© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    38/97  12. September 1997

 
 
Soldaten-Würdigung: Vom "Dank des Vaterlandes" zum Rufmord
Heer-Schau der Bilder
von Alfred Schickel

Die Volksweisheit, daß die Zeit alle Wunden heile, scheint hierzulande nicht mehr zu gelten, zumindest im Bereich der sogenannten Vergangenheitsbewältigung. Da leistet eine derzeit in der Philipps-Universität im hessischen Marburg gastierende, umstrittene Wanderausstellung dem Vorurteil Vorschub, die deutschen Soldaten seien mehr mit Mord und Totschlag beschäftigt gewesen als mit militärischem Kampf und Auftrag. Aufgefundene Briefe und Foto-Aufnahmen von grausamen Szenen "im Osten" wecken im neugierigen Betrachter nicht nur Betroffenheit und Entsetzen, sondern auch den Eindruck, mit diesen Darstellungen die ganze historische Wirklichkeit kennenzulernen – die man angeblich bisher stets "verdrängt" habe. Für Fragen nach den Hintergründen der gezeigten Szenen und den rechtlichen Gegebenheiten der vorgeführten Handlungen bleibt dabei offensichtlich ebenso wenig Platz wie Zeit. Vollends außer Betracht bleiben Urteile und Äußerungen einstiger Zeitgenossen und militärischer Gegner der Deutschen Wehrmacht, obwohl gerade diese kompetent und berufen waren, die Handlungen der deutschen Soldaten zutreffend zu beurteilen und ihren Einsatz objektiv zu bewerten. Etwa das französische Militärgericht, das am 19. Januar 1950 zwei deutsche Generale aus der Schuldhaftung entließ, "weil sie bei ihrer Vergeltungsmaßnahme für einen Partisanenüberfall einem höheren Befehl folgten". Offensichtlich war den französischen Militärrichtern die Kundmachung ihres Offizierskameraden bekannt, der als Stadtkommandant im April 1945 Überlingen im Falle einer Freischärlertätigkeit die Brandschatzung androhte und diese Drohung auch von seinem vorgesetzten Kommando gedeckt wußte.

Und der Oberbefehlshaber der alliierten Streitkräfte im Westen, General Dwight D. Eisenhower, bestätigte den deutschen Soldaten ausdrücklich, daß sie "ihre Ehre nicht verloren" hätten. Wörtlich im Februar 1951: "Ich bin zu der Erkenntnis gelangt, daß ein tatsächlicher Unterschied zwischen dem regulären deutschen Soldaten und Offizier und Hitler und seiner kriminellen Gruppe besteht. Die Tatsache, daß bestimmte Individuen entehrende und verachtenswerte Handlungen zuließen, fällt auf die betreffenden Individuen und nicht auf die große Mehrheit der deutschen Soldaten und Offiziere zurück."

Der angesehene britische Militärhistoriker, Captain B.H. Liddell Hart, stellte am 25. September 1951 in der Londoner Zeitung The Times über die Deutsche Wehrmacht fest: "Bei einem Besuch der Länder Westeuropas und einer Befragung der Bevölkerung bezüglich ihrer Erfahrungen unter der deutschen Okkupation wird einem immer wieder gesagt, daß das Nazi-Regime hassenswert, aber daß die deutsche Armee äußerst korrekt in ihrem Verhalten war." Aufgrund dieser Erkenntnisse revidierten die westalliierten Justizstellen alsbald laufend die von ihnen verhängten Strafen für deutsche "Kriegsverbrecher", wie die in den frühen fünfziger Jahren erfolgten Freilassungen Kesselrings, Mansteins oder Falkenhorsts beweisen.

Auf welchen zweifelhaften Verdachtsmomenten manche Vorwürfe gegen die Wehrmachtssoldaten und ihre Heerführer basierten und von einer gewissen Vergeltungsjustiz zunächst ernst genommen wurden, aber dann von Zeitzeugen widerlegt worden sind, verdeutlicht beispielhaft der "Fall" des Fallschirmjägergenerals Kurt Student. Der alliierte Ankläger beschuldigte ihn, auf Kreta 200 britische Lazarettinsassen bei einem Angriff deutscher Fallschirmjäger gegen die von Neuseeländern gehaltenen Linien als Deckung verwendet, britische Gefangene zum Abladen von Munition gezwungen und im Weigerungsfalle erschossen sowie die Bombardierung eines britischen Lazaretts aus der Luft befohlen zu haben. Handlungen, die ihm beim Wahrheitsbeweis als schwere Kriegsverbrechen die Todesstrafe eingetragen hätten. Seine Unschuldsbeteuerungen wären allenfalls als "mildernde Umstände" gewürdigt und von den heutigen ideologischen "Nachrichtern" als "Schutzbehauptungen" abgeschmettert worden.

Da brachte das Auftreten seines einstigen militärischen Gegners auf Kreta - des neuseeländischen Generals Inglis - Klarheit in die Darstellung der Geschehnisse. Der gegnerische General bezeugte, daß die "Haltung der deutschen Fallschirmjäger auf Kreta nicht den Schluß" erlaube, "daß ein organisierter Versuch unternommen worden wäre, die Kriegsbräuche zu verletzen". Die britischen Kriegsgefangenen seien "mit wenigen Ausnahmen anständig behandelt" worden. Die Behauptung, "daß deutsche Fallschirmjäger ihre Gefangenen vor sich hergetrieben hätten, um in deren Schutz anzugreifen", sei "unzutreffend". Die Bombardierung eines Lazaretts sei "die Folge eines Versehens" gewesen; das betreffende "deutsche Flugzeug" habe "gegen britische Truppen an der Küste vorgehen" wollen (gleichsam ein Parallelvorgang zum "Fall Guernica" von 1937).

Mit dieser Aussage waren alle Anklagepunkte entkräftet und ein Freispruch für Kurt Student unumgänglich. Gleichwohl glaubten die Mitglieder des Siegergerichts ihn zu fünf Jahren Haft verurteilen zu sollen. Ein offensichtlich zeitbefangenes Urteil, das der zuständige britische Oberbefehlshaber, General Sir Alexander Galloway, nicht bestätigen mochte und deswegen die Freilassung des deutschen Generals anordnete. Ereignisse, die sich vor einem halben Jahrhundert zutrugen und die die Erlebnisgeneration hoffen ließen, daß die Zeit tatsächlich "alle Wunden heilen" werde. Daß sich die sowjetische Militärjustiz in jenen Jahren dagegen ungleich subjektiver und rachsüchtiger zeigte, indem sie Zehntausende deutscher Soldaten und Offiziere kurzerhand zu "Kriegsverbrechern" erklärte und mit Tod bzw. langjährigen Haftstrafen belegte, erklärte sich weitgehend aus der gnadenlosen Ideologie des Sowjetkommunismus unter Josef Stalin. Den Überlebenden dieser unmenschlichen Sowjetjustiz wurde in den fünfziger Jahren im Grenzdurchgangslager Friedland zumindest noch der Dank der Zeitgenossen für das erbrachte Opfer an Lebenszeit und Gesundheit zuteil. Der Klang der Glocke von Friedland schien ein neues Kapitel im Leben der Kriegsgeneration einzuläuten und die empfangenen Seelenwunden endgültig vernarben zu lassen. Die alljährlich niedergelegten Kränze und entzündeten Kerzen vor den Gedenksteinen und Erinnerungsmalen schienen den heilend-verständnisvollen Handschlag zwischen der Erlebnis- und der Nachkriegsgeneration immer wieder aufs neue zu besiegeln.

Bis in diesen Jahren sich Kräfte rührten, welche sich nach makabrer Denkmalstürmerei und Gedenkstättenbesudelung in Schaudiskussionen und Wanderveranstaltungen mit großinquisitorischer Selbstgerechtigkeit über die Toten der Kriegs- und Aufbau-Generation hermachten und den "Dank des Vaterlandes" in einen Fluch der Nachwelt zu verkehren drohen.


 
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