© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    38/97  12. September 1997

 
 
Stasi: Ein JF-Besuch bei Ex-Oberstleutnant Günter Bohnsack
Der Pakt mit dem Wolf
von Werner H. Krause

Der frühere Oberstleutnant der Hauptabteilung Aufklärung des Ministeriums für Sicherheit (MfS), Günter Bohnsack, gilt bei vielen seiner ehemaligen Genossen als Nestbeschmutzer und Verräter. Telefonisch erreichen ihn Beschimpfungen, auch Bedrohungen. Begegnet er auf der Straße zufällig jemandem aus der alten Garde von Spionage-Chef Markus Wolf, herrscht eisige Atmosphäre. Indem der Stasi-Offizier, der 26 Jahre der "Firma" diente und dort psychologische Kriegsführung betrieb, inzwischen restlos mit seiner Vergangenheit gebrochen hat, ist er in den Augen der einstigen Schild- und Schwertknappen zur Unperson geworden. Im Gespräch mit der jungen freiheit stellt Günter Bohnsack heute unumwunden fest: "Es waren verlorene Jahre in meinem Leben." Seine Lebensgeschichte könnte indes den Stoff für einen Roman von John le Carré abgeben. 1963 traf der damalige Redakteur der Berliner Zeitung bei der Fahrt in der U-Bahn einen alten Bekannten wieder. "Ich glaubte an eine zufällige Begegnung", berichtet Günter Bohnsack. Tatsächlich stellte sie den ersten Schritt zu seiner Anwerbung durch die HVA dar. Von Stund an wurde der junge Journalist systematisch in ein Gespinst verstrickt, bis es ihn schließlich wie ein fester Kokon umschloß. Der für seine Anwerbung zuständige Mitarbeiter der Stasi sagte ihm: "Wir haben einen Mann an unserer Spitze zu stehen, der fällt völlig aus dem üblichen Rahmen heraus. Markus Wolf ist ein scharfsinniger Kopf, von ihm geht eine Faszination aus, der sich niemand zu entziehen vermag. Wer für ihn arbeitet, darf sich dies als hohe Ehre anrechnen."

So wurde Günter Bohnsack das "Produkt Markus Wolf" schmackhaft gemacht. Einen weiteren Köder warf ihm die HVA mit dem Versprechen hin, daß er sich künftig auf dem Feld der psychologischen Kriegsführung journalistische Meriten verdienen könne. In einer konspirativen Wohnung in der Dänenstraße 2 in Prenzlauer Berg wurde der Pakt mit dem Wolf besiegelt.

 Als Unterleutnant begann die Karriere des Günter Bohnsack, die ihn im Verlaufe von zwei Jahrzehnten bis zu dem hohen Rang eines Oberstleutnants führen sollte. Doch nicht im Hauptquartier der Stasi in der Normannenstraße vollzog sich seine Ausbildung, sondern in dem unansehnlichen Haus Schwedter Straße 225, dessen Gemäuer vom Schwamm durchsetzt waren. Es gibt dieses Haus noch heute, und es sieht noch genauso heruntergekommen wie zu DDR-Zeiten aus.

Damals befand sich an der Haustür ein Schild mit der Aufschrift "Außenstelle der Zeitzer-Leder-Fabriken". Dies war die Tarnbezeichnung, hinter der sich die HVA verbarg. "Unsere Aufgabe bestand vom ersten Tag der Ausbildung darin, Ausschau nach Personen zu halten, die als Kuriere, Kontakter, Verbindungsleute im operativen Einsatzgebiet Westdeutschland nützlich sein konnten." Über zwei Jahre sei nichts anderes getan worden, als neue "Kundschaftergruppen" aufzubauen.

 Nachdem Günter Bohnsack seine "Reifeprüfung" absolviert hatte und nunmehr in den Kreis der Tschekisten-Familie aufgenommen worden war, konnte er endlich mit den großen Hunden die Knochen benagen. Er kam zur Abteilung X, zuständig für Desinformation, an deren Spitze Generalmajor Wagenbrett stand und war hier an so manchem Schurkenstück der HVA beteiligt. Fast ein wenig genüßlich klingt es, wenn Bohnsack auf die Zeit zu sprechen kommt, wo er für den FDP-Politiker William Borm das "Schriftliche" erledigte. "Wann immer Born in West-Berlin eine Rede hielt oder einen Artikel veröffentlichte, arbeiteten wir ihm dafür zu", so der Ex-Oberstleutnant. "1972", berichtet Bohnsack, "wurden bei uns in der HVA im Geheimdienstjargon die sogenannten Brandschutzwochen eingeläutet. Es ging darum, Willy Brandt vor seinem Sturz als Bundeskanzler durch Barzel zu bewahren. Wir korrumpierten zwei Abgeordnete aus anderen Parteien, womit die Sache gelaufen war."

Der Stasi-Offizier für psychologische Kriegsführung Bohnsack war speziell auf die SPD angesetzt. Es dürfte zeitgeschichtlich von besonderem Interesse sein, welche Sprachregelung hierzu das MfS herausgegeben hatte. Bohnsack: "Unsere Anweisung lautete, zu allen Landtagswahlen, besonders jedoch zu den Bundestagswahlen, die SPD zu stärken. Wir sollten sie mit Hilfe unserer zahlreichen Agenten in ihren Reihen immer mehr nach links drängen und sie allmählich in eine SED-verbündete marxistische Partei umwandeln."

Anfang der achtziger Jahre gelang es der Stasi, in Westeuropa ein sogenanntes Komitee "Generäle für den Frieden" aus der Taufe zu heben. In ihm waren ehemalige hohe, inzwischen pensionierte Militärs aus Italien, Frankreich, Portugal, England sowie der Bundesrepublik vereint. "Einige von ihnen wußten durchaus, daß wir die Kandare zogen. Einer äußerte sogar, es sei egal, woher das Geld komme", erinnert sich Bohnsack. Die "eingekauften Generäle" wurden von der Stasi als propagandistische Speerspitze gegen geplante Raketenstationierungen der Amerikaner benutzt.

1976 tauchte zur Olympiade in Montréal in Kanada im Sportleraufgebot der DDR ein alerter Schwimmer auf, der besonders engen Kontakt zu der Equipe der mitangereisten Sportjournalisten unterhielt. Der da im feschen Olympiaanzug Honneurs machte, war niemand anders als der Stasi-Oberstleutnant Günter Bohnsack. Mit einem echten Paß, in dem jedoch ein falscher Name stand, war er nach Kanada gelangt. Sein spezieller Auftrag lautete, mit Hilfe von sechs IM-Sportjournalisten die Olympiamannschaft der DDR zu überwachen.

"Wir haben in der Abteilung X der HVA geheuchelt, gelogen, gefälscht, vieles erfunden und die so entstandenen Materialien versucht, in westlichen Medien unterzubringen. Wenn andere noch heute stolz auf diese Drecksarbeit sind, ich bin es nicht."

Die letzten Stunden der HVA stellten für ihn ein traumatisches Erlebnis dar. "Im Oktober 1989 hieß es, wir sollten uns auf das letzte Gefecht vorbereiten. Wir hatten Angst, daß die Generalität doch noch den Befehl zum Schießen geben würde. Die Situation stand auf des Messers Schneide." Doch dann schlug das politische Klima um, auch die HVA streckte die Waffen. Tag und Nacht waren die Reißwölfe in Betrieb. Am 31. März 1990 betrat der Oberstleutnat Bohnsack zum letzten Mal sein Dienstzimmer in der Ruschestraße. Was sich da abspielte, war geradezu grotesk: "Ich bekam einen Laufzettel in die Hand gedrückt, wurde angewiesen, mir einen neuen Stempel für mein FDGB-Mitgliedsbuch zu holen, erhielt dann einen Vordruck der PDS ausgehändigt mit der Maßgabe, die Parteiarbeit bei ihr fortzusetzen."

Ist die "Firma" heute tatsächlich in alle Winde zerstoben? Günter Bohnsack zögert einen Moment, erzählt dann, was er von der kürzlichen Geburtstagsfeier des Stasi-Generals Werner Prosetzky erfahren hat. "Da hat es wie früher eine Auswertung gegeben. Man sah sich gemeinsam Fernsehdokumentationen über die Staatssicherheit an und versuchte herauszufinden, wer da was aus den eigenen Reihen ausgeplaudert haben konnte."


 
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