© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    37/97  05. September 1997

 
 
Öko-Visionen: Gegenstrategien zur Globalisierung überschwemmen den Büchermarkt
Es ist bereits fünf vor Zwölf
von Gerhard Poschacher

Fortschritt war immer mit Fort-Schreiten verbunden, meint Ernst Ulrich von Weizsäcker, Philosoph und Biologe, in seinem neuen Buch ("Grenzenlos", Birkhäuser-Verlag, Berlin 1997), um dann nachzuweisen, daß es immer Eliten waren, die zum Symbolträger der Mobilität zur Überwindung von Grenzen wurden. Die letzten Jahre des zu Ende gehenden zweiten Jahrtausends sind für Politik und Wissenschaft Anlaß, über das zukünftige Leben zwischen ökologischen Zwängen und ökonomischen Notwendigkeiten nachzudenken.

Der Wettlauf von Visionen hat begonnen, die Bücherregale füllen sich. Die Erkenntnisse der Naturwissenschaften halten allerdings mit der Bereitschaft der Menschen in den entwickelten Regionen der Welt, die Wohlstandsansprüche zu reduzieren, nicht Schritt. Im Buch "Grenzenlos" wird ein Feuerwerk von Ideen in der Naturwissenschaft, Technik sowie in Ökonomie und Ökologie präsentiert bzw. zur Diskussion gestellt.

Eines der neuen Schlagworte, das längst zum Reizwort wurde, heißt: Globalisierung. Der EU-Beitritt Österreichs machte den Menschen zum Beispiel deutlich, daß etwa im Bereiche der Arbeitsplatzsicherung die internationale Verflechtung der Wirtschaft kein Nullsummenspiel ist. Sie fördert und führt – über Grenzen hinweg – zwar insgesamt zu Wohlstandsgewinnen, wobei sozialer Friede und Qualifikation wichtige Kriterien für einen Wirtschaftsstandort bilden. Die regionalen Einkommensparitäten nehmen aber oftmals zu.

Globalisierung heißt aber auch: Die virtuelle Zukunft hat begonnen. Detlef Drewes zeigt diesen Sachverhalt in seinem Buch "Die Online Gesellschaft" (Wirtschaftsverlag Langen Müller/Herbig, München) eindrucksvoll auf. Homebanking, Reisen buchen, Menschen kennenlernen – rund um die Welt bilden 3,2 Millionen Zentralrechner das Nervensystem der globalen Datennetze. Sie werden die größte Umwälzung der kommenden Jahrzehnte bewirken.

Die drastische Zunahme von Heimarbeitsplätzen, der Wegfall von Übermittlungszeiten und neue Vertriebsmöglichkeiten werden unser berufliches und wirtschaftliches Umfeld total verändern.

Direkt oder indirekt sind 60 Prozent aller Arbeitsplätze durch Informations- und Kommunikationstechnik geprägt. Es wird damit gerechnet, daß die Informationsbranche ab dem Jahr 2000 mehr Arbeitsplätze als die Automobilindustrie zur Verfügung stellt. Prognosen für Europa gehen von fünf bis zehn Millionen neuen Arbeitsplätzen durch Multimedia-Anwendungen mit einem Investitionsvolumen von 300 Milliarden bis zum Jahr 2000 aus.

Im Buch "Ökologische Gesellschaftsvisionen" (Birkhäuser-Verlag, Basel 1996) wird zu Recht in den Mittelpunkt der Beiträge die Forderung gerückt, wie als Überlebensstrategie die fortschreitenden Umweltzerstörungen eingedämmt werden können. Die heutige Lebensweise geht nämlich an der Natur vorbei. Die Schätze dieses Planeten und seines Ökosystems sind uns wie ein Lottogewinn zugefallen. Die industrielle Revolution hat die ungehemmte Nutzung und Ausbeutung dieser Schätze ermöglicht. Doch statt das "Vermögen Erde" unter einer langfristigen Perspektive zu nutzen und von der Dividende zu zehren, sind wir verantwortungslos dabei, den Kapitalstock aufzubrauchen. Es ist fünf vor zwölf und damit höchste Zeit zu handeln, wird mit guten Argumenten in diesem Buch festgestellt. Wir müssen die Lebensweise unserer Gesellschaft und zuallererst des Denkens erneuern, wenn die Schöpfung auch in Zukunft existieren soll. Und das ist möglich, wenn jetzt dafür die richtigen Maßnahmen (zum Beispiel ökologische Steuerreform) gesetzt werden. Visionen als Lösungen werden angeboten, eine, die vor allem für Österreich interessant ist, heißt: Alternativenergien.

Franz Alt, Publizist und Fernsehjournalist, tritt deshalb für die massive Förderung alternativer Energiequellen ein. Er zeigt an vielen eindrucksvollen Beispielen auf, daß erneuerbare Energie bereits heute wirtschaftlich eingesetzt werden kann. Ein Vorkämpfer für dieses Konzept, Heinz Kopetz, Vorsitzender des Europäischen Biomassenverbandes, schreibt in der Broschüre "Multifunktionale Agrarpolitik", daß sich Biomasse für die Treibstofferzeugung, die Wärmeversorgung und die Stromproduktion anbietet.

In diesem Zusammenhang ist auch auf die Publikation "Zukunft der Arbeit – welche Arbeit hat Zukunft" zu verweisen, in der Werner Pevetz fünf Thesen präsentiert und unter anderem feststellt, daß der Globalisierung verfügbare regionale Kräfte und Innovationen entgegenzustellen sind. Wenn das Leben im nächsten Jahrtausend in sozialer Sicherheit und intakter Umwelt als wichtigste Vision Realität werden soll, muß, das zeigen die Schlußfolgerungen in den zitierten Publikationen, heute schon so schnell wie möglich damit begonnen werden.


 
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