© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    36/97  29. August 1997

 
 
Europäisches Forum Alpbach
Zauberberg wird alt

Meinungsbeitrag von Rüdiger Stix

Es ist nur ein Jahrzehnt vergangen, seit befreundete Nobelpreisträger wie Friedrich August von Hayek, in den Gasthofstuben von Alpbach mit jungen FPÖ-Mandataren wie etwa Rainer Pawkowicz die Nächte durchdiskutierten. Mit Rainer Pawkowicz kann man auch heuer hier nächtens diskutieren. Inzwischen wahrt er das Erbe von Friedrich A. von Hayek als Chef einer 29-Prozent-Partei. Natürlich gibt es auch heuer noch Nobelpreisträger, die nach Alpbach kommen.

Tatsächlich leidet das Europäische Forum Alpbach aber an seinem eigenen Erfolg. Und auch daran, daß sich alle Arten von wissenschaftlichem Diskurs in ein unüberschaubares Angebot von Fachkongressen aufgesplittet haben. Auch über das geistige Interesse etwa der Bundesregierung kann man geteilter Meinung sein. Ist die Trägerorganisation des Europäischen Forums – vorsichtig ausgedrückt – der ÖVP nicht sehr fernstehend, so war dies in Alpbach nie ein unüberwindbares Hindernis. In den siebziger Jahren waren die Jahres-Saison-Regenten meist entweder Herta Firnberg oder Hannes Androsch. Das Problem Alpbachs liegt auch nicht in der Konkurrenz. In Österreich gibt es so und so nichts Vergleichbares. Und die Weltwirtschaftsgespräche in Davon – da zahlt man als Teilnehmer etwa 45.000,– Schilling pro Tag, um sich unter die westlichen Finanzminister mischen zu dürfen. Aber man geht nicht als Student mit dem Generaltruppeninspektor auf einen Kaffee, um die NATO-Analysen etwa von Sektionschef Erich Reiter mit denen von US-Botschafter Kornblum zu vergleichen. Das Europäische Forum Alpbach wandelt auf einem schmalen Grat. Selbst die größten Namen aus Wissenschaft, Wirtschaft oder Politik nützen wenig, wenn es nicht gelingt, eine schwierige Balance zu halten: Im jeweiligen Fach das Niveau zu wahren, von Biologie und Medizin bis zu Recht oder Finanzen, ohne für die anderen Nicht-Fachleute unverständlich zu werden. Oder andererseits in oberflächlichen Gemeinplätzen dahinzuschwatzen, die so viele gut gemeinte wissenschaftliche Podien auszeichnen. Aber wie spöttelt etwa Fredmund Malik aus St. Gallen: "… das Gegenteil von ‘Gut’ ist oft ‘Gut gemeint’ …"

Es gibt in der Alpbacher Trägerorganisation aber auch einen Generationenkonflikt: Die Gründergeneration dominiert den Vorstand. Die Gründung fand jedoch im Jahre 1945 statt. Zugegeben: Damals waren Friedrich August von Hayek oder Sir Karl Popper auch schon bekannt – aber eben Mittdreißiger. Genauso wie eben heute Mittdreißiger in den großen Labors ihre Nobelpreise erarbeiten. Man darf daher gespannt sein, wie Alpbach in Zukunft einen Ausgleich zwischen den Granden der Gründerzeit und der "jugendlichen" Nobelpreisträgern schafft.

Dennoch kann man froh sein, daß auch die großen alten Herren der Universitäten den Weg in die Berge nicht scheuen. So stand auch heuer wieder Prof. Ernst Topitsch einem Seminar vor. Immerhin kostete ihn ein Auftritt als junger Dozent in Alpbach vor exakt 40 Jahren das Wohlwollen des ÖVP-Kultusministers. Topitsch geriet mit freisinnigen Thesen in den Ruf eines Marxisten und ins Abseits österreichischer Laufbahnen, was ihn zu seiner Auslandskarriere praktisch gezwungen hat. Topitsch betont auch, daß die junge freiheit eine der wenigen Möglichkeiten für Nichtkonformisten ist, sich frei zu äußern.

Auch sonst ist Alpbach heuer halbwegs ausgewogen: Regierungsmitglieder werden durch den GAL-Obmann ergänzt, oder durch FP-Technologiesprecher DI. Leopold Schöggl herausgefordert. Spitzenmediziner schlagen sich mit der Unfinanzier-barkeit des Gesundheitssystems, der weiter steigenden Lebenserwartung oder ethischen Problemen herum. Demoskopen rechnen vor, daß es auch in den Ländern, in denen es noch gesetzlichen Religionsunterricht gibt, dieser aufgrund sinkender Gläubigenzahlen verschwinden wird. Sonntags zelebriert dafür Erzbischof Wagner die römisch-katholische Messe in der wunderschönen Alpbacher Pfarrkirche. Und neben dem US-amerikanischen Sozialmodell, dem Euro und der Außenwirtschaft wird "die künftige Sicherheitsarchitektur Europas und die Rolle Rußlands" beleuchtet.

Insgesamt jedenfalls zeigt die jährliche Alpbacher Tagung, daß Stätten der Begegnung an denen offen und über alle ideologischen und parteilichen Grenzen hinweg die Probleme unserer Zeit diskutiert werden, notwendiger denn je sind. Ein neuer Dogmantismus, der durch die political correctness in unsere politische Kultur Einzug genommen hat, schien in der jüngsten Zeit der offenen Diskussionskultur den Garaus zu machen. Alpbach ist aufgrund seiner langjährigen Tradition ein Beweis, daß dies denoch möglich ist.

Vielleicht läge es an Veranstaltern und Vortragenden und Diskutanten, einmal ganz offen und deutlich zu sagen, daß das audiatur et altera pars, der Dialog, das Hören des ideologischen, politischen oder ganz einfach sachlichen Gegners zum geistigen Diskurs, der wissenschaftlichen Debatte, eben zur Erkenntnisfindung notwendig ist. Alpbach sollte eine Stätte sein, deren Geist der Untugend der Political correctness diametral entgegengesetzt ist.


 
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