© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    38/97  12. September 1997

 
 
Leistungslosigkeit
Kommentar von Ernst Fröhlich

Mit Beginn des neuen Schuljahres tritt die jährlich wiederkehrende Angst der Schüler vor Nachprüfungen ins Rampenlicht der Öffentlichkeit. Forderte Außenminister Schüssel erst vor wenigen Wochen, den Schülern sollten vor allem bessere Englisch- und Informatikkenntnisse nähergebracht werden (als ob alles übrige zweitrangig wäre, Anm.), lassen sich nun gerade im Bereich Englisch Lücken in der Ausbildung ablesen, glaubt man den Nachhilfelehrern, die in den vergangenen Sommerferien ihre Dienste im Schnitt für 390 Schilling pro Stunde Einzelunterricht anboten. Nun sollte man meinen, daß durch die zunehmende Anglisierung unserer Sprache (englische Liedertexte, mit Modewörtern gespickte amerikanische Kinofilme und Fernsehserien) die Englischkenntnisse unserer Jugend zunehmend verbessert würden, doch das Gegenteil ist der Fall. Aktives Lernen kann eben nicht durch permanente Berieselung ersetzt werden. Hand in Hand mit diesem Herabsinken des Ausbildungsniveaus geht auch eine Verzerrung bzw. Verkennung der Ursachen. Hedwig Wannerer, Sekretärin im Hilfszentrum der Lernhilfe St. Pölten, meint in diesem Kontext: "Im vergangenen Schuljahr dürften die Englischlehrer besonders streng gewesen sein". Daß vielleicht die Schüler besonders nachlässig gewesen sein könnten, kommt gar nicht erst in Frage. Wannerer weiter: "Wir haben Schüler mit Englisch-Problemen aus allen Schultypen". Diese Tatsache ist eher ein Indiz dafür, daß dieser Trend nicht mit den Lehrern zusammenhängt, sondern andere Ursachen haben muß. Könnte es zum Beispiel sein, daß er mit den Tamagotchis, den kleinen virtuellen Tierchen zusammenhängt, die seit dem Frühjahr als Haustierersatz die Aufmerksamkeit der Kinder von der realen Welt ablenken? Hängt der Trend zur Leistungslosigkeit damit zusammen, daß laue Frühsommernächte lieber in Diskotheken durchtanzt, anstatt als Erholung für die harte Prüfungszeit genutzt werden? Sind schlechte Zensuren gar das Ergebnis mangelhafter Kindererziehung? Das eigentliche Problem an der ganzen Sache ist, daß negative Effekte nicht nur für die Brieftasche der Eltern auftreten, wenn es an die Bezahlung der Nachhilfestunden geht, sondern in weiterer Folge auch für die Gesellschaft. Erschwerend wirken hierbei auch die weiterhin abnehmenden Sanktionsmöglichkeiten durch die Lehrerschaft, die soweit führen, daß ein Wort der Kritik schon als seelische Grausamkeit aufgefaßt wird. Dadurch kommen die Lehrer zunehmend unter Druck, sehen von Sanktionen ab, und das Ausbildungsniveau sinkt weiter. Es wäre dringend an der Zeit, den Schülern wieder beizubringen, ihre Pflichten ordnungsgemäß zu erfüllen, damit sie überhaupt verstehen können, woher ihre Rechte kommen.


 
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