© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    39/97  19. September 1997

 
 
Hohe Politik und Städtebau: Das "Prince of Wales´s Institute of Architecture"
Die andere Seite von Prinz Charles
Michael Walker

Die Reaktionen auf den Tod der Prinzessin von Wales können grob in zwei Gruppen unterteilt werden. Zum einen ist da die große Masse, die fasziniert ist vom Glamour Dianas plus dem Jet-Set-Kreis, in dem sie sich bewegte, sowie vom Pathos ihres Todes, zum anderen die Kultur- und Business-Elite, also jene Sorte von Leuten, die sich die Bild-Zeitung nur sorgfältig versteckt hinter der FAZ zu Gemüte führen.

Die zentrale Figur, um die es sich in dem Polit-Spiel dreht, das mit dem Unfall der Prinzessin zu einem Trauerspiel wurde, ist jedoch nicht Diana. Schon seit Jahren ist es das Anliegen mächtiger Leute, in die Gehirne der Massen den Gedanken einzupflanzen, Charles sollte nicht zum König Charles III. von England und Wales gekrönt werden.

Seine Frau, die er sich offenbar aus Staatsräson zu heiraten gezwungen fühlte, hat für die Monarchie die Herzen der Leute gewonnen ("Sie ist eine Märchenprinzessin!" rief ein Zuschauer, als die Kutsche an ihrem Hochzeitstag St. Paul’s verließ), so wie Charles den Verstand der Menschen ansprach ("Er redet vernünftiger als die Politiker!" lautete in den frühen 80ern ein häufiger Kommentar). Aus republikanischer Perspektive war die Charles-Diana-Verbindung potentiell sehr gefährlich. Die königliche Hochzeit, die von weltweit 750 Millionen Menschen per TV verfolgt wurde, war ein Triumph für die Monarchie. Zu einer Zeit, in der in Großbritannien die Republikaner begannen, den "Nutzen" der Monarchie in Frage zu stellen, und in der Lieder der "Sex Pistols" anti-royalistische Parolen unters Volk brachten, kam es zu einer königlichen Hochzeit, die jedes Punkkonzert kümmerlich erscheinen ließ.

Die größte "Gefahr", die von Prinz Charles ausgeht, liegt allerdings darin, daß er nachdenkt und anschließend entsprechend handelt. Entgegen einem weitverbreiteten Mißverständnis, das absichtlich von fast der gesamten britischen Presse genährt wird, galten seine Sorge den Obdachlosen und anderen Schwachen der Gesellschaft in ähnlicher Weise, wie dies bei Diana der Fall war. Doch zu seinen wichtigsten selbstgesetzten Aufgaben gehörte ein Thema, das seine Frau überhaupt nicht interessierte: die Architektur. Dies ist auch das Gebiet, wo er am eindeutigsten gegen angeblich zeitgemäße "Experten"-Auffassungen Stellung bezog.

Die architekturpolitische Bombe, die ihm zahlreicher dieser Fachleute nicht vergessen, ließ Charles in seine Rede vor dem "Royal Institute of British Architects" (RIBA) auf Schloß Hampton Court anläßlich des 150. Jubiläums des RIBA am 31. Mai 1984 hochgehen. Man erwartete dort vom Prinzen, so aufzutreten, wie es sich für einen konstitutionellen Monarchen eben gehörrt: nämlich so wie die Puppe in der Hand eines Bauchredners. 150. Jubiläums des RIBA am 31. Mai 1984 hochgehen. Man erwartete dort vom Prinzen, sich so zu verhalten, wie es einem konstitutionellen Monarchen eben gebührt: nämlich so wie die Puppe in der Hand eines Bauchredners. Doch die Jubiläumsansprache ging in die Nachkriegsgeschichte ein als der deutlichste Angriff auf die moderne Architektur, die jemals von einer Person des öffentlichen Lebens gemacht worden ist.

Der Prinz bemängelte: "Seit viel zu langer Zeit, so scheint es mir, haben einige Planer und Architekten ständig die Gefühle und Wünsche der Masse der gewöhnlichen Leute in diesem Land ignoriert! (…) Studenten lernen nicht zu sanieren noch treffen sie während ihrer Ausbildung jemals die letztendlichen Benutzer der Gebäude (…). Infolgedessen haben viele von uns das Gefühl bekommen, daß Architekten sich dazu hergeben, Gebäude nur zu entwerfen, um ihren Mitarchitekten und Kritikern zu gefallen und nicht den Bewohnern." Am bekanntesten wurden die Bemerkungen des Prinzen über Pläne zur Erweiterung der Londoner Nationalgallerie auf dem Trafalgar Square. Die Etikette hätte eine ebenso vage wie anerkennende Bemerkung dazu verlangt, aber Charles war weder vage noch anerkennend. Das geplante Gebäude sehe so aus wie eine "riesige Gemeindefeuerwehr" und erscheint ihm als "monströser Karbunkel auf dem Antlitz eines geliebten und eleganten Freundes". Ein Journalist erinnert sich, daß Großbritanniens führende Architekten in eisernem Schweigen dasaßen, "die Gesichter aschfarben vor Wut". Was sie besonders verärgerte, so der Architekt Peter Ahrends, war der Angriff auf das elitäre Gehabe moderner Architekten durch eine maßgebliche Person, die sich frecherweise auf ein Feld gewagt hatte, auf dem sie sich nicht einmal auskannte.

Die Leute auf der Straße mochten so etwas natürlich. Eine Unmenge zustimmender Post war die Folge. Die deutlichsten Kritiken kamen von der sogenannten seriösen Presse, wo oberflächliche Unterwürfigkeit nur teilweise den Zorn darüber verbarg, daß ein Amateur seine Position mißbraucht hatte, um Experten zu kritisieren. Unter Journalisten wie Politikern machte das Angstgespenst "Populismus" die Runde.

Zu der Zeit, als Charles am 2. August 1987 im Mansion House seinen zweiten Angriff auf die modernen Architekten lancierte, hatte er um sich herum bereits ein Team von Beratern versammelt und war vom Fachlichen her selbst viel mehr in der Lage, auf kritische Stimmen zu reagieren. Einige namhafte Personen hatten den Mut gefunden, ihn zu unterstützen, allen voran Colin Amery, Korrespondent für Architektur bei der Financial Times sowie Christopher Martin von der BBC und der Architekturhistoriker Jules Lobbock. Während seiner Mansion-House-Rede verglich Charles die modernen Planer auf höchst unvorteilhafte Weise mit der deutschen Luftwaffe: "Die Luftwaffe hat viele schöne Gebäude plattgemacht, (…) Sie, verehrte Damen und Herren, müssen jedoch der Luftwaffe zugutehalten: Als sie unsere Gebäude zerstörten, hat sie sie wenigstens nicht ersetzt durch etwas, was fürs Auge beleidigender als Bauschutt ist: Wir haben das getan!" Und wieder attackierte Charles die Experten besonders heftig: "Wir armen Sterblichen sollen im Schatten der Errungenschaft der Fachleute leben. Viele Leute haben die Nase voll davon, daß herablassend mit ihnen geredet wird und sie unter dem Diktat des gegenwärtigen Planungs-, Architektur- und Entwicklungs-Establishments stehen."

Nachdem er klar gemacht hatte, was ihm an der Architektur mißfiel, betont der Prinz seit 1991 in zunehmendem Maße dasjenige, was er mag. Im Zusammenhang mit Christopher Martin produzierte er das Buch und die Fernsehdokumentation "Vision of Britain". Auch hier legte er Wert auf die Feststellung, daß Experten nicht immer im Recht sind, sei es in der Architektur oder in anderen Bereichen, daß das Volk bei jeder Entscheidung befragt werden muß, die auf grundlegende Weise sein Leben betrifft, und daß eine bestimmte modernistische Entwicklung nicht schon deshalb unvermeidlich bzw. wünschenswert ist, bloß weil gewisse Fachleute sie so deklarieren.

Diese neuerlichen Angriffe blieben nicht ohne Auswirkungen. Die Pläne für den "monströsen Karbunkel" fielen dem Reißwolf zum Opfer. Bauausschuß-Mitglieder begannen sich nach "traditionalistischen Alternativen" zu erkundigen. Und es war sicherlich kein Zufall, daß in den 80er Jahren die Labour Party die "Fehler" hochhausstädtischer Entwicklung anprangerte und sich von einer Städtpolitik verabschiedete, die sie selbst seit 1945 forciert hatte.

Im Januar 1992 wurde schließlich in London das "Prince of Wales’s Institute of Architecture" gegründet. Als "Director of Studies" fungierte der langjährige Freund und Sekretär des Prinzen, Dr. Brian Hanson. Keith Critchlow, seines Zeichens "Director of Research", formuliert die Grundsätze der Privatschule wie folgt: "Wir halten uns an unsere drei Prinzipien: nämlich die Verwurzelung in den besten Bautraditionen, die Bereitschaft zuzuhören und die Radikalität beim Suchen nach neuen Lösungen. Wir meinen dabei ‘radikal’ im echten Wortsinne, das heißt, daß wir die jungen Leute zurückführen zu den Wurzeln von Architektur und Gestaltung." Das Institut sah sich ganz offen als "Gegen-Bauhaus".

Die ernannten Lehrer wie John Simpson, Demetri Porphyrios, Leon Krier oder Keith Critchlow stammten nicht aus der modernistischen Elite der Architektur. Sie waren vielmehr "Architekten des Volkes". Das Institut machte besonders den Aspekt geltend, daß es darum geht, künftige Architekten zu ermutigen, ihre Bauwerke als Teil eines breit gefaßten Bildes von der Umwelt zu begreifen.

Da das RIBA ein Monopol auf alle qualifizierenden Prüfungen für Architektur hat, muß jeder, der das Institut des Prinzen von Wales besucht, danach auf ein College gehen, um dort ein anerkanntes Diplom zu erwerben. Auch aus diesem Grund hat das Institut bisher nicht den erhofften Erfolg gehabt – zur Freude all derer, die zu den geschworenen Feinden des Prinzen zählen, angefangen von der radikal linken Schickeria selbsterklärter Geschmacks- und Tugendwächter bis zu den extremen Anhängern des freien Marktes. Letztere sind unzufrieden mit Charles’ Wunsch, der Staat möge im Sinne von Vernunft und Ästhetik entschiedener in die Städteplanung eingreifen.

Immer häufiger sah sich der Prince of Wales dem Vorwuf ausgesetzt, daß er im Gegensatz zu seiner lebhaften Frau "gespreizt" und "altmodisch" auftrete. Als Antwort auf derlei Kritiken sagte er einmal: "Die Angst, als altmodisch angesehen zu werden, scheint mir so überwältigend zu sein, daß die ewigen Werte und Prinzipien, welche wie ein Faden durch den gesamten Gobelin menschlicher Existenz verlaufen, aufgegeben werden unter der falschen Annahme, daß sie den Fortschritt beschränken." Mit einer Frau, der man sicherlich nicht vorwerfen konnte, altmodisch zu sein, war das Potential der Charles-Diana-Verbindung tatsächlich bedeutend, aber dann kamen Entfremdung und Scheidung. Die bekannte Medien-Story: Der "altmodische" und "kalte" Prinz Charles hatte die "unschuldige" Prinzessin in die Verzweiflung getrieben.

Es ist nicht melodramatisch zu mutmaßen, daß diese Scheidung provoziert wurde von den Feinden des Königtums und den Feinden jener Werte, für die Prinz Charles so freimütig einsteht. Die Boulevardpresse hat alles Mögliche getan, um Diana dafür zu instrumentalisieren, das Ansehen, das der Prinz bei den Massen genoß, Schritt für Schritt zu zerstören. Die Untreue des Prinzen mit all ihren peinlichen Einzelheiten öffentlich aufzuzeigen war nicht nur immens unterhaltsam für Millionen und hochprofitabel für Tausende (jedoch grausam für einige Dutzend Personen), es war auch der Hebel, um die königliche Ehe aus den Angeln zu heben und den Mann zu Fall zu bringen, der die Position der Meinungsmacher als Schiedsrichter über das Gewissen der Nation bedrohte. Die Prinzessin von Wales wurde in ihrer verständlichen Verbitterung zum Werkzeug in einem politischen Spiel, das sie nicht verstand.

Um mit den Worten von Earl Spencer aus seiner großartigen Trauerrede für die tote Schwester zu sprechen, können "diejenigen, die am anderen Ende des moralischen Spektrums stehen", wenn sie mit etwas wahrhaft Gutem konfroniert werden, nur zerstören.


 
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