© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    37/97  05. September 1997

 
 
Pankraz, Lady Di und die Folgen des Jagdzaubers in der Steinzeit
von Günter Zehm

Eine griechische Tragödie sei der Unfalltod von Prinzessin Diana gewesen, sagen James Whitaker und andere britische Nekrologisten. Pankraz seinerseits sieht in dem traurigen Geschehen eher paläontologische, urzeitliche, denn antike Züge. Die Paparazzi kommen ihm wie Zauberer aus der Steinzeit vor, die, bevor ihre "Kunden", ihre Stammesbrüder, auf Rentierjagd gingen, zunächst einmal ein Bild von der erhofften Beute anfertigten, damit sie "gebannt" werde. Das Bilderverfertigen war für sie eine magische, dämonische Prozedur, die das abgebildete Tier tötete, noch bevor es der reale Speer der Jäger traf.

Noch heute hegen natürlich lebende Urwald- oder Wüstenstämme ein tiefes Mißtrauen gegenüber dem Bild. Es gilt ihnen als Einfallstor des Bösen, zieht Tod auf sich und strömt Tod aus. Was für ein Beutetier gilt, das gilt auch für den Menschen: Wenn jemand ein Bild von uns macht, dann gewinnt er Unheilsherrschaft über uns. Was er unserem Bild antut, das tut er uns an. Er kann es beschädigen, verzerren, in fatale soziale Zusammenhänge einführen, und damit beschädigt und verzerrt er uns selbst, manövriert uns selbst in fatale Zusammenhänge.

In der Antike, über die jetzt in den Lady-Di-Nachrufen so viel geschrieben wird, behielt sich die Polis, die Ratsversammlung der Freien, die Entscheidung darüber vor, von wem ein Bild gemacht werden durfte, wo es auszustellen oder was sonst mit ihm anzustellen war. Jahrhundertelang durften nur Götterbilder angefertigt werden, und diese waren ausdrücklich keine Abbildungen, keine wirklichen Bilder also, sondern Symbole.

Auch diese Auffassung wurzelte in den uralten Praktiken der Steinzeitgesellschaft, wovon die ethnologische Feldforschung beredtes Zeugnis ablegt. Es fällt – nach einer Mitteilung von Mircea Eliade, der dem Phänomen auf den Marquesas-Inseln nachgegangen ist – keinem polynesischen Priester ein zu behaupten, der Fetisch auf dem Feldanger wäre Gott. Nein, sagen sie vorsichtig, er ist nur der Sitz Gottes, auf dem er sich niederlassen kann, wenn er vorbeikommt. Er ist Maske, ist Dämonenabwehr. Unsere maskierten Fetische – sagen die polynesischen Priester – wollen Gott nicht ins Bild bannen, sondern, wenn er sich denn schon zu uns herabläßt, vor den bösen Dämonen beschützen. Einerseits also der Pfeil des Bösen, andererseits der Sitz der Götter – in dieser Spannung verharrt das Abbilden, das Bildermachen auch heute noch. Die sogenannten Prominenten, die "Stars", leiden sehr, manchmal (siehe Lady Di) bis auf den Tod, darunter, daß sie von Bildreportern verfolgt und mit Teleobjektiven in allen möglichen und unmöglichen Posen abgelichtet werden; tatsächlich wird ihnen durch solche Prozeduren ein wesentlicher Teil ihres Selbst geraubt, Intimität, Bei-sich-Sein. Andererseits gibt es unzählige "Sternchen", pure Nullitäten, die im Grunde nur davon leben, daß Bilder von ihnen veröffentlicht werden. Plötzlicher Bildentzug stürzt sie ins Nichts, ist für sie identisch mit horrendem Seinsentzug, mit Tod.

Und keine Ratsversammlung und kein Herrscherspruch wacht mehr darüber, ob einer eine dämonische Fratze oder ein Symbol der Erhabenheit verpaßt bekommt. Alles ist dem "freien Spiel von Angebot und Nachfrage" ausgeliefert, mit einer deutlichen Tendenz zum hämischen Kleinmachen, zur Verzerrung und Opferaufbereitung. Das muß zu bösen Häusern führen. Das Verbildlichen als solches ist, den urzeitlichen Magiern zum Trotz, vielleicht nicht direkt identisch mit dem Bösen, es ist aber das bevorzugte Medium des Bösen. Denn dieses ist eine Fratze, und Fratzen sind immer auch Bilder. Daß man sich hingegen vom "höchsten Gut" kein Bildnis machen kann und daß jeder Versuch, es dennoch zu tun, lediglich komische oder obszöne Surrogate und selber Fratzen gebiert, läßt sich leicht erkennen. Deshalb ja auch das ausdrückliche Verbot bei den Juden und Muslimen, von Gott, dem höchsten Gut, überhaupt Bilder zu machen.

Die Christen, deren Bilderfreudigkeit epochenweise beträchtlich war, haben dennoch nie über einige wenige Schablonen und Motive für das unbehelligte Gute hinausgefunden: Patriarchenfiguren mit Rauschebart, psalmodierende Engel mit törichten Gänseflügeln, Jesus am Kreuz war dagegen nichts weniger als unbehelligt, er war keine Abbildung, sondern reines Symbol, Symbol des höchsten Schmerzes und der schlimmsten Versuchung und des schließlichen Sieges über sie. Auch in unserer abendländischen Kunst insgesamt war das Mißtrauen gegen die plane, symbolferne Abbildung immer da. Epochen des sinnenfreudigsten Realismus wurden immer wieder konterkariert durch Epochen kargster Symbolik, und heute, im Zeitalter der enthemmten Fernsehbilder, dominiert eindeutig der Widerstand gegen diese Enthemmtheit, der Kult der "Installation". Man grenzt, statt abzubilden, bestimmte Bezirke aus der Wirklichkeit heraus, verändert darin vielleicht eine Winzigkeit, erklärt sie feierlich zu Symbolen – und installiert so gewissermaßen eine abbildlose Landebahn für Sinn, also für das Gute (ohne allerdings zu wissen, ob dieses auch wirklich landen mag).

Vielleicht wäre der unglücklichen Prinzessin von Wales das Bitterste erspart geblieben, wenn sie sich bei ihren Tätigkeiten weniger auf reale denn auf symbolische Handlungen eingelassen hätte, wenn sie weniger den Bildern als den Installationen, den Institutionen und herrscherlichen Gesten, vertraut hätte. So aber ist sie nun selber zum Symbol geworden: zum Symbol der Grenze, an die unsere entfesselte mediale Bilderwelt gerät, zum Symbol des Innehaltens und des ernsthaften Bedenkens der schlimmen Folgen, die die Gier nach bloßen Bildern haben muß.


 
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