© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    37/97  05. September 1997

 
 
Schloß Moyland: Ein Ensemble aus Kunst, Architektur und Landschaft
Joseph Beuys in fester Burg
von Günther Elbin

Weite Rasenflächen, üppiges Grün, niederrheinischer Wolkenhimmel. Überall im Park Skulpturen. Auf massivem Sockel ein monumentaler Männerkopf mit kaltem, fast abstoßendem Gesichtsausdruck – die personifizierte Rücksichtslosigkeit: ein Bronzeguß von Ronald Tolman. Selten hat man "Macht", so der Titel, überzeugender dargestellt gesehen. Ebenfalls ein Bronzeguß "Die Liegenden" von Klaus Schmetz: zwei hingestreckte Gestalten unter einer übergeworfenen Decke, auf noch offenen Gräbern. Im Hintergrund des Parks, eher störend vor der schönen Baumkulisse, ein stählern-technisches Gebilde, aufragend wie eine stehengebliebene Baumaschine. Verzichtbar auch die "Steinbücher", aufgeblätterte oder zugeklappte Bücher aus Stein, die seit Jahr und Tag das Ehepaar Kubach-Wilmsen produziert. Bezaubernd hingegen mitten im Schloßpark das längliche Geviert eines Blumengartens – in voller Blüte Rosen, Phlox und Tausendschön…

Schloß Moyland liegt am Niederrhein, in der äußersten Nordwestecke der Bundesrepublik, halbwegs zwischen Kalkar und Kleve, der ehemals neben Berlin und Königsberg dritten preußischen Haupt- und Residenzstadt. In seiner noch heute gültigen Grundgestalt mit den vier einen engen Innenhof umschließenden Flügeln und den wuchtigen Ecktürmen, umflossen von mehreren Wassergräben, entstand das Schloß im 15. Jahrhundert. Im 17. Jahrhundert erhielten die Zinnentürme barocke Hauben, und an die Stelle zahlreicher Schießscharten traten hohe Fenster; die Burg wandelte sich zu einem Landschloß, das über hundert Jahre der preußischen Krone gehörte, ehe es 1767 in den Besitz des holländischen Barons Steengracht überging, dessen Nachfahren es bis heute gehört. 1740 hatte hier die Begegnung des Preußenkönigs Friedrich II. mit Voltaire stattgefunden. 1850 wurde das Schloß im neogotischen Tudorstil erneut umgebaut. In den letzten Monaten des Zweiten Weltkriegs wurde der Niederrhein Schlachtfeld und Schloß Moyland Ruine. Am 23. März 1945 besuchte Churchill das Schloß, in dessen Keller sich ein britischer Armeestab einquartiert hatte. Trotz Behelfdachs verfiel die Ruine nach dem Krieg mehr und mehr.

Die Wende kam 1987. Ein Förderverein "Museum Schloß Moyland" wurde ins Leben gerufen mit dem verwegenen Ziel, das Schloß wiederherzustellen und in ihm ein Museum der Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts einzurichten. Aus dem Innern mußten 3000 Kubikmeter Schutt beseitigt werden. Im Sommer 1990 erfolgte die Gründung der Stiftung "Schloß Moyland". In sie brachte Baron Adrian von Steengracht Schloß, Nebengebäude und den ebenfalls wiederherzustellenden Park ein, und die Brüder Hans und Franz Joseph van der Grinten, zwei Bauernsöhne aus dem nahen Kranenburg, ihre in fast fünfzig Jahren zusammengetragene Kunstsammlung. Sie besteht aus etwa sechzigtausend Stücken: Skulpturen, Plastiken, Malerei, Grafik und Zeichnung bis hin zu Fotografie, Objektkunst und Kunsthandwerk. Schwerpunkt sind viertausend Werke des in Kleve aufgewachsenen Joseph Beuys, unter denen sich freilich, wie die Künstlerwitwe Eva Beuys anmerkte, kein wirklich qualitätsvolles befindet – was aber eine Überspitzung ist. Dritter Bestandteil der Stiftung schließlich ist das Joseph-Beuys-Archiv mit nahezu hunderttausend Archivalien. An der Spitze steht ein Kuratorium, dessen Vorsitzende der NRW-Ministerpräsident Johannes Rau ist. Feierlich und mit Volksfestcharakter eröffnet wurde das Museum am 25. Mai dieses Jahres. Frau Beuys blieb ostentativ fern.

Der Gesamtkomplex aber umfaßt außer Schloßgebäude und dem Skulpturenpark noch zwei Vorburgbauten, die ehemals als Pferdestallungen, Kutschenremisen, Wohnungen und dergleichen dienten. Das linke Gebäude, das als malerische Ruine noch halbwegs erhalten geblieben war, entstand mit seinen hohen Spitzbogenfenstern, den durch Linsen gegliederten Außenwänden und dem steilen Schieferwalmdach in nahezu ursprünglicher Gestalt wieder und beherbergt heute Cafeteria, Museumsshop und Räume für Wechselausstellungen. Im rechten sind die Verwaltung, das riesige Depot sowie die Bibliothek mit etwa fünfzigtausend Publikationen zur Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts untergebracht. Der Wiederaufbau geschah aber in so einfallsloser Form, daß sich Vergleiche mit einer Sparkasse oder Turnhalle aufdrängen und man nur hoffen kann, daß der Bau bald unter Efeu und Gerank verschwindet. Die Gesamtkosten beliefen sich auf 65 Millionen Mark. Davon trug das Land Nordrhein-Westfalen 90 Prozent, der Kreis Kleve 7,5 und die Gemeinde Bedburg-Hau, zu der Moyland gehört, 2,5 Prozent.

Die Stiftung ist eine Institution der voluminösen Zahlen: von den sechzigtausend Stücken wird der überwiegende Teil wohl nie aus dem Archiv herausfinden. Doch es stimmt schon, daß mit Schloß, Museum und Gartenanlagen ein kulturelles Gesamtereignis geschaffen wurde. Denn dieses Ensemble aus Architektur, Kunst und Natur besitzt einen unverwechselbaren Charakter. Zudem sichern ihm die Beuys-Bestände internationale Aufmerksamkeit.

Der Besucher kann das Schloß vom Keller mit seiner von Thorvaldsen über Klinger bis zum Beuys-Lehrer Mataré sich erstreckende Skulpturensammlung bis hinaus zum Dachgeschoß mit der rund 30.000 Blätter zählenden druckgraphischen Sammlung mit Arbeiten von Schmitt-Rottluff, Heckel und Kirchner durchstöbern, wird freilich bald überwältigt sein von der nicht selten die Qualität ersetzende Quantität. Außerdem beeinträchtigt in vielen Räumen die gedrängte Hängung der Bilder Wahrnehmung und Genuß. Das bedauert man bereits im Erdgeschoß, wo man auf Zeichnungen Liebermanns oder Gemälde von David Hockney und Gerhard Richter stößt sowie auf die gedämpfte Farbigkeit der Landschaften und Klever Ansichten des Hofer-Schülers Hermann Teuber. Vollends zum Ärgernis wird die der Petersburger Eremitage abgeguckte "Petersburger Hängung" in jenem Raum, der mit Olgemälden von etwa 1840 bis zur Gegenwart buchstäblich tapeziert ist. Andererseits wären manche unübersehbar ins Licht gerückte epigonale Produkte aus dem Freundeskreis des 1986 verstorbenen Joseph Beuys besser im Depot geblieben: Gegenstände aus Küche, Werkstatt oder vom Schrottplatz. Die Beuys-Maxime, wonach "jeder Mensch ein Künstler" sei, wurde hier gründlich mißverstanden.

Indessen gilt als Herzstück des Museums, das allgemein von Anfang an als Beuys-Museum bezeichnet wurde, der im Obergeschoß in dreizehn Räumen gezeigte Block von zwölfhundert Beuys-Arbeiten, ausgewählt aus den erwähnten viertausend. Fehlen auch die weltweit bekannten Filzanzüge, Fettecken und Installationen, gewähren dennoch die versammelten Ölgemälde, Zeichnungen und Wasserfarbenblätter, die Druckgrafiken, Objekte und Braunkreuz-Arbeiten einen Eindruck von der Schaffensspanne dieses Künstlers, dessen zentrales Ausdrucksmedium die Zeichnung war. Ihr Themenschwerpunkt sind neben der Landschaft im weitesten Sinne Mensch und Tier, nahezu immer unter einer mystischen Aura. Unter den Tieren bevorzugte er Elch, Hirsch, Schwan und Ziege nebst dem, was sie in seiner Vorstellung versinnbildlichten. Eine ästhetisch außerordentlich reizvolle Motivgruppe stellt deneben innerhalb einer ähnlichen Aura, doch ohne individuellen Züge, erhoben ins Überzeitliche und Spezifische etwa als Mutter, Hirtin, junges Mädchen, Tänzerin, in Gestik und Ausdruck stets auf sich selbst bezogen, der Bilderzyklus "Frauen" dar.

Daß Moyland, wo einst Friedrich der Große und Voltaire im Gespräch vertieft am Kamin saßen, heute das Beuys-Oeuvre beherbergt, paßt nicht schlecht zusammen. Kritische Geister waren beide.


 
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