© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    37/97  05. September 1997

 
 
Kriminalität: Die Rettung soll mal wieder aus Amerika kommen
Der schlappe Staat
von Ekkehard Schultz

Es hat sich selbst bis nach Bonn herumgesprochen: Sicherheit und Ordnung sind in Deutschland in desolatem Zustand. Die seit Jahren ansteigende bzw. derzeit auf einem erschreckend hohen Niveau stagnierenden Kriminalitätsraten belegen eindeutig das Versagen der bisherigen Konzepte zur Verbrechensprävention. Dies belegt auch der in diesen Tagen von Bundesinnenminister Kanther vorgelegte Bericht zur Kriminalitätslage 1996, der auf den Zahlen der polizeilichen Kriminalstatistik beruht. Darin konnte zwar ein Rückgang der registrierten Straftaten um 0,3 Prozent gegenüber dem Vorjahr mitgeteilt werden. Dies ist allerdings ausschließlich auf die um 3 Prozent sinkende Anzahl von Delikten in Mitteldeutschland zurückzuführen, die trotzdem auch weiterhin auf einem sehr hohen Niveau verharrt, im Westen stieg sie demgegenüber um 0,4 Prozent. Die Zahl der Tatverdächtigen stieg ebenfalls um 4 Prozent, die Zahl tatverdächtiger Kinder von 8 bis 14 Jahren sogar um erschütternde 13,7 Prozent.

Obwohl im Grundgesetz das Recht auf körperliche Unversehrtheit garantiert ist, kann diese im Alltag immer weniger gewährleistet werden. Bei weiten Teilen der deutschen Bevölkerung wächst das Gefühl der Bedrohung Jahr für Jahr. Die Ausschlachtung von Verbrechen durch Presse, Film und Fernsehen tut ihr übriges. Die Politik scheint es wenig zu bekümmern, wenn sich ältere Leute in Großstädten nach Einbruch der Dunkelheit nicht auf die Straße trauen, Schüler aus Angst vor Gewalt die Schule schwänzen. Beide Bevölkerungsgruppen können sich im übrigen auf die handfesten Zahlen der Statistik stützen: Straßenraub und gewalttätige Übergriffe sowie Delikte mit schwerer Körperverletzung nahmen 1996 gegenüber dem Vorjahr jeweils um weit mehr als sieben Prozent zu.

Die Ursachen dieser Entwicklung liegen freilich tiefer. Statt den Schutz der "Freiheitsrechte" für alle zu garantieren, zieht sich in Deutschland der Staat immer weiter aus seinen Verpflichtungen zur Gewährleistung der öffentlichen Ordnung zurück. Gefaßte Täter müssen oft nach richterlicher Verfügung in kürzester Zeit wieder freigelassen werden. Anstatt die Opfer zu unterstützen, werden Täter in den Medien mittels "Exklusivinterviews", großformatiger Fotos und gelegentlich sogar durch den Abdruck ihrer "Knastmemoiren" hofiert, von der schleichenden Entkriminalisierung von Straftatbeständen, wie Ladendiebstahl, Drogenhandel oder Sachbeschädigung (wann werden Grafityschmierereien schon einmal geahndet?) einmal ganz zu schweigen. Zahlen über die noch immer im Verhältnis sehr hohe Anzahl krimineller Ausländer verschweigt man lieber, Forderungen nach deren Abschiebung, die erst kürzlich Schröder und Kanther aufgriffen, werden als "Populismus" oder gar als "Rassismus" abgetan.

Kanthers aktueller Vorstoß, Modellversuche nach New Yorker Vorbild auf lokaler Ebene zu erproben, die Präsenz des Bundesgrenzschutzes auf Bahnhöfen und in Zügen durch Aufstockung mit Beamten zu erhöhen und sogenannte "Bagatelldelikte" härter zu ahnden, ist löblich. Fraglich ist, ob er in erster Linie unter dem Druck der bevorstehenden Wahlen handelt und weniger aus innerer Überzeugung. Ähnlich verhält es sich mit den Ankündigungen Schröders, dessen Äußerungen zur inneren Sicherheit der politischen Praxis der rot-grünen Regierung in Hannover diametral entgegenstehen. Als bloßer Wahlkampfrummel sind die Überlegungen freilich entbehrlich.
Da Antiamerikanismus selbst bei den konformistischen Grünen aus der Mode gekommen ist, gilt es in Deutschland als ungemein schick, sich auf amerikanische Vorbilder zu berufen. Wer aber das sperrige deutsche Beamtenrecht kennt, weiß, daß es in diesem Fall überhaupt nicht möglich ist, das New Yorker Vorbild umzusetzen. Also sind es reine Lippenbekenntnisse, die wir von unseren Politikern zu hören bekommen.

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