© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    37/97  05. September 1997

 
 
Intelektuelle: Der Publizist Ulrich Schacht über sein parteipolitisches Engagement
"Der Kapitalismus ist mein Feind"
Interview mit Ulrich Schacht, Fragen: Thorsten Thaler

Herr Schacht, Sie kandidieren für den Bund Freier Bürger (BFB) zur Hamburger Bürgerschaft. Was hat Sie dazu bewogen, sich vom Hochsitz des publizistischen Beobachters in die parteipolitischen Niederungen zu stürzen?

Schacht: Wer meine Biographie näher kennt, weiß, daß ich seit gut drei Jahrzehnten ein politisch stark engagierter Mensch bin. Insofern ist mein Schritt ein vollkommen logischer. Mein Leben ist bis zur Stunde geprägt von zwei grundlegenden politischen Erfahrungen: Vom Werden meines politischen Bewußtseins unter den terroristischen Bedingungen der zweiten deutschen Diktatur, also des SED-Staates, der sich mit einer linksextremen Antifa-Ideologie zu legitimieren versuchte, sowie vom kritischen Engagement für die Republik des Grundgesetzes, in der ich seit 1976 lebe. Auch deshalb war ich nach meiner Ankunft im Westen sofort engagiert in der SPD, die ich erst 1992 verlassen habe, mental natürlich schon einige Jahre eher. Hauptentfremdungspunkt war die verheerende Anerkennungspolitik gegenüber der DDR, die bis zu den Wahlen vom März 1990 nie etwas anderes als eine menschenverachtende Diktatur war. Aber Kernmotiv aller meiner politischen Aktivitäten ist seit langem die Überzeugung von Hannah Arendt, der neben Albert Camus für mein Denken und Handeln wichtigsten philosophischen Stimme: "Der Sinn von Politik ist Freiheit."

Wie läßt sich Ihr Engagement mit der Unabhängigkeit eines Journalisten vereinbaren?

Schacht: Abgesehen davon, daß ich an eine positivistisch verstandene Unabhängigkeit des Journalisten auch nur als Möglichkeit nie geglaubt habe, zeigt schon die Entwicklungsgeschichte der deutschen demokratischen Bewegung seit Mitte des 19. Jahrhunderts, daß ohne Journalisten auch auf dem Felde praktischer Politik nichts vorangegangen wäre. Außerdem bin ich primär im Kulturteil meiner Zeitung tätig. Würde ich dem politischen Teil dienen, sähe die Sache natürlich ein wenig anders aus. Das heißt, ich müßte mich sicherlich in diesem oder jenem Bereich zurück- oder ganz raushalten. Ich glaube jedenfalls nicht, daß für mich eine Konfliktlage auch nur in Spurenelementen existiert.

Müssen Sie nicht fürchten, vom BFB nur als Zugpferd mißbraucht zu werden?

Schacht: Da mein Engagement für den Bund Freier Bürger ganz allein meine Entscheidung war, bis hin zum Angebot der Kandidatur, die dann allerdings von Manfred Brunner begrüßt wurde, hat Ihre Frage keine Grundlage.

Sind Sie eigentlich Mitglied geworden?

Schacht: Ich kandidiere als Unabhängiger für den Bund.

Ihre Schriften haben bisher den Schluß nahegelegt, Sie seien ein Nationalkonservativer. Warum setzen Sie sich jetzt für eine wirtschaftsliberale Partei ein?

Schacht: Wer aus meinen Artikeln, Kommentaren, Essays und Reden nur einen "nationalkonservativen" Ulrich Schacht herausgelesen hat, der hat sich schlicht verlesen oder nur selektiv zur Kenntnis genommen, was ich denke und politisch will.

Und das wäre?

Schacht: Für mich war zweifellos die Wiederherstellung eines einheitlichen deutschen Nationalstaates auf der Grundlage des Grundgesetzes der politische Programmpunkt Nummer eins. Den Nationalstaat haben wir jetzt, zumindest äußerlich. Insofern bin ich politisch saturiert. Was uns fehlt, ist das, was ich die innere Souveränität Deutschlands nenne. Darum geht der Kampf heute. Diese innere Souveränität ist für mich – aber auch für den Bund Freier Bürger – keineswegs erreichbar auf der Basis eines puren Wirtschaftsliberalismus. Jedenfalls gibt es dafür keinen Anhaltspunkt im Programm des BFB. Einer Partei, die die nackten Profit- und Verwertungsinteressen einer kapitalistischen Mini-Minderheit programmatisch bediente, würde ich niemals angehören oder für sie in den Ring gehen. Kapitalismus dieser Art ist naturgemäß menschenfeindlich und deshalb auch mein Feind. Er ist übrigens periodisch immer wieder historisches Vorlauf-Milieu für Diktaturen, die dem durch ihn so brutal entfremdeten und entwürdigten Menschen die jeweils neueste "Heile Welt" versprechen.

Können Sie das konkretisieren?

Schacht: Die gemäßigt neue "Heile Welt", die die Alt-Parteien unisono den Deutschen empfehlen, heißt Maastricht-Europa. Ein bürokratisches Ungeheuer, ökonomisch verschwenderisch, kulturell nivellierend, politisch antidemokratisch, und das alles auf zerstörerische Weise. Geballter Wahnsinn in der Maske des Rationalen und Effizienten. Die Leute, die das als Lösungsmodell aller aktuellen Probleme und potentiellen Krisen zwischen Lissabon, Helsinki, Athen und Palermo empfehlen, sind entweder perfekte Schauspieler oder perfekt kulturlos. Daß es einige wenige Männer und Frauen gibt, die auch über seriöse Motive verfügen, will ich damit nicht ausschließen. Jedenfalls ist die Europa-Debatte in Deutschland nicht Ausdruck eines konstruktiven Klimas, sondern Symptom zerfallender Politik-Welten. Die etablierten Parteien wissen das genauso gut wie Sie und ich. Aber sie haben offenbar weder die geistige noch die moralische, geschweige denn die machttechnische Kraft, diese Systemblockade zu beenden.

Kommen wir zurück zum BFB.

Schacht: Mein Engagement für den BFB hat mit der Dramatik dieser Analyse zu tun. Nicht weil ich glaube, daß wir den Stein der Weisen hätten. Wohl aber glaube ich, daß gesellschaftliche Blockaden und Krisen der geschilderten Art in dieser Phase nur noch mit Hilfe von Zivilcourage gelöst werden können. Die regionalen Parlamente und der Bundestag sind seit langem leider primär Entfaltungszentren für die Feigheits-Spiele des deutschen Kleinbürgers. Die billigsten Nummern ziehen in diesem Rahmen die Grünen ab, die "das System" zeitweilig wie die Wahnsinnigen bekämpft haben, jetzt aber, nachdem sie machtpolitisch ausgestattet und materiell abgefüttert sind, das einst verachtete Unternehmen "Bonner Republik" wie wahnsinnig "verteidigen".

Wie äußert sich das?

Schacht: Indem sie jeden politischen Gegner, der sich Sorgen um den Zustand des republikanisch verfaßten Gemeinwesens und deshalb Vorschläge zu seiner Veränderung macht, mindestens zu Prä-Faschisten ernennen. Wenn sie nicht selber denunzieren, geschieht es durch ihre autonom von ihnen handelnden Vorfeldorganisationen. Verbal haben wir jedenfalls nordirische Verhältnisse in Deutschland. Daß die sogenannten Alt-Parteien aber glauben, diesen Zustand durch hämisches Händereiben hinter dem Rücken tolerieren zu können, sie dem Meinungsterror von links nicht energisch widersprechen, um die Ehre Unbefleckter zu schützen, sondern abtauchen oder sogar mitmachen, das wird eines nicht allzu fernen Tages besonders die CDU wie einen verschleppten Virus erreichen. Ganz davon abgesehen, daß solche stimmenprofitliche Feigheit dem parlamentarischen System immensen Schaden in den Augen der Bürger zufügt.

Wie beurteilen Sie die Konkurrenz zwischen BFB und Republikanern?

Schacht: Diese Konkurrenz ist sicherlich ein Handicap, wenn es um die parlamentarische Formierung einer demokratischen Kraft rechts von der Mitte geht. Im Moment ist das nicht zu ändern, was nicht heißt, daß es sich nicht ändern kann. Italien ist das beste Beispiel dafür, wie überlebte politische Organisationen über Nacht im Orkus des Bürgerzorns, also in den Abgründen von Wahlurnen, verschwinden, ohne daß deshalb Demokratie und Rechtsstaat gleich mit verschwunden sind. Aber auch so ein Über-Nacht-Ergebnis hat einen längeren Prozeß zur Voraussetzung. Wir können uns entscheiden, ihn nicht wahrzunehmen. Das wäre dumm. Oder ihm auszuweichen. Das wäre die falsche Klugheit, die sich bitter rächt. Oder ihn politisch-moralisch durch unser Engagement als Demokraten, die Ordnung und Freiheit, Nationales und Internationales, Materielles und Immaterielles aus gutem Grund zusammendenken, nachhaltig qualifizieren. Daß man sich durch ein solches Engagement bei den eigensüchtigen Status-quo-Verwaltern der Alt-Parteien unbeliebt macht und die angeblich pazifistischen Grünen und ihre gewaltbereite Sympathisantenszene zu faschistoiden Haßorgien treibt, das muß man in Kauf nehmen.

Trotzdem könnten am Ende beide Parteien in die Röhre schauen.

Schacht: Ich denke, daß sich ein offenes Engagement von freien Bürgern für ihr republikanisch verfaßtes Gemeinwesen immer auszahlt, auch wenn es sich vielleicht nicht immer gleich auch auszählen läßt bis zu der Höhe, die die Fünf-Prozent-Hürde setzt. Aber warten wir ab, ausgezählt wird in Hamburg am Abend des 21. September.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen