© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    38/97  12. September 1997

 
 
"Jugend ohne Drogen": Referendum stellt Weichen für Schweizer Drogenpolitik
Großaufgebot der Liberalisierer
von Reinhard U. Wegeln

In der Schweiz ist seit Jahren eine schleichendeDrogenliberalisierung zu beobachten. Ein Vorschlag zur Revision des Betäubungsmittelgesetzes, der die Entkriminalisierung des Kleinhandels und des Konsums aller Drogen zum Ziel hat, liegt in der Schublade der sozialistischen Bundesrätin und Gesundheitsministerin Dreifuss bereit. Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, wurde Ende 1992 die eidgenössische Volksinitiative für eine "Jugend ohne Drogen" lanciert und Mitte 1993 mit über 140.000 Unterschriften eingereicht. Der Vorstoß wird von verschiedenen bürgerlichen Kreisen und wertkonservativen Organisationen getragen und wurde maßgeblich durch den Verein zur Förderung der Psychologischen Menschenkenntnis (VPM) ausgestaltet. Zahlreiche Sportler, darunter der ehemalige Ski-Rennfahrer Pirmin Zurbriggen und der frühere Schweizer Eishockey-Nationaltrainer und heutige Nationalrat Simon Schenk, gehörten zu den treibenden Kräften. Vor allem in der Westschweiz und im Tessin stieß das Volksbegehren auf große Resonanz.

"Jugend ohne Drogen" will landesweit ein klares Stoppsignal gegen jegliche Art der Liberalisierung von Rauschgiften aussenden und verbietet die suchtverlängernden Methoden der staatlichen Heroinabgabe für die etwa 30.000 Abhängigen im Land. Die Initiative sieht vor, die Bundesbehörden zu verpflichten, konsequent gegen Drogen Stellung zu beziehen und die bestehenden Gesetze besser umzusetzen. Aus dem neu ausformulierten Verfassungstext müßte das eidgenössische Parlament im Falle eines "Ja" eine Gesetzesvorlage ausarbeiten. Der Initiativtext verbietet die Heroinabgabe explizit, während vom Verbot der Methadonsubstitution nirgends direkt die Rede ist.

Die Gegner werfen der auf Abstinenz ausgerichteten Drogenpolitik vor, daß man Drogensucht nicht aus der Welt schaffen könne und die Initiative deshalb außerhalb aller realistischen Konzepte stehe. "Eine konsequente Umsetzung der Initiative würde den zwangsweisen Entzug in geschlossenen Anstalten bedeuten", sagt beispielsweise die Berner Fürsorgedirektorin Ursula Begert. Die Kosten für die Umsetzung wären immens, der Erfolg ungewiß. Begert befürchtet außerdem, daß auch "Gassenzimmer", betreutes Wohnen und die Abgabe von sauberen Spritzen durch die Initiative unmöglich würden.

Demgegenüber machen die Initianten deutlich, daß ihr Volksbegehren mit der auf Abstinenz und Ächtung der Drogen ausgerichteten UNO-Drogenkonvention übereinstimme. Und SVP-Nationalrat Hans Fehr fragt: "Wollen wir der Drogenliberalisierung, welche immer mehr Jugendliche in die Abhängigkeit der Rauschgifte führen wird, als isoliertes Drogenland Schweiz Tür und Tor öffnen?"

Im Nationalrat wurde "Jugend ohne Drogen" mit 100 zu 43 Stimmen zur Ablehnung empfohlen. Von den vier Bundesratsparteien steht lediglich die konservative Schweizerische Volkspartei (SVP) hinter ihren Zielen. Allerdings schwenkten drei autonome Kantonalparteien, darunter die gewichtige Berner SVP-Sektion, aus. Die Freisinnigen (FDP) und die Christdemokraten (CVP) sowie die Sozialdemokraten (SP) lehnen das Ansinnen klar ab.

Zu den Befürwortern gehören neben der SVP die nur in der französischsprachigen Schweiz und in Basel-Stadt beheimatete Liberale Partei, die rechtsliberale Freiheitspartei und die altrechten Schweizetr Demokraten. Präsident des Initiativkomitees ist der ehemalige Ständerat Markus Kündig, der Mitglied der zunehmend auf Drogenliberalisierung setzenden Christdemokraten ist.

Von weiten Teilen der Medien wurde indes eine großangelegte Desinformationskampagne in Gang gesetzt. Befürwortern wird die Zusammenarbeit mit dem VPM vorgeworfen; man stellt sie in die rechte Ecke. Sportler bekamen von Sponsoren einen Maulkorb umgehängt. Der sozialdemokratische Neuenburger Staatsrat Francis Matthey pfiff seine eigene Partei zurück.

Der Druck ging sogar noch weiter: Abstinenzorientierte Drogeneinrichtungen bekamen von amtlichen Stellen die Drohung zu hören, daß ihnen – bei positiven Äußerungen zur Initiative – keine Süchtigen mehr zugewiesen würden. Das Bundesamt für Gesundheitswesen griff (mit Steuergeldern) mehrfach ablehnend in die Debatte ein. Organisationen, die sonst nie zu politischen Fragen Stellung beziehen, fühlen sich plötzlich veranlaßt, in aller Öffentlichkeit gegen ein Volksbegehren aufzutreten. Vom Lehrerdachverband bis zur Berufsvereinigung der Ärzte fühlt man sich bemüßigt – meistens allerdings nur im Rahmen des Vorstands und ohne Konsultation der Basis – vor der "gefährlichen Initiative" zu warnen. Sogar die Schweizerische Bischofskonferenz ließ sich dazu hinreißen, eine Contra-Pressemitteilung zu verbreiten, so daß Kardinal Henry Schwery als Mitglied des Initiativkomitees sozusagen "im Regen stehengelassen" wurde. Schwery fordert, vorbeugend für das sinnerfüllte Leben zu kämpfen: "Durch Erziehung, durch ein positives soziales Umfeld, durch das Erfahren der fundamentalen Werte – im Sinne der Abstinenz und der Selbstbeherrschung." Schweizerische Urnengänge haben ihre eigenen Gesetze. Deshalb ist eine Voraussage des Resultats eigentlich unmöglich. Da sich jedoch nahezu die gesamte veröffentlichte Meinung gegen das Volksbegehren ausspricht, prophezeien fast alle Beobachter eine Ablehnung. Ein deutliches Scheitern der Initiative würde insbesondere den Anhängern der sogenannten "Droleg-Initiative" kräftig Auftrieb geben. "Die gegenüber Liberalisierungsbestrebungen ungewöhnlich wohlwollenden Medien könnten in Verbindung mit den klar auf eine Drogenabgabe hinarbeitenden Drogenfachleuten das Tor zu einer radikalen Politumkehr öffnen", warnt daher die konservative Wirtschaftsvereinigung "Redressement national".


 
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