© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    36/97  29. August 1997

 
 
SED-Diktatur: Germanist untersuchte die Bedeutung von Wörtern
Die Sprache der Stasi

von Hubert J. Giess

Sieben Jahre ist es her, seit in der damaligen DDR die Menschen die "Stasi in die Produktion" wünschten, und die dennoch nicht wußten, was kommen, wie es weitergehen würde. Und so manchen aus der Ex-DDR hat mittlerweile – angesichts von Arbeitslosigkeit und schlechter wirtschaftlicher Lage – eine heimliche Sehnsucht nach den alten, vermeintlich gar nicht so schlechten Zeiten gepackt; aber auch mancher Westler wünscht sich die Mauer wieder zurück.

Einer, der gegen das Vergessen kämpft, ist Professor Christian Bergmann, Germanist an der Technischen Universität Chemnitz und seit kurzem im Ruhestand. Akribisch hat der Wissenschaftler anhand von Akten die Sprache der Stasi erforscht. Auffälligstes Merkmal: Der Gebrauch von transitiven Verben, also Zeitwörtern, die eine Ergänzung im Wen-Fall benötigen. "Das scheint kein Zufall zu sein", so Bergmann. Sehr häufig ist auch die Vorsilbe "be-" zu finden, etwa in bearbeiten, betreuen, berenten. So heißt es etwa in den Akten, daß "ehemalige HIM (hauptamtliche inoffizielle Mitarbeiter) nach der "Berentung" weiter zu "betreuen" seien. Schon aus dem Zusammenhang geht hervor, daß damit eine weitere Überwachung gemeint ist – nicht einmal den eigenen Leuten traute die Stasi.

Ziel seiner Untersuchung sei aber nicht die Struktur der Sprache, betont Bergmann. "Die grammatischen Kategorien sind wertneutral." Worauf es ankomme, sei vielmehr die Bedeutung der Wörter, die diese Strukturen einnehmen. Aus ihnen nämlich lasse sich auf Einstellungen, Haltungen und Wertesysteme rückschließen. Hierfür führt der Wissenschaftler eine Fülle von Beispielen an. Über einen IM heißt es etwa: "Er arbeitete zielgerichtet an negativen Personen." Auch von "operativer Bearbeitung" ist oft die Rede. Doch bearbeiten kann man eigentlich nur Akten, Anträge, Fragebögen – das MfS setzte Menschen damit gleich. Ähnlich bei "beschädigen", das sich auf eine Sache und nicht auf eine Person richtet. Die Mitarbeiter wiederum waren "verstärkt und differenziert zu nutzen" – daß hier "benutzen", "verschwenden" mitschwingt ist offensichtlich. Auch das Zeitwort "schaffen", also "hervorbringen", hat eigentlich etwas mit Schöpfung und Erschaffung zu tun. Doch bei dem MfS war von der "Schaffung von Kadern" oder "Schaffung von geeigneten Quellen" die Rede.

Noch entlarvender sind Wörter wie "herausbrechen" oder "herauslösen". Während die Worte im täglichen Sprachgebrauch etwas ähnliches bedeuten, versteckten sich bei der Stasi zwei ganz unterschiedliche Haltungen dahinter, die sich auch gegen ganz verschiedene Personengruppen richteten. So wurden IMs etwa "aus der Bearbeitung operativer Vorgänge herausgelöst", jedoch "Personen aus feindlichen Gruppen herausgebrochen". Und während "aufklären" laut Wörterbuch bedeuet "jemanden über geschlechtliche Vorgänge unterrichten", ist es im Wörterbuch der Stasi ein Ausspähen, ein Bespitzeln: "Die HIM-Kandidaten müssen gründlich aufgeklärt und überprüft werden", die "konspirative Aufklärung von IM-Kandidaten" im Arbeits- und Freizeitbereich" ist erforderlich. Und ungewollt komisch wirkt, wenn da etwa "der Y. zur Aufklärung der Freundin des X." eingesetzt wird.

 

Zwar findet sich das Wort "aufklären" im Sinne von "erkunden" auch in der Militärsprache, doch dort bedeutet es immer "etwas", also eine Sache, und nicht "jemanden", also eine Person, erkunden. Ähnlich sieht es bei dem ebenfalls der Soldatensprache entnommenen "sichern" aus, das bei der Stasi ebenfalls nicht auf Dinge, sondern auf Personen bezogen war. "In Wirklichkeit", so Bergmann, "wollte die Staatsmacht sich selbst schützen." Ebenso finden sich Bedeutungsverschiebungen bei "anfallen", "Faktor" oder "Bestand". Da ist jemand "noch nicht angefallen", ein "belastender Faktor", oder ein "personeller Unsicherheitsfaktor" wird beseitigt, der "IM-Bestand wird erweitert": Worte, die sich normalerweise auf Aktenvorgänge oder auf Vorräte an Waren, beziehen und nicht auf Menschen.

Verräterisch auch das Zeitwort "abschöpfen". Bedeutete dieses Wort früher einmal "den Rahm von der Milch abschöpfen" und seit 1780 auch "einer Sache berauben", so wurde es für das MfS folgerichtig zum Fachwort für eine "Gesprächsführung zur Informationsgewinnung", wobei jemandem gezielt sein Wissen abgenommen wurde, ohne daß er es auch nur bemerkte.

"Zersetzt" wurde mit allen Mitteln: durch anonyme Briefe oder Telefonanrufe, gezielte Verbreitung von Gerüchten, Vertrauensbruch, Verleumdung, Erzeugen von Mißtrauen oder Untergraben des Selbstvertrauens, Ausnutzung persönlicher Schwächen, ja, nicht einmal vor der "systematischen Organisierung beruflicher und gesellschaftlicher Mißerfolge" schreckte die Stasi zurück. Und was da "zersetzt" und fertig gemacht wurde, waren Menschen.

Das ist denn auch das Charakteristische an der Stasi-Sprache, meint Bergmann: daß Menschen zu Dingen, zu Gegenständen, zu Sachen herabgewürdigt, daß sie durch bloße Verschiebung der Bedeutung von Wörtern enthumanisiert wurden. "Sprache drückt immer etwas aus über den, der sie gebraucht", resümiert der Chemnitzer Germanist. In ihr offenbare sich die Geisteshaltung, die Weltsicht, das Menschenbild des Benutzers. Das MfS habe die Einzigartigkeit und Unverwechselbarkeit einer Person mit der Austauschbarkeit einer Sache gleichgesetzt – wie es typisch sei für totalitäre Staaten, die Menschen vereinnahmen und beanspruchen.

"Wo das Menschliche aus der Sprache verdrängt wird, da ist Wachsamkeit geboten", so Bergmann. Zwar sei die Hinwendung zum Psychischen ein Wandel in der Arbeitsweise der Stasi gewesen, doch nur die Methoden seien gerissener, die Unterdrückungsmechanismen verfeinert worden. Der psychische Terror sei keineswegs humaner als der physische. "Beide Arten zielen ab auf die Zerstörung der Persönlichkeit und beide entspringen dem gleichen menschenverachtenden Zynismus."


 
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