© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    35/97  21. August 1997

 
 
Schwarzes Meer: Ukrainische Naturschützer erhalten Unterstützung aus Deutschland
Wale als Opfer tödlicher Maschen

von Ulrich Karlowski

Halbinsel Krim, Laspi – "Das ist keine Arbeit, das ist mein Leben", ruft Alvidas Stanenis noch, dann fahren er und seine Männer in ihrem über 25 Jahre alten Patrouillenboot hinaus, die Küste der Halbinsel Krim entlang. Sie suchen Fischernetze, um Delphine oder Schwertwale aus den tödlichen Maschen zu retten. Alvidas ist Leiter des unweit der Metropole Sewastopol gelegenen "Laspi Rehabilitationszentrums für Meeressäuger", der einzigen derartigen Einrichtung am gesamten Schwarzen Meer. Seitdem die ukrainischen Delphinschützer von der Gesellschaft zur Rettung der Delphine (GRD) unterstützt werden, glauben Delphinexperte Alvidas und seine kleine Truppe daran, ihr ehrgeiziges Ziel erreichen zu können: Die einzigartigen Kleinwale des Schwarzen Meeres vor dem Aussterben zu retten.

In dem 452.000 Quadratkilometer großen, durch die Meerenge am Bosporus fast völlig isolierten, Schwarzen Meer, haben sich im Laufe der Evolution drei Unterarten vom Großen Tümmler, Gemeinen Delphin und Hafenschweinswal entwickelt. Vor knapp 40 Jahren gab es etwa zwei Millionen von ihnen, heute wird ihr Bestand auf vielleicht noch 50.000 Exemplare geschätzt, Tendenz weiter fallend.

"Als diese dramatische Situation bekannt wurde, haben wir das Projekt ’Schwarzes Meer’ ins Leben gerufen", erzählt Denise Wenger, Biologin der Münchner GRD. "Auf recht abenteuerlichen Wegen konnten wir ein Zodiak-Schlauchboot sowie Foto-Ausrüstung und Finanzhilfen auf die Krim bringen", so die deutsche Tierschützerin. Erst kürzlich besuchte sie die ukrainischen Delphinschützer und überbrachte weitere Ausrüstungsgegenstände und Gelder und informierte sich über Möglichkeiten zur Ausweitung des Projektes.

Bis 1983 war das Schwarze Meer Schauplatz eines ebenso unbemerkten wie unvorstellbaren Gemetzels. Bis dahin war in der Türkei die Jagd auf Delphine erlaubt. Mehr als 70.000 Tiere wurden pro Jahr getötet, obwohl die UdSSR, Rumänien und Bulgarien dies aufgrund der sinkenden Bestände schon 1966 verboten hatten. Während die Dezimierung der Großwale weltweite Proteste auslöste und schließlich zum Fangverbot führten, vollzog sich das Verschwinden der Kleinwale im Schwarzen Meer fast unbemerkt. "Erst vor wenigen Monaten wurde ein internationales Schutzabkommen im Rahmen der Bonner Konvention ("Convention on the Conservation of Migratory Species of Wild Animals", Anm. d. Verf.) unterzeichnet. Doch bis dies umgesetzt wird, kann noch viel Zeit vergehen; Zeit, die die Kleinwale kaum noch haben. Sie verenden in Treibnetzen türkischer Fischer und in Bodenstellnetzen. Zusätzlich macht ihnen die massive Meeresverschmutzung das Überleben schwer", so die deutsche Biologin.

Die Abwässer von über zehn Millionen Menschen werden zum größten Teil ungeklärt ins Schwarze Meer eingeleitet. Immer wieder müssen Strände geschlossen werden, da mit Wasserverschmutzungen einhergehende Krankheiten wie Cholera und Hepatitis-A ausbrechen. Mehr als 111.000 Tonnen Öl belasten das Ökosystem zusätzlich, allein im Sommer 1982 starben 2.000 Schweinswale bei einem Ölunfall. Viele Städte und Gemeinden entsorgen ihre Abfälle an Stränden und Flußufern oder kippen sie direkt ins Meer. Die GRD-Biologin zeigt auf die trübe Brühe aus Abfällen und Exkrementen in der Bucht der Hafenstadt Feodosiya: "Das Immunsystem der Tiere ist diesen Belastungen nicht mehr gewachsen." Die Folgen dieser Verunreinigungen sind für die Tiere katastrophal. "Sie infizieren sich mit Lungen- und Fadenwürmern, werden zusätzlich durch bakterielle Superinfektionen geschwächt, Morbilliviren verursachten schon mehrfach Massensterben".

So hängt viel davon ab, ob und wie Alvidas und seine Mitarbeiter ihre Lebensaufgabe verwirklichen können. Gemeinsam mit einigen Meeresforschern aus Simferopol haben sie im Auftrag des ukrainischen Umweltministeriums ein detailliertes Schutzprogramm für Meeressäuger erarbeitet, welches neben der Rettung verletzter oder kranker Tiere, Umweltschutzmaßnahmen und eine enge Zusammenarbeit mit den Fischern vorsieht. "Wir erklären ihnen, daß die Delphine und Wale keine Konkurrenten sind, sondern Bestandteil des Ökosystems. Zahlreiche Fischer haben schon reagiert und töten die Tiere nicht mehr, wenn sie sie lebend aus den Netzen holen", meint Alvidas erschöpft zurückgekehrt von einer Patrouille mit traurigem Ausgang: Für zwei Schweinswale kam jede Hilfe zu spät, die Männer konnten nichts weiter tun, als sie ins Meeresforschungsinstitut nach Simferopol zu bringen, wo sie obduziert werden.

Angesichts der katastrophalen wirtschaftlichen Situation in Bulgarien, Rumänien, Georgien, der Ukraine oder Rußland ist im Staatshaushalt kaum Platz für Naturschutzmaßnahmen. So fehlen auch den ukrainischen Delphinschützern einfach die Mittel, um die ganze Küste vernünftig zu überwachen.

Obwohl in diesem Jahr bei Karadak das erste Meeresschutzgebiet der Krim ausgewiesen wurde, ist Umweltschutz – trotz Tschernobyl – in dem jungen Staat noch weitgehend ein Fremdwort. So ist Alvidas Stanenis noch ganz auf seine Improvisationskünste angewiesen. Zur Rettung oder Bergung gestrandeter Delphine werden drei- bis fünfmal in der Woche Patrouillen in die östlichen und südlichen Teile der Halbinsel Krim unternommen. Dazu muß entweder extra ein Auto gemietet werden, man nimmt Bahn und Bus oder geht ganz einfach zu Fuß.

Die GRD plant, noch in diesem Jahr einen Geländewagen in die Ukraine zu bringen und im Rehabilitationszentrum für Meeressäuger soll ein großer Bereich der Bucht von Laspi mit Unterwassergittern abgesperrt werden, um geborgene Delphine und Schweinswale besser pflegen zu können. "Das bewundernswerte Engagement der Menschen hier ist entscheidend. Wenn wir Erfolg haben, wird die Regierung das Projekt unterstützen und die anderen Anrainerstaaten des Schwarzen Meeres werden nachziehen. Die Kleinwale haben dann eine echte Chance", meint Denise Wenger. "Es ist ihre einzige".


 
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