© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    37/97  05. September 1997

 
 
Gestörte Frequenzen: Ludek Pachmann über eine deutsch-tschechische TV-Produktion
Prager Geschichtsverweigerung
von Ludek Pachmann

Als die Gespräche über den Text einer "Gemeinsamen Erklärung" der deutschen und der tschechischen Regierung eingeleitet wurden, waren viele Sudetendeutsche ebenso wie manche Tschechen, die sich eine echte Versöhnung wünschten, recht optimistisch. Man hoffte, daß zwei Volksgruppen, die in Böhmen und Mähren eine – mit kürzeren Unterbrechungen – fast achthundertjährige gemeinsame Geschichte hinter sich hatten (früher sprach man oft von den "Böhmen tschechischer und deutscher Zunge"), die Entfremdung und Feindschaft dieses Jahrhunderts nun überwinden könnten.

Im Frühjahr 1995 schlug ich dem Tschechischen Fernsehen (CT) vor, als einen Beitrag zu dem angestrebten Prozeß einen zweiteiligen Dokumentarfilm in einer eventuellen Koproduktion mit dem deutschen Fernsehen zu drehen. Das von mir ausgearbeitete Sujet war mit folgenden Überlegungen verbunden:

1) Eine echte Versöhnung erreicht man nur mit einem Bekenntnis zur vollen geschichtlichen Wahrheit, zu ihren hellen wie zu den dunklen Kapiteln.

2) Alle wichtigen Fakten sollten dokumentiert und mit redaktionellen Kommentaren versehen werden. Fragen, zu denen unterschiedliche Positionen bestehen, sind nach dem Grundsatz "audiatur et altera pars" in Interviews mit Vertretern der Tschechen wie der Sudetendeutschen darzustellen. Der Zuschauer bekäme so die Gelegenheit, sich seine Meinung selbst zu bilden.

Mein Sujet enthielt in Kurzform außerdem einen Vorschlag für den Inhalt des geplanten Zweiteilers – beginnend mit der Geschichte des ersten slawischen Staates in Mitteleuropa (dem durch den fränkischen Kaufmann Samo gegründeten und gut zwei Jahrzehnte gegen die Awaren verteidigten "Großmährischen Reich") bis zur tragischen Entwicklung der Jahre 1918 bis 1945.

Zu meiner angenehmen Überraschung akzeptierte das Tschechische Fernsehen nicht nur voll und ganz die Idee, sondern auch den von mir skizzierten Inhalt. Am 2. Juli 1995 erhielt ich die Vollmacht, einen deutschen Partner für die Koproduktion zu gewinnen.

 

Historiker wettert gegen "meuchlerischen" Karl IV.

Im November desselben Jahres hatte ich dank der Vermittlung von ZDF-Intendant Stolte und dem hessischen BdV-Vorsitzenden Rudolf Wollner mit Ekkehard Kuhn, dem Schöpfer der vor einem ähnlichen Hintergrund entstandenen Dokumentation "Schlesien – Brücke in Europa", einen idealen Koautor und Produktionsleiter gefunden.

Am 15. April 1996 wurden dann in Prag alle Einzelheiten der Koproduktion von ZDF und CT vereinbart. Ich erhielt von beiden Anstalten den Auftrag, bis Ende Juni meinen Drehbuchentwurf auszuarbeiten. Also lief alles bestens? – Weit gefehlt! Im Juni fanden in Tschechien Parlamentswahlen statt, und offenbar haben sich in der damaligen teils chauvinistisch gefärbten Atmosphäre politische Stellen intensiv in das Fernsehprojekt eingemischt. Denn noch bevor ich das Drehbuch überhaupt ausarbeiten konnte, erhielt ich vom CT plötzlich sonderbare Anweisungen, die inhaltlich völlig im Widerspruch zu dem ein Jahr zuvor akzeptierten Sujet standen. Diese Korrekturen wurden zuerst mit einem Gutachten des "Experten" Dr. Jirí Pesek, seines Zeichens Stellvertreter des tschechischen Vorsitzenden der "Gemeinsamen Historiker-Kommission" (Prof. Kren), begründet. Pesik zerriß mein Konzept mit Einwänden wie dem folgenden: In dem geplanten Dokumentarfilm sollte des 4. März 1919 als eines tragischen Ereignisses für Deutsche und Tschechen anhand einer gemeinsamen Gedenkveranstaltung in Kaaden an den Gräbern der Hälfte der insgesamt 54 an diesem Tag erschossenen unbewaffneten sudetendeutschen Demonstranten gedacht werden. Es waren Arbeiter, die an besagtem 4. März das Verbleiben der deutsch besiedelten Gebiete Böhmens bei Österreich verlangten. Bei der Veranstaltung sollte der Vertreter der heutigen Bevölkerung von Kaaden sein Bedauern über dieses Verbrechen äußern und sich zusammen mit dem Vorsitzenden des Heimatkreises Kaaden aus Nürnberg zum beiderseitigen Willen zur Versöhnung bekennen. Diese Szene gehörte später zu den bewegendsten des ganzen Filmes. Doch Pesek wandte wahrheitswidrig ein: "... die Forschung in tschechischen Archiven beweist, daß damals die Linke der deutschen Sozialdemokratie versuchte, mit Gewalt (und zwar auch mit bewaffneter Gewalt) die Macht zu übernehmen. Und die Armee schoß auf die deutschen Bolschewisten in Grenzgebieten des tschechischen Staates genauso, wie die Legionäre an der Wolga und in Sibirien auf die russischen Bolschewisten schossen."

An anderer Stelle der "Expertise" wurde Karl IV. als "Kämpfer und meuchlerischer Politiker" statt als ein Mann des Friedens dargestellt. Und mein Vergleich des kommunistischen Systems mit dem national-sozialistischen verursachte gar einen Wutausbruch Peseks: "L. Pachmann sollte als ein früherer kommunistischer Funktionär (was ich nie war; Anm. d. Verf.) wissen, daß bei aller Brutalität der Diktatur der KPTsch dieses Regime unvergleichbar ist mit dem Regime, das auf dem Gebiete der CSR die deutschen Okkupanten in den Jahren 1939-45 eingeführt hatten." Auf den Massenmord an mehr als 200.000 Sudetendeutschen unmittelbar nach dem Krieg sowie auf die zehnfach höheren Opferzahlen des Archipel GULags gegenüber den KZs der Nazis ging dieser Historiker gar nicht erst ein.

Da ich mich entschieden weigerte, die Anweisungen zu akzeptieren, zog man mit einem weiteren Wissenschaftler ins Feld: Prof. Dr. Dr. Dr. Emil Skála (ich bitte den Leser um Entschuldigung, aber ich wurde vom Tschechischen Fernsehen aufgefordert, alle Doktoren-Titel Skálas zu respektieren).

Was Skála vor allem fehlte, war eine scharfe Verurteilung der katholischen Kirche, die für ihn ein Grundübel der tschechischen Geschichte darstellt. Noch strenger ging er mir gegenüber mit den Sudetendeutschen ins Gericht, für die er wiederholt den nicht übersetzbaren Schmähbegriff "sudetáci" benutzte: "Die Deutschen in Böhmen, vor allem in Nordböhmen, konnten über eines nicht hinwegkommen, nämlich daß die Tschechen im Lande Mehrheitsvolk waren und daß sie nicht weiter ein Volk von groben Klötzen, Kutschern, Tagelöhnern und Menschen ohne eigene Scholle bleiben wollten, das die Habsburger nie geliebt hatten." Seine Ablehnung meines Sujets ließ an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig: "Das vorgelegte Drehbuch drescht die Phrasen und alten Thesen, die von der Sudetendeutschen Landsmannschaft in München propagiert werden. Auch in Bayern muß man endlich begreifen, daß wir uns alles, was dieses Volk jahrhundertelang gegen die Deutschen verteidigte – und das ist seine Sprache, Kultur und Wirtschaft – nun nicht wegen einiger ewiggestriger, fanatisierter Nationalisten auf der anderen Seite wegnehmen lassen."

Auch meine Formulierung, daß "der tragische Erste Weltkrieg aus der gemeinsamen Schuld aller damaligen europäischen Großmächte entstand", lehnte er entschieden ab und brachte alles auf eine sehr einfache Formel: "Es ist überflüssig, die Ursachen des Ersten Weltkrieges zu sezieren. Deutschland wollte in Europa Großmacht Nr. 1 werden und entfesselte deshalb den Krieg."

Als ich mich schließlich nochmals auf meine Rechte als Autor und auf die mir vom Tschechischen Fernsehen erteilten Vollmachten berief, sollte – als höchste Instanz – der schon erwähnte Vorsitzende der "Gemeinsamen Historikerkommission", Professor Kren, entscheiden. Aber dieser verweigerte sich mit der Behauptung, daß "eine solche Arbeit eines Gutachtens nicht wert" sei. Entschieden wandte er sich gegen die im Sujet enthaltene Feststellung, daß die Angaben über die Zahl der Vertreibungsopfer weit auseinandergingen: Auf tschechischer Seite bewegen sich diese zwischen 7.000 (!) und 30.000 Opfern, während man auf deutscher Seite die Toten unter Berufung auf Zahlen des Statistischen Bundesamtes aus den 50er Jahren auf mehr als 250.000 Personen beziffert. Vom CT erhielt ich die "Empfehlung", die Vertreibungsopfer zwischen 10.000 und 30.000 anzusetzen.

So fuhren wir am 30. Juli 1996 ohne die tschechischen Kollegen zu dem sehr gelungenen Treffen nach Kaaden, das den Auftakt der Dreharbeiten bildete. Abends wartete auf uns im Karlsbader Hotel Pupp ein Fax aus Prag mit einer verblüffenden Nachricht: Das Tschechische Fernsehen hatte mitgeteilt, daß ich eigentlich kein tschechischer, sondern ein deutscher Autor wäre, und es nicht anginge, daß somit zwei Deutsche als Autoren der Dokumentation das Sagen hätten. Für mich war dies eine Art zweite Ausbürgerung. Im Interesse des Zustandekommens der Koproduktion bot ich dem ZDF den Verzicht auf meine Mitarbeit an. Aber es kam anders: In Mainz entschied man, den Zweiteiler alleine herzustellen. Dem CT bat man an, die fertige Dokumentation für eine tschechische Version bereitzustellen. Damit zeigten sich die Verantwortlichen in Prag einverstanden, doch nachdem sie die Video-Kassette und die tschechische Übersetzung erhalten hatten, hüllten sie sich in Schweigen – bis heute.

Der Film wurde, trotzdem er zu einem deutschen Alleingang geworden war, nach dem Grundsatz der Ausgewogenheit gedreht. Eine Frau, die Lidice überlebt hatte, kam genauso lange zu Wort wie eine Überlebende des "Brünner Todesmarsches". Auf das Thema Benesch-Dekrete angesprochen, konnte der stellvertretende Vorsitzende des außenpolitischen Ausschusses des tschechischen Parlamentes, der Sozialdemokrat Zao rálek, diese als Grundlage des tschechischen Staates und der Friedensordnung nach 1945 bezeichnen. Nach ihm äußerte sich der tschechisch-jüdische Historiker und Publizist E. Mand-ler zum selben Thema und verglich die Dekrete mit den "Nürnberger Gesetzen". Fast sieben Millionen Zuschauer sahen schließlich im Mai ’97 den ZDF-Zweiteiler "Tschechen und Deutsche. Böhmen und Mähren im Herzen Europas".

Nach den Erfahrungen dieses im Sinne einer echten Aussöhnung von Tschechen und Deutschen in Angriff genommenen Filmprojektes bin ich mir noch schmerzlicher als zuvor dessen bewußt, wie groß die Hindernisse sind, die es auf diesem Weg noch zu überwinden gilt . Während der Dreharbeiten haben wir uns davon überzeugen können, wie leicht sich "normale" Bürger verständigen können. Doch erschweren auf beiden Seiten bestimmte Verhaltensweisen von Politikern die Aussöhnung: ein uralter Chauvinismus auf der einen Seite und die inzwischen fünf Jahrzehnte andauernde nationale Psychose und Kapitulationshaltung auf der anderen.

Persönliche Konsequenzen aus meiner Enttäuschung über die tschechischen Reaktionen habe ich bereits gezogen: Im März dieses Jahres verließen wir unser Haus in Prag, und unser einziger Wohnsitz ist nun in Bayern.


 
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