© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    38/97  12. September 1997

 
 
Pankraz, A. Schopenhauer und die Sixtinische Madonna
von Günter Zehm

Interessantes Detail vom letzten Wochenende: Er habe, erzählte ein Freund, den ganzen Samstag die Nachrichten von Radio Vatikan abgehört, dort sei kein Wort, kein einziges Wort, über die Trauerfeier von Lady Diana verloren worden. Immer nur Mutter Theresea und wieder Mutter Theresa. Noch nicht einmal das, was Mutter Theresa kurz vor ihrem eigenen Tod lobend über Lady Di gesagt habe, sei erwähnt worden. Der Freund sprach bei der Deutung des Phänomens pietätlos von "Konkurrenzneid". Aber war es nicht eher das Bemühen, auf keinen Fall schlafende Hunde zu wecken? Der Vatikan ist zur Zeit mit der Diskussion darüber beschäftigt, ob man die Mutter Maria als voll gleichgeordnete "Miterlöserin" neben Gottvater und Gottsohn ins Glaubensdogma aufnehmen solle. Da käme ein Vorschlag der Popgeneration, man möge der Miterlöserin doch die Züge der verstorbenen Lady Di geben, gewiß nicht recht. Der Gegenstand ist ohnehin heikel genug. Denn der Kern des christlichen Dogmas, die Opferung des "eingeborenen Sohnes" zwecks Erlösung der Welt, ist genuine Männersache; keine Mutter käme je freiwillig auf den Gedanken, ihren Sohn für irgendetwas opfern zu wollen, und sei es für die Welt. Die Bibel gibt für derlei Annahmen, trotz Luk. 1,35, nicht das Geringste her. Die frühen Ansätze für eine spezielle Marienverehrung in Byzanz verdankten sich äußeren Anstößen, waren Reaktionen auf den im ganzen Morgenland so erfolgreichen Isiskult, gegen den die Nestorianer so grimmig anfochten. Wer diese Bewegungen erforschen will, gerät in ein wahres Dickicht von zeternder Rede und Gegenrede, aus dem sich die germanisierte Westkirche klugerweise lange heraushielt.

Erst als im zwölften Jahrhundert monophysitischer Sektengeist über Bosnien (schon damals also!) ins Abendland vordrang, wurde es auch in hiesigen Breiten üblich, über Glykophilusa und Galaktotrophusa, über Nikopoia und Hodegetria zu streiten. Die anschließende üppige Marienbildnerei der Renaissance, von Giorgione bis Raffael, war dann reines Heidentum, ein kaum kaschierter Kybele- und Isiskult, eine Wiedergeburt der Antike auf breitester Front.

Pankraz will gar nicht darüber streiten, ob es religionspolitisch vernünftig war, sich so machtvoll auf die Renaissance einzulassen. Mag sein, eine große Glaubensgemeinschaft braucht einfach das weibliche Element in ihrem Dogma, will nicht nur Erlösungshoffnung, sondern auch Hoffnung auf Fruchtbarkeit und mütterlichen Schutzmantel. Schließlich wurde auch der, ursprünglich sehr männliche und bildkarge, indische Buddhismus von einem "erneuerten" Hinduismus wiedereingeholt, und die vollbusigen Göttinnen der alten Veden kehrten zurück. Der Islam, freilich, als Religion ja nicht unbedingt bedeutungslos, verwahrt sich bis heute vor einer solchen Renaissance.

Wer sich aber auf die weiblichen Götter oder Erlöserinnen besinnt, der muß auch konkret werden; das weibliche Prinzip läßt sich, im Gegensatz zum männlichen, nicht auf einige dürre sprachliche Abstraktionen reduzieren, die Gläubigen wollen genau wissen, mit wem sie es zu tun haben, wollen Vorstellung und Plastizität, und diese müssen zudem noch "modern" sein, müssen den Leitbildern des Zeitgeistes entsprechen. Insofern gewinnt die Kontur der Lady Di für die aktuelle Mariendiskussion geradezu saugende Attraktivität. Jedenfalls in diesem historischen Augenblick würde sich das imaginierte Bild einer kanonisierten Miterlöserin geradezu automatisch mit dem Medienbild der verewigten Prinzessin of Wales verknüpfen.

Dieses Bild ist mächtig, weil virtuell allgegenwärtig, und es ist trostreich, weil es die unzähligen Gebresten und Widrigkeiten alltäglicher Existenz in eine Sphäre des Glanzes und der Privilegiertheit hineinprojiziert, sie gewissermaßen transzendiert. Es ist intellektuell anspruchslos, aber gemüthaft bis zum Exzeß, ist also geeignet für mystische Abenteuer im Stile der Theresa von Avila. Und es liefert ein festes Scharnier zwischen erhabener, tausendjähriger Tradition und jugendfrischer, drolliger Gegenwart, zwischen Wilhelm dem Eroberer und Elton John. Non omni natione taliter fecit.

Aber vielleicht kommt es bei wichtigen dogmatischen Festlegungen letzten Endes doch weniger auf die Lüste der Massen als auf bedächtigen, die Strecke der Zeiten ermessenden Katecheten-Entscheid an, vielleicht muß man ein neues Goldschnittbild gar erst einmal dem Blick großer ungläubiger Spötter aussetzen, um seine Haltbarkeit testen zu können. Dann stünden die Aussichten der Lady Di wohl weniger gut, reichte ihre kanonische Ausstrahlung nie und nimmer an die der berühmten Marienbilder der Renaissance, beispielsweise an die Sixtinische Madonna von Raffael, heran.

Diese sah in Dresden im Jahre 1815 der große ungläubige Spötter Arthur Schopenhauer, und er war davon so ergriffen, daß er ins Dichten geriet und folgende Zeilen eintrug: "Sie trägt zur Welt ihn, und er schaut entsetzt / In ihrer Greu’l chaotische Verwirrung, / In ihres Tobens wilde Raserei, /In ihres Treibens nie geheilte Torheit, / In ihrer Qualen nie gestillten Schmerz. – / Entsetzt: Doch strahlet Ruh’ und Zuversicht / Und Siegesglanz sein Aug’, verkündigend / Schon der Erlösung ewige Gewißheit".

Die Sixtinische, hatte Schopenhauer sofort erkannt, war eine sogenannte Blacherniotissa, wie sie auch der strenge Nestorius akzeptiert hätte und vor der er selbst tief den Hut zog: nicht selber Göttin, ja, nicht einmal "Dei genitrix", Gottesgebärerin, sondern – in all ihrer Schönheit – nur Trageseil des Erlösers, das er kappen mußte, um sein Werk tun zu können. Lady Di ihrerseits war bekanntlich fest entschlossen, ihren Sohn William nicht einmal dem Protokoll des Hofes "auszuliefern". Vor den Augen Schopenhauers hätte sie schwerlich bestanden.


 
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