© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    35/97  21. August 1997

 
 
Der Oppositionsführer ist logischer Kanzlerkandidat
Auf Kanzlerkurs

Kommentar von Andreas Mölzer

Man merkt die Absicht und ist – keineswegs verstimmt. Warum auch? Nichts ist für den Chef der größten Oppositionspartei legitimer als die taktische Abstimmung all seiner Aktivitäten und Äußerungen auf das einzig logische Ziel: Die Übernahme der Regierung. Natürlich ist alles, was Jörg Haider gegenwärtig tut oder läßt – in den letzten Monaten überaus erfolgreich eher zweiteres – auf das eine Ziel ausgerichtet: Bundeskanzler der Republik Österreich zu werden. Was sollte er gegenwärtig auch sonst anstreben? Womöglich den vierten, mehr oder weniger erfolgreichen Wahlkampf in Vorarlberg? Die fünfte Legislaturperiode als Oppositionsführer im Parlament, oder wieder einmal stellvertretender Landeshauptmann in Kärnten. Nein, lohnend ist für Haider nur der Ballhausplatz oder – und das sagt er ja selber – der völlige Ausstieg aus der Politik: Gastdozent an ausländischen Universitäten bzw. ewig jugendlichen Extremsportler am Matterhorn oder beim New Yorker City-Marathon.

Vorläufig aber stehen die Chancen für Haider, sein Ziel am Ballhausplatz zu erreichen, besser denn je: Nur mehr fünf Prozent trennen die Freiheitlichen von den Sozialdemokraten. Der zwangsläufig verblassende Glanz des neuen SPÖ-Chefs aus Schwechat und die strategisch staatsmännisch angelegte Zurückhaltung – wer wenig tut, kann auch wenige Fehler machen – des Oppositionsführers, könnten diesen dünner werdenden Vorsprung rasch ausgleichen. Haider muß es gegenwärtig einzig darum gehen, allfällige Hindernisse zu minimieren und aus dem Weg zu räumen. Keine extremen Aussagen also, kein Anstreifen an politisch nicht korrekten Randgruppen, freundliche Nasenlöcher gegenüber internationalen Meinungsmachern an der US-Ostküste, Weltgewandtheit und Zeitgeistkonformität – nach außen hin zumindest.

Natürlich darf das nicht bedeuten, daß von den bereits in den letzten zehn Jahren erarbeiteten Wählerschichten der eine oder andere Bereich abbröckelt. Darum wird das, was da in diesen Tagen in Form eines Sammelbandes von rechts her an Haider und der FPÖ kritisiert wird, wohl auch mit einem lachenden und weinenden Auge betrachtet werden müssen.

Gewiß, Kritik von rechts außen ermöglicht die Positionierung in der politisch möglichst breitenwirksamen Mitte. Diese Kritik bewirkt aber auch eine Entsolidarisierung im alten Kernwählerpotential der FPÖ und bedeutet eine mittelfristige Signalwirkung, die weit über die numerische Stärke dieses Kernwählerbereichs hinausgeht. Es besteht – nicht heute und morgen, wohl aber innerhalb weniger Jahre – die Gefahr, daß jener Bereich, um den herum sich die neue Haider’sche FPÖ seit 1986 aufbaut, in Resignation und innere Emigration verfällt und damit eine strukturelle und ideelle Aushöhlung der freiheitlichen Erfolgs-Genossenschaft bahnbricht.

Doch vorher will der Oppositionschef bereits regieren. Das symbolträchtig gewählte Datum 1998 könnte tatsächlich kommen. Sei es auch ein, zwei Jahre später.

"Kanzler werden ist nicht schwer, Kanzler sein hingegen sehr", könnte man da den alten Erich Kästner verballhornen. Hannes Androsch, gewiß kein Haider-Hasser, hat im ORF-Sommergespräch "Kompetenzdefizite" beim FPÖ-Chef geortet. Nicht ganz unberechtigt in der Wirtschafts- und Währungspolitik, wobei man dem entgegenhalten kann, daß ein Kanzler Haider zweifellos genug junge Technokraten – man erinnere sich an den jungen Hannes Androsch – finden würde, um diese Defizite auszugleichen. Politisch korrekt und damit moralinsauer ungerecht ortete der Alt-Finanzminister ein Kompetenzdefizit Haiders in Hinblick auf österreichische Geschichte und Identität. Aber damit wollte sich bei dieser ORF-Diskussion schon keiner mehr befassen. Am allerwenigsten Jörg Haider selbst.

Dennoch werden seine Gegner nicht aufhören, ihm die "tiefe Prägung, die ihm seine Nazi-Kinderstube beschert" habe, vorzuhalten. Am allerwenigsten dann, wenn es aus einer Opposition heraus gelten könnte, dem Regierungschef Haider am Zeug zu flicken. Damit muß und kann er leben, wenn er einigermaßen in der Lage ist, sein zehnjähriges Oppositionsversprechen im Falle des Falles einzulösen. Eine politische Erneuerung hin zu einem nichtsozialistischen Österreich durchzuführen. Nur dann werden Haider und seine Freiheitlichen mehr als nur eine Fußnote in der österreichischen Geschichte sein.

Der Weg zur politisch wirklich gestaltenden Kraft für unsere Republik muß zwangsläufig mit vielen Wendungen und Windungen beschritten werden. Er ist steinig und dornig und längst keine "g’mahte Wies’n".

Der politische Realist wird daher mit dem Herausforderer des politischen Establishment der Zweiten Republik, mit Jörg Haider also, viel Verständnis haben müssen und oft auch Nachsicht üben müssen. Und dies zu Recht, wenn er nur die Gewissheit haben kann, daß am Ende dieses steinigen Weges jene Reformen gesetzt werden, die die Zukunft des Landes, die Identität seiner Bevölkerung, die Pflege seiner gewachsenen Kultur, Frieden, Freiheit und Wohlstand gewährleisten.


 
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