der "sich am Kampf und die Vernichtung aller Gegner der Tschechoslowaken beteiligt hat". Damit war der Totschläger Benes reingewaschen. Und genau von diesem Benes stammt der Plan der ethnischen Säuberung des Sudetenlandes, die 1945 die Vertreibung einer ganzen Volksgruppe und einen Mord an einer Viertelmillion (hauptsächlich) Zivilisten bedeutet hat. Das alles wußte der deutsche Bundespräsident Herzog angeblich nicht, als er am 29. April 1997 in Prag vor den Tschechen mit Tränen in den Augen einen Kniefall gemacht hat.

Das Schicksal der sudetendeutschen Volksgruppe nach 1945 auf andere ethnische Gruppen zu übertragen, läßt nichts Gutes erahnen. Der Untergang aller kleinen Völker, die sich selbst nicht energisch wehren können (wollen), scheint vorprogrammiert zu sein, nachdem die allgemein gültigen moralischen Grundsätze auf der heutigen politischen Ebene nicht mehr existent sind. Von den erschlagenen Sudetendeutschen existieren nur mehr die Skelette, und diese demonstrieren und protestieren nicht mehr. Diejenigen, die die Vertreibung überlebt haben, konnten sich mit ihrem sprichwörtlichen Fleiß in ihrer neuen Heimat einen neue Existenz aufbauen. Somit herrscht scheinbar Ruhe, Ordnung und Frieden.


 
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