© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    39/97  19. September 1997

 
 
Deutschlandbilder: Kunst aus einem geteilten Land
Selbstzweifel und Selbsthaß
von Gerhard Quast

Bereits im Jahr des Mauerbaus bannte der Dresdner Maler und Bildhauer A.R. Penck die drohende gewaltsame Begegnung zweier bis an die Zähne bewaffneter Systeme in Form von sich gegenüberstehender Strichmännchen auf die Leinwand – zu einer Zeit, als der Schrecken der Blockkonfrontation sich noch nicht einmal zu ihrer höchsten Blüte entfaltet hatte. Solches Hinterfragen liebgewordener Realitäten war bis 1989 weder im Westen und schon gar nicht im Osten gelitten. Das Kratzen am Status quo wurde hier wie dort mit jeweils dem System eigenen Methoden verfolgt.

Auch Pencks später entstandene Gemälde "Der Übergang" (1963) und "Der Übergang bei Nacht" (1966) gehören zur künstlerischen Vorwegnahme einer Begegnung, die erst Jahre später stattfinden konnte, der Dialog des Rheinländers Jörg Immendorff mit dem Sachsen Penck. Dieser von westlicher wie östlicher Seite argwöhnisch beäugte Meinungsaustausch und beider Wunsch, mit ihrem "deutsch-deutschen Künstlervertrag" nicht nur die wechselseitigen Klischees, sondern auch "die Mauer zu überwinden", ist für beide der Beginn einer anregenden Schaffensperiode: Immendorffs Zyklus "Café Deutschland", eine bildhafte Auseinandersetzung mit deutscher Vergangenheit und deutscher Gegenwart, wäre nicht denkbar gewesen ohne die West-Ost-Begegnung im "Café Lindencorso". Daß mit der äußerlichen Überwindung der Teilung auch jene Stätte der Begegnung Ecke Friedrichstraße/Unter den Linden weichen mußte, entbehrt sicher nicht einer gewisse Symbolik.

Nun hat sich in Berlin die Ausstellung "Deutschlandbilder – Kunst aus einem geteilten Land" unter anderem dieses Dialoges angenommen. Ausgangspunkt ist aber nicht etwa die Zeit 1945/49, sondern bereits das Jahr 1933, mit dem nach Ansicht der Aussteller die deutsche Katastophe ihren Ausgang nahm.

Der Rundgang durch die Räumlichkeiten im Martin-Gropius-Bau beginnt entsprechend düster: Der "Hausengel" von Max Ernst, Felix Nussbaums "Selbstbildnis mit Judenpaß", das Triptychon "Nacht über Deutschland" von Horst Strempel oder Hans Grundigs "Den Opfern des Faschismus" sollen den wohl gewichtigsten Bruch in der deutschen Geschichte markieren. Künstler des Exils und der inneren Emigration, solche, die über 1945 hinaus eine reiche Schaffensperiode vor sich hatten und jene, die ihr eigenes Schicksal bildlich vorwegnahmen.

Würde der Anspruch erhoben, künstlerische Entwicklungen nachvollziehen zu wollen, von der Zeit des Dritten Reiches bis hinein in die der Teilung Deutschlands, niemand könnte dagegen einen Einwand haben. Aber Zweifel sind angebracht, welchen Erkenntniswert damals Ermordete für die erst später erfolgte Teilung haben sollen. Doch dazu fehlen entsprechende Belege, die das sichtbar machen könnten. Statt dessen erhebt Ausstellungsmacher Eckhart Gillen den noch weit größeren Anspruch, daß mit seiner Sieben-Millionen-Bilderschau "über Kontinuität und Brüche der deutschen Geschichte" nachgedacht werden könne. Wenn es aber um die Auseinandersetzung mit einem 1933 erfolgten "Zivilisationsbruch" gehen soll, ist das Dargebotene mehr als dürftig. Im übrigen müßte der Schnitt auf der Zeitachse weit früher erfolgen. Auch der für die Ausstellung gewählte Untertitel "Kunst aus einem geteilten Land" läßt sich damit nur mit äußerster Mühe in Verbindung bringen. Geteilt in Verfolgte und Verfemte einerseits und Angepaßte und Hofierte andererseits?

Auch der Blickwinkel auf die als "entartet" verunglimpfte Kunst ist ganz und gar nicht neu und auch in der dargebrachten Form keineswesgs originell. Im übrigen entsteht durch die Beschränkung auf die verfolgten, verfemten und vertriebenen Künstler ein völlig falsches Bild über die Kunst im Dritten Reich, die vor allem von den Staatstragenden und Angepaßten geprägt war. Nussbaum und die anderen gezeigten Künstler sind eben nur die berühmte Ausnahme von der Regel.

Auch der Vergleich der Nachkriegssysteme ist gründlich fehlgeschlagen: Während zahlreiche Werke jeden Bezug zur Teilung – geistig wie territorial – vermissen lassen, fehlen bekannte wie weniger bekannte Künstler: Daß der staatstragende Willi Sitte nicht vertreten ist, mag man verschmerzen, daß exilierte und dagebliebene DDR-Künstler wie Sieghard Pohl, Helmut Diehl, Eve Rub, Ulrich Eisenfeld, Bernd Schaudinnus, Ingo Haas oder Wolfgang Nieblich keine Erwähnung finden, ist weniger verzeihlich. Diese haben die Gespaltenheit der Nation weit besser ausgedrückt als Imi Knoebel mit seiner Installation aus Hartfaser-Objekten.

Wer Begriffe wie "Nation", "Identität" oder schlicht und einfach "Deutschland" in den Mund nimmt und gleichzeitig den Deutschen "Selbstzweifel und Selbsthaß" (Gillen) vorwirft, der gerät heute leicht in den Verdacht, neurechte Konzepte zu verfolgen. Was bietet sich da mehr an, als mit einem politisch korrekten Vorspann – in dem man zum "Faschismus" eindeutig Stellung bezieht – sich quasi eine Legitimation zur Beschäftigung mit dem Thema zu verschaffen. Daß dieser Mißbrauch längst anerkannter "Entarteter" plakativ und unpassend wirkt, stört da offensichtlich wenig, von dem Ausstellungsanspruch, Seismograph für die gesellschaftlichen Zustände der Teilungsjahre zu sein, ganz zu schweigen.

Es ist immer dann wichtig, Fragen zu stellen, wenn diese unbequem sind. Das haben Immendorff/Penck mit ihrem Dialog getan. Daß Gillen Fragen stellen wollte, "ohne Antworten zu geben", war sicher nicht der schlechteste Ansatz. Es setzt aber voraus, daß die erwünschten Fragen verstanden werden. Den Besuchern der "Deutschlandbilder" stellt sich beim Gang durch die Räumlichkeiten jedoch eine ganz und gar ungewollte Frage: Was wollte uns diese Ausstellung fragen? gerhard quast

 

"Deutschlandbilder", Martin-Gropius-Bau, Berlin, Di-So, 10 bis 20 Uhr. Bis 11. Januar 1998. Katalog 42 Mark.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen